Berlin (taz) - Die bundesrepublikanische Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) will sich nicht mit bestehenden Gewerkschaften der DDR vereinigen oder verschmelzen, sondern der BRD-ÖTV vergleichbare Organisationsstruktur aufbauen. Dies machte die Vorsitzende, Monika Wulff-Mathies, gestern auf einer Pressekonferenz im neuen Berliner Büro der ÖTV, Kleine Auguststraße, klar.
Ganz mit West-Mobiliar ausgestattet und frisch weiß gestrichen hat die BRD-Gewerkschaft im dem früheren "Rote-Lampen-Viertel" gegen Valuta vier Räume des Energie-Kombinates angemietet. Dort soll die ÖTV direkte Ansprechpartnerin für die Beschäftigten der DDR sein. Bei ihren Bestrebungen, nicht "Fototermine" mit den Spitzen der bestehenden Gewerkschaften zu veranstalten, sondern eigene gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen, sieht sich die BRD-Vorsitzende Wulff-Mathies im Einklang mit den Interessen der Beschäftigten. Bei den Wahlen hätten auch die Arbeitnehmer für eine schnelle Vereinigung mit der Bundesrepublik gestimmt und gegen eine "eigenständige Entwicklung". Der FDGB sei "vor Ort weitgehend aufgelöst" und nur noch "Konkursverwalter".
"Im Bereich der ÖTV" sagte Wulff-Mathies und meinte die dem Organisationsbereich der ÖTV entsprechenden Tätigkeitsfelder in der DDR, bestehe eine "zerklüftete Gewerkschaftslandschaft". Allein acht Gewerkschaften wären Ansprechpartner für die ÖTV. Die Beschäftigten hätten aber "kein Vertrauen zu Leuten, die mit dem alten System paktiert" haben. Die ÖTV will deshalb mit diesen Gewerkschaften sprechen, aber auch mit neu gegründeten Initiativen an der gewerkschaftlichen Basis. Aus einem derzeit noch nicht übersehbaren Prozess müsse sich eine ÖTV-Struktur für die DDR ergeben.
Gegen Beamtenstatus
Klar ist dabei schon jetzt, dass die ÖTV nicht die Bestrebungen zur Übernahme des bundesdeutschen Beamtenrechtes unterstützt, mit der DDR-Staatsangestellte ihre soziale Absicherung derzeit verbessern wollen. Insbesondere gehe es nicht, dass ‚Spitzenleute aus dem alten Ministerium von Margot Honecker sich jetzt an die Spitze einer Bewegung für Beamtenrecht stellen". Die ÖTV ist auch in der Bundesrepublik gegen Vorrechte aus dem Beamtenstatus. Ein Beamtenrecht in der DDR würde, kritisierte die ÖTV-Vorsitzende, "bisherige staatliche und personelle Strukturen zementieren" und „in hohem Maße" nur eine "Arbeitsplatzgarantie für Beschäftigte der Staatssicherheit" darstellen.
Bei den alten DDR-Gewerkschaften findet die ÖTV-Vorsitzende "nicht viel, was man abschreiben könnte". Einzig der hohe Grad der Organisation sei "erhaltenswert", meinte sie, die Organisierung müsse allerdings freiwillig sein. Das Gewerkschaftsgesetz, auf das der FDGB so stolz war, findet Wulff-Mathies einen "Bremsklotz". Es sei „nicht geeignet, in einer demokratischen Gesellschaft gewerkschaftliche Autonomie zusichern". Insbesondere die Möglichkeit des Staates, Streiks zu verbieten und die Bindung an ein nicht von gewerkschaftlichen Interessen her bestimmtes "Gemeinwohl" widerspricht der Auffassung der ÖTV von gewerkschaftlicher Autonomie. Die gewerkschaftliche Arbeit stellt sich die ÖTV so vor, wie sie es aus der Bundesrepublik kennt. Die Länder sollten eine Tarifgemeinschaft bilden, die als Arbeitgeber mit der Gewerkschaft über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandeln kann. Die staatlichen Versorgungsleistungen sollten nicht privatisiert werden, sondern nach bundesdeutschem Vorbild sollten öffentlich-rechtliche Unternehmensformen gebildet werden.
Lohn "schrittweise" anheben
Trotz der anderslautenden Erklärungen aus dem Bonner Wirtschaftsministerium geht Wulff-Mathies davon aus, dass die Löhne zu einem Kurs 1:1 umgestellt werden.
Für Tarifverhandlungen, in denen die Gewerkschaft für den Tag nach der Währungsunion die Lohnhöhe frei mit den Arbeitgeberinstitutionen vereinbaren könnte, fehlt nach Ansicht der ÖTV-Vorsitzenden allerdings noch die Rechtsgrundlage eines Tarifvertragsrechtes. Auch in der Bundesrepublik, meinte Wulff-Mathies, gebe es betriebsspezifische Vereinbarungen über die Lohnhöhe. "Schrittweise" sollten Lohnniveau und Arbeitsbedingungen dem bundesdeutschen Niveau angepasst werden. Aussagen darüber, wie schnell diese Schritte gegangen werden könnten, lehnte die ÖTV-Chefin als "prophetisch" ab.
Arbeitslose aus den Betrieben raus
Die Betriebe würden, darauf verwies Wulff-Mathies, finanziell entlastet, wenn sie Beschäftigte entlassen, die nicht gebraucht werden. "Die Arbeitslosen waren bisher in der DDR in den Betrieben und haben Lohn bekommen", formulierte die Gewerkschaftsvorsitzende. Nach dem bundesrepublikanischen Muster würden Arbeitslose dann vom Arbeitsamt Unterstützung erhalten. In der DDR müsse man sich allerdings - anders als in der BRD - nicht auf eine höhere Zahl von Langzeitarbeitslosen einstellen, meinte Wulff-Mathies, sondern es gehe darum, spezifische Umschulungsprogramme zu entwickeln.
K W.
(die tageszeitung, DDR-Ausgabe, Fr. 30.03.1990)