Do. 8. März 1990


Im Sinne der Erklärung von Ministerpräsident Modrow vom 8. Februar über die humanitäre Verpflichtung gegenüber den Überlebenden des jüdischen Volkes beschloss die Regierung gestern umfassende materielle und finanzielle Voraussetzungen zur Pflege des humanistischen Erbes deutscher Juden.

Wie Regierungssprecher Meyer mitteilte, wird unter anderem die Gründung einer Stiftung für psycho-soziale Hilfe der Überlebenden des Holocaust in der DDR als Zweig des Israelischen Zentrums Amcha unterstützt. Förderung wurde zugesagt beim Aufbau der Synagoge und bei der Forschungsarbeit der Stiftung Neue Synagoge Berlin "Centrum Judaicum". Der Ministerrat habe weiterhin Maßnahmen beschlossen, die sich aus der 50. Wiederkehr der Entrechtung der israelischen Synagogengemeinde Adass Jisroel Berlin ergeben. Darin hatte die Regierung Unterstützung zugesichert, damit die Gemeinde eigenständig ihr gegenständliches und ideelles Erbe verwalten, bewahren und pflegen sowie ihre religiösen und kulturellen Aufgaben frei erfüllen kann. Der Ministerrat beschloss ebenso Baumaßnahmen auf dem Friedhof in Berlin-Weißensee, Wittlicher Straße, so den Bau einer Feierhalle sowie die Gestaltung des ursprünglichen Friedhofsgeländes. Noch in dieser Woche werde im Gemeindezentrum in der Tucholskystraße die Synagoge von Adass Jisroel Berlin wiedereröffnet.
(Berliner Zeitung, Fr. 09.03.1990)

Keine Neuwahl der Parlamente in den sieben Stadtbezirken beschloss gestern der Leipziger Bezirkstag. Künftig sollen die Interessen des Territoriums allein durch ein Stadtparlament mit 128 Abgeordneten vertreten werden.
(Berliner Zeitung, Fr. 09.03.1990)

Die Betriebspoliklinik im Haus der Ministerien gehört jetzt zum örtlichen Gesundheitswesen von Mitte und ist in die gesundheitliche Betreuung der Bürger des Territoriums integriert.
(Berliner Zeitung, Do. 08.03.1990)

Eine Initiativgruppe zur Bildung eines "Verbandes der Reservisten e. V." hat sich in Berlin konstituiert.
(Berliner Zeitung, Fr. 09.03.1990)

Ein Kuratorium zur "Unterstützung deutscher Minderheiten bei der Erhaltung und Pflege ihrer Kultur" hat sich in Berlin konstituiert.
(Junge Welt, Do. 08.03.1990)

Mit dem "Ost-West-Kurier" erscheint am Donnerstag eine weitere sowjetische Zeitschrift an den DDR-Kiosken.
(Junge Welt, Mi. 07.03.1990)

Die erste Ausgabe der "Südthüringer Zeitung" erscheint in Bad Salzungen als Ableger der Fuldaer Zeitung.

Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht auf einer Kundgebung vor dem Gebäude es alten Reichsgerichts in Leipzig.

Aus Duden Ost und West soll einer werden.

Der Boxer Henry Maske und sein Trainer Manfred Wolke vom ASK Vorwärts Frankfurt (Oder) wechseln in den Sauerlandstall.

Helmut Kohl schreibt in seinen Erinnerungen 1990-1994: "Kein Zweifel, nachdem der Bundestag am 8. März 1990 einen Antrag zur Unverletzlichkeit der deutsch-polnischen Grenze verabschiedet hatte, drohte aus Paris keinerlei Gefahr mehr; die außergewöhnliche Intensität und Freundschaft in den Beziehungen zwischen Mitterrand und mir war wieder zurückgekehrt."

Aber auch, dass er am 15.03. von Mitterrand angerufen wurde, der sagte, er stimme mit Wojciech Jaruzelski und Tadeusz Mazowiecki überein, es sei notwendig die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen. Er "äußerte den Wunsch, dass die Verhandlungen zwischen Deutschen und Polen unverzüglich aufgenommen würden, noch bevor die Einheit vollzogen sei."

"Verärgert schilderte ich Mitterrand den Inhalt des Entschließungsantrags und machte klar, dass ich es seltsam fände, dass Erklärungen von Parlament und Regierung keine Bedeutung beigemessen und auch an meinem Wort gezweifelt wurde. Die Art und Weise, wie mit diesem Thema umgegangen werde, mache mich betroffen, erklärte ich."

"Im Rückblick glaube ich, dass François Mitterrand die Situation wohl falsch einschätzte. Unser Telefonat war wie ein reinigendes Gewitter, durch das sich an unserer Freundschaft nichts änderte."

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