Prag. Die Vereinigung beider deutscher Staaten und die Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitssystems standen bei dem konsultativen Treffen der sieben Außenminister des Warschauer Vertrages am Sonnabend in Prag an erster Stelle des Themenkatalogs. Dabei bekräftigten sie das Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung und nationale Einheit. Unterschiedliche Auffassungen gab es unter anderem über die Modalitäten des Vereinigungsprozesses und die militärpolitischen Strukturen in einem künftigen Deutschland.
Auf einer abschließenden Pressekonferenz verwies Lubos Dubrovsky, Sprecher des ČSSR-Außenministeriums, auf unterschiedliche Positionen zur Frage der Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland in der NATO. Die Palette der Auffassungen habe von "praktisch und nützlich" bis "auf keinen Fall" gereicht. Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse habe eine NATO-Mitgliedschaft Deutschlands strikt abgelehnt. DDR-Außenminister Oskar Fischer erklärte vor Journalisten, ein einiges Deutschland in der NATO würde die Zumutung der einen Seite gegenüber der anderen bedeuten, mit weniger Sicherheit auszukommen.
Die sieben Außenminister stimmten jedoch darin überein, dass es angesichts der sich aus der Vereinigung ergebenden Veränderungen im Kräftegleichgewicht geboten ist, neue Mechanismen für Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent zu schaffen. Warschauer Vertrag und NATO könnten zwar noch eine gewisse Zeit weiterbestehen, müssten sich aber zunehmend von militärischen zu politischen Allianzen entwickeln.
Ein positives Echo fand der Vorschlag von ČSSR-Außenminister Jin Dienstbier, der für die Bildung einer europäischen Sicherheitskommission plädierte. Nach seinen Vorstellungen könnte das Gremium als Exekutivorgan eines kontinentalen Abkommens über kollektive Sicherheit fungieren.
Von unserem Korrespondenten Frank Grubitzsch
(Neues Deutschland, Mo. 19.03.1990)
Alle Vertreter sprachen sich für das Recht der Staaten aus, an den Verhandlungen im Rahmen 4 + 2 teilzunehmen, wenn ihre unmittelbaren Interessen betroffen sind. Das gelte insbesondere für Polen bei der Frage seiner Westgrenze. Die ČSSR stellte fest, dass sie gegenwärtig keine Notwendigkeit ihrer Einbeziehung sieht.
Die Teilnehmer kamen überein, eine Konsultative Arbeitsgruppe zu den äußeren Aspekten der Vereinigung Deutschlands im Zusammenhang mit der Schaffung gesamteuropäischer Sicherheitsstrukturen zu schaffen, die bei Bedarf auf der jeweils erforderlichen Ebene operativ einberufen werden soll.
Einheit bestand hinsichtlich der Notwendigkeit einer endgültigen und verbindlichen Bestätigung der bestehenden Grenzen beider deutscher Staaten mit ihren Nachbarn, insbesondere der polnischen Westgrenze. Polen bekräftigte seinen Vorschlag, mit beiden deutschen Staaten einen entsprechenden Vertrag zu paraphieren und dann mit einem vereinten Deutschland zu unterzeichnen.
Die ČSSR, Polen, Rumänien und Ungarn befürworten eine deutsche NATO-Mitgliedschaft, da ein neutrales Deutschland sich verselbständigen könnte. Nach polnischen Vorstellungen sollte für das Territorium der DDR ein besonderer militärischer Status vereinbart werden, der Festlegungen zur Dislozierung sowohl der deutschen als auch ausländischer Streitkräfte beinhaltet. Bulgarien trat für einen Kompromiss ein, der sowohl eine NATO-Mitgliedschaft als auch auch Neutralität Deutschlands ausschließt.
Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Siegermächte, einschließlich der Verbleib ihrer Truppen auf deutschem Boden für einen bestimmten Zeitraum, wurden von keiner Seite in Frage gestellt. Die UdSSR erklärte, dass diese Rechte bis zum Abschluss eines Friedensvertrages bestehen bleiben. Ausländische Truppen sollten bis zur Schaffung der europäischen Sicherheitsstrukturen stationiert bleiben. Der polnische Außenminister gab zu denken, dass der Verbleib dieser Truppen evtl. zu Konflikten mit der Bevölkerung führen könnte und deshalb auch andere Varianten zu überlegen seien.