Moskau. Roland Heine Der bündnispolitische Status eines vereinigten Deutschlands und die Zukunft der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - das waren erwartungsgemäß die Hauptfragen des ersten Moskau-Besuches von Premier de Maizière und dreier seiner Minister am vergangenen Wochenende.
Um Grundpositionen und Aspekte dieser Themen drehten sich sowohl die zentralen Gespräche de Maizières mit UdSSR-Präsident Gorbatschow sowie mit Regierungschef Ryshkow als auch die vormittäglichen Parallelverhandlungen auf Ministerebene: Markus Meckel mit Eduard Schewardnadse, Rainer Eppelmanns mit Marschall Dmitri Jasow und Wirtschaftsminister Pohl mit dem Chef der UdSSR-Außenwirtschaftskommission Stepan Sitarjan sowie dem Vorsitzenden des Büros für Maschinenbau Iwan Silajew.
Lothar de Maizière, der am späten Nachmittag auf einer stark besuchten Pressekonferenz über die Gespräche informierte, betonte noch einmal die Absicht der neuen DDR-Regierung, mit dieser schnellen Reise nach Osten Signale zu setzen. Es sollte gezeigt werden, so der DDR-Premier, "wo der Schwerpunkt unserer Beziehungen nach wie vor liegen wird".
Grundsätzliche Übereinstimmung gab es darüber, dass am Ende der jetzt beginnenden Entwicklung ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller Beteiligten stehen muss. Schwierigkeiten, so der Premier, ergaben sich daraus, dass angesichts einer schneller werdenden deutsch-deutschen Annäherung Übergangslösungen gefunden werden müssten. Völlige Übereinstimmung habe auch darüber geherrscht, dass die Gestaltung der inneren Aspekte der deutschen Einheit Sache der Deutschen selbst sei. Beide Seiten hätten außerdem konstatiert, dass das bisherige Sicherheitsverständnis ausgehend von der Blockkonfrontation aus mehreren Gründen nicht mehr der Realität gerecht werde.
In der Kernfrage allerdings der Bündniszugehörigkeit eines vereinigten Deutschlands bis zur Überwindung der Blöcke konnte erwartungsgemäß kein Konsens erzielt werden. Die UdSSR-Führung unterstrich noch einmal, dass eine NATO-Mitgliedschaft des künftigen Deutschlands für sie nicht akzeptabel sei und andere Lösungen gefunden werden müssten. Der DDR-Premier wiederum berief sich auf seine Koalitionsvereinbarung und betonte, dass die heutige DDR bei der gegebenen Doktrin und Struktur der NATO nicht in dieses Bündnis eintreten werde, dass man aber Veränderungen des Nordatlantikpaktes anstrebe und entsprechend in Bonn und andernorts auftreten werde.
Was dies im einzelnen heißen wurde und zu welchen Bedingungen eine NATO-Mitgliedschaft der DDR für ihn akzeptabel wäre, dazu konnte oder wollte de Maizière trotz zahlreicher Nachfragen seitens der internationalen Presse keine befriedigende Antwort geben. Auch die mehrfach vorgebrachte Frage, wie UdSSR-Präsident Gorbatschow dieses Herangehen beurteile, blieb ohne konkrete Auskunft.
Es müsse, so de Maizière, um die Überwindung der Blöcke gehen, nicht um ihr Fortbestehen mit einem neutralen Deutschland als Puffer. Zum Schewardnadse-Vorschlag einer „Doppelmitgliedschaft Deutschlands" in NATO und Warschauer Vertrag meinte der Gast aus Berlin, dass man hier zunächst mehr über die konkreten Momente eines solchen Status wissen müsse. Überhaupt, so betonte de Maizière, habe es in den Moskauer Gesprächen keinen Punkt gegeben, der nicht weiter verhandelbar wäre.
Was die wirtschaftliche Zusammenarbeit DDR-UdSSR betrifft, so betonte die DDR-Seite ihr Interesse an Fortführung und Ausbau. Hierbei werde es sehr auf die schnelle Umstellung auf konvertierbare Währung und Weltmarktpreise ankommen. Entgegen früheren Planungen seien die für Sommer beabsichtigte Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion DDR-BRD und ihre Konsequenzen zu berücksichtigen. Bestimmte Fragen könnten dabei künftig auch zusammen mit der BRD-Seite behandelt werden. Befürchtungen der sowjetischen Seite, dass bestimmte Wirtschaftsverträge nicht eingehalten werden könnten, wurde laute de Maizière klar widersprochen. In den Gesprächen habe auch der gegenwärtige Lieferrückstand der UdSSR-Seite in Höhe von 2 bis 3 Milliarden Mark eine Rolle gespielt.
(Berliner Zeitung, Mo. 30.04.1990)
Moskau (ADN). Die UdSSR hat nach Angaben des DDR-Ministers für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, ihre Bereitschaft bekundet, über die für 1990 vereinbarte Lieferung von Militärtechnik im Werte von zwei Milliarden Mark neu zu verhandeln.
Nach den ursprünglichen Plänen sollte die DDR in diesem Jahr von Moskau vor allem Raketen, Hubschrauber und Munition erhalten. Eppelmann erklärte nach seinem Gespräch mit dem sowjetischen Verteidigungsminister Marschall der Sowjetunion Dmitri Jasow, aufgrund der jetzigen Konzeption der DDR würden diese Dinge nun nicht mehr benötigt. Dies könnte dazu beitragen, die Ankündigung in der Volkskammer zu erfüllen, die Rüstungsausgaben um 46 Prozent zu senken. Die Sowjetunion wolle der Nationalen Volksarmee der DDR außerdem dabei helfen, 24 einst von der UdSSR gelieferte Raketen zu vernichten.
Er habe ferner angeregt, betonte der Minister, die Tagesordnung für ein in Berlin geplantes turnusmäßiges Treffen der Verteidigungsminister des Warschauer Vertrages zu ändern, da sie nicht mehr den "neuen Entwicklungen" gerecht werde. Statt dessen sollte es unter anderem um die Umwandlung eines vorwiegend militärischen in ein vorwiegend politisches Bündnis und die Bedeutung der deutschen Vereinigung für den Pakt gehen.
(Neues Deutschland, Mo. 30.04.1990)