Parteitag der SPD begann in Leipzig

Selbstbewusst begannen die über 500 Delegierten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der DDR ihren viertägigen Parteitagsmarathon gestern auf dem Leipziger Agrargelände. Davon zeugte auch ihre zentrale Losung "Die Zukunft hat wieder einen Namen - SPD".

Nach der Konstituierung, einem naturgemäß noch mageren Rechenschaftsbericht und einer sehr kurzen Aussprache darüber bildete die eigentlich schon programmatische Rede des Geschäftsführers der Partei, Ibrahim Böhme, den Höhepunkt des ersten Beratungstages.

Er verhieß eine Zukunft. die Gerechtigkeit für alle, Wohlstand für alle, Freiheit für alle und demokratisches Mittun für alle bedeuten kann. Auf den Wahlkampf eingehend, in dem übrigens auch in der Aussprache immer wieder moderater Ton in der Auseinandersetzung mit dem politischen Widerpart gefordert wurde, erklärte Ibrahim Böhme, es wäre unredlich für Sozialdemokraten, wenn sie jetzt allen Menschen alles versprechen wollten, nur um die Wahlen zu gewinnen.

Ohne Freiheit und ohne Demokratie, so der Geschäftsführer, müssen auch die besten sozialen Absichten zerschellen. Wörtlich heißt es bei ihm: "Und dieses Ende können wir in der einen Nation mit gespaltener Währung eben nur auf eine Weise erwirken, indem wir die D-Mark als Zahlungsmittel einführen, und zwar 1:1. also D-Mark für Ostmark, und zwar so schnell es technisch und mit Rücksicht auf wirtschaftliche und soziale Rahmengesetze eben geht".

Eine sozialdemokratisch geführte DDR-Regierung wird sich in Verhandlungen mit Bonn auf folgende Eckpunkte stützen: die Einführung der D-Mark zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, bis spätestens zum 1. Juli 1990. Dabei sollten alle Ersparnisse von Ostmark auf D-Mark im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden. Gleichzeitig sollten die wichtigsten Regeln, die zu einer funktionierenden Marktwirtschaft gehören, verabschiedet werden. Hierzu gehört auch die grundlegende Frage der Preise.

Allerdings würden die Sozialdemokraten dafür Sorge tragen, dass die Preiserhöhungen nicht den Verbraucher in dem Maße treffen. Sie sollten soweit wie möglich mit dem Wachstum von Produktivität und Löhnen schrittweise steigen. Den Sozialdemokraten ginge es dabei auch um eine Absicherung gegen mögliche Arbeitslosigkeit. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm müsste zu einem baldigen Zeitpunkt ebenso wie ein Umschulungsprogramm und andere Qualifizierungsmöglichkeiten gewährleistet werden.

Nach Ansicht der Sozialdemokraten in der DDR sollte die Bodenreform von 1945 nicht in Frage gestellt werden. Die Nutzer von Eigentum, zum Beispiel die Mieter, müssen sich auf eine gesicherte Rechtsgrundlage stützen können. Nachdrücklich tritt die SPD für mehr privates Eigentum in den Produktions- und Dienstleistungsbetrieben ein. Eingeführt werden sollten Gewerberegeln, die den Verkauf von Grund und Boden nicht unmöglich machen, jedoch jeder Form der Spekulation einen Riegel vorschieben müssten.

Die Förderung der Beteiligung von Unternehmen der BRD an Unternehmen der DDR sollte auch über die 50-Prozent-Grenze hinaus gesichert werden. Solche Beteiligungen sollten jedoch nicht Arbeitsplätze gefährden und nicht nur dem Einkauf in den Markt der DDR dienen. Die Sozialdemokraten stehen gegen eine Freigabe der Mieten, statt dessen für einen sozialen Angleich an die Entwicklung in Produktivität und Einkommen. Sie verlangen eine vernünftige Aufgliederung der Kombinate und Stärkung der mittelständischen Wirtschaft. Schließlich sieht dieser Plan vor, dass ökologisch gefährdete Betriebe saniert werden, wenn irgend möglich ohne Betriebsschließung.

Der anhaltende Beifall der Delegierten für die Rede von Böhme lässt die Vermutung aufkommen, dass der bisherige Geschäftsführer gute Aussichten auf das Amt des Parteivorsitzenden hat, der am Samstag gewählt werden soll.

Die Vertreter der inzwischen auf rund hunderttausend Mitglieder angewachsenen jungen Partei begrüßten als Gäste ihres Kongresses führende Sozialdemokraten europäischer sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien, unter ihnen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau, sowie Vertreter diplomatischer Missionen, so die Botschafter der UdSSR und der USA in der DDR.

Schwierigkeiten übrigens hatten die Delegierten mit der Anrede. Das reichte von Herr oder Frau bis zum Parteifreund. Die traditionelle sozialdemokratische Anrede, wie sie übrigens auch in der großen Schwesterpartei üblich ist, nämlich Genosse, wollte den meisten nicht so recht von den Lippen gehen. Insgesamt jedoch zeugte der zügige erste Verhandlungstag von einer passablen organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitung des Parteitages, in diesen Wochen und Monaten beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Berliner Zeitung, Fr. 23.02.1990, Nr. 46, 46. Jahrgang

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