Gewerkschafter gehen am Donnerstag auf die Straße, um gegen die Empfehlung der Bundesbank und führender BRD-Politiker zu protestieren, die DDR-Mark im Verhältnis 2:1 umzutauschen. Die Empfehlung sei nicht nur Wahlbetrug, sondern ein unzumutbares Spiel mit den Erwartungen und Ängsten vieler Menschen, heißt es in einer Erklärung des FDGB vom Mittwoch.
Hier Termine für die von Parteien und Vereinigungen mitgetragenen Demos:
Berlin 17 Uhr Alexanderplatz/Lustgarten
Cottbus 17.00 Uhr Oberkirche
Dresden 17.00 Uhr Theaterplatz
Erfurt 17.30 Uhr Zentrum der Stadt zur Andreasstraße
Frankfurt (Oder) 17.00 Uhr Zentraler Platz
Gera 16.30 Uhr Marktplatz Halle 17.00 Uhr Innenstadt
Karl-Marx-Stadt 17.00 Uhr Karl-Marx-Allee
Leipzig 17.00 Uhr Karl-Marx-Platz
Magdeburg 17.00 Uhr Domplatz
Neubrandenburg 17.00 Uhr Karl-Marx-Platz
Potsdam 17.00 Uhr Platz der Nationen
Rostock 17.00 Uhr Universitätsplatz
Schwerin 17.00 Uhr Alter Garten
Suhl 17.00 Uhr Karl-Marx-Platz
(Neues Deutschland, Do. 05.04.1990)
"Wir haben jetzt die einmalige Chance, zum Hinterhof und Armenhaus der BRD zu werden." Mit Sarkasmus schilderte Schauspielerin Käthe Reichel am Donnerstagabend auf der Demonstration im Berliner Lustgarten die Wirkungen eines Umtauschverhältnisses 2:1 im Zuge der Währungsunion, jüngst vorgeschlagen von der Bundesbank. Rund 100 000 Berliner hatten sich hier zusammengefunden. So wie in Berlin protestierten in allen Bezirksstädten und weiteren Orten der Republik Gewerkschafter.
Unüberhör- und -sehbar hieß es "Ein Neubeginn mit Wahlbetrug? Mit uns nicht! Gewerkschafter fordern 1:1." Das ganze Verwirrspiel um die Währungsunion sei eine schamlose Missachtung der Interessen der DDR-Bürger, ein unzumutbares Spiel mit den Sorgen, Erwartungen und Ängsten vieler Menschen. Mit diesen Worten erklärte FDGB-Vorsitzende Helga Mausch, was die Mitglieder der Gewerkschaften von den scheinheiligen Versprechen der BRD-Politiker im DDR-Wahlkampf halten. Eine andere Lösung als 1:1, das wurde auch auf den anderen Protestdemonstrationen klipp und klar gesagt, komme nicht in Frage. Dafür wolle man kämpfen, und so wie am Donnerstag auch wieder auf die Straße gehen. Einen Fingerzeig, wie ernst das gemeint ist, gab es in Leipzig. Der Protestzug nahm jenen Weg im Stadtzentrum, auf dem seit Herbst 1989 die Montagsdemonstrationen entlanggeführt hatten. Mit dem Ruf "Wir sind keine halben Deutschen" protestierten 20 000 Gewerkschafter in Halle.
(Neues Deutschland, Fr. 06.04.1990)
Hunderttausende Gewerkschafter gingen am Donnerstag überall in der DDR auf die Straße, um gegen die Empfehlung der Bundesbank und führender BRD-Politiker zu protestieren, die DDR-Mark im Verhältnis 2:1 umzutauschen.
Die Empfehlung sei nicht nur Wahlbetrug, sondern ein unzumutbares Spiel mit den Erwartungen und Ängsten vieler Menschen in unserem Land, erklärte die FDGB-Chefin Helga Mausch im Berliner Lustgarten. Wörtlich führte sie aus: "Sind die Menschen dafür auf die Straße gegangen, haben wir uns deshalb von der SED-Diktatur befreit, um heute Spielball der Banken der BRD zu werden? Nein, wir sind nicht zur Erneuerung angetreten, um uns nun einschüchtern, ja, entmündigen zu lassen!"
Weiter sagte sie: "Nur ein Wechselkurs von 1:1 vermeidet die soziale Katastrophe, verhindert wirtschaftliche Not. Das werden wir notfalls mit weiteren Protestaktionen und Kampfmaßnahmen anmahnen! Deshalb lasst uns auch den 1. Mal wieder zu einem gewerkschaftlichen Kampftag zur Durchsetzung unserer Forderungen machen."
An die neu zu bildende Regierung gewandt, präzisierte sie die Forderungen: "Wir verlangen ein klares Regierungswort über eine Sozialunion, und zwar noch vor ersten Festlegungen zur Wirtschafts- und Währungsunion. Wir verlangen eine klare Konzeption gegen weiteren Sozialabbau, gegen sinkende Reallöhne, gegen Subventionsabbau ohne entsprechende Ausgleichszahlungen, gegen das Ins-Abseits-Stellen von Arbeitslosen, gegen Altersarmut."
Ähnliche Äußerungen waren auch auf den anderen Demonstrationen zu vernehmen. Stellvertretend für viele sei aus einem offenen Brief der Betriebsgewerkschaftsorganisation des VEB Elektrokohle Lichtenberg zitiert: "Im Namen von 2 000 Gewerkschaftsmitgliedern und im Interesse aller Werktätigen unseres Betriebes wenden wir uns gegen alle Bestrebungen, die bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die geplante Wirtschafts- und Währungsunion, auf dem Rücken und zu Lasten der Bürger unseres Landes zu vollziehen . . . Oft haben wir in vergangenen Jahren unser Schicksal beklagt, zu Mensen 2. Klasse abgestempelt zu sein. Wir werden uns heute, da wir unser Schicksal in die eigenen Hände genommen haben, nicht damit abfinden. Menschen zweiter Klasse zu bleiben Wir werden nicht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren."
Der einheitliche Tenor auf den Protestveranstaltungen: Die Gewerkschaften stellen sich nicht gegen die Einführung der Marktwirtschaft. Aber es zeigt sich schon Jetzt, wie recht BRD-Kollegen haben, die sagen, Marktwirtschaft ist nicht sozial, sondern brutal! Soziale Leistungen müssen erarbeitet und erkämpft werden. Das ist auch für uns notwendig. Deshalb, Gewerkschafter, schließt euch zusammen!
(Tribüne, Fr. 06.04.1990)