Berlin (ND-Audersch). Die für gestern [19.06.] angekündigten Warnstreiks gegen den Beschluss des Berliner Magistrats über die Befristung und Neuausschreibung von Arbeitsrechtsverhältnissen leitender Mitarbeiter sind ausgesetzt worden. Rund 300 Beschäftigte, der Abteilung Finanzen des Magistrats sowie Mitarbeiter im Rat des Stadtbezirks Friedrichshain legten trotzdem die Arbeit für drei bzw. eine Stunde nieder.
Der Sprecherrat der von dem umstrittenen Beschluss Betroffenen hatte die Empfehlung gegeben, zunächst die Ergebnisse der heutigen abzuwarten. Ihr wurden die Forderungen nach Aufhebung der Verfügung schriftlich zugeleitet Für den Nachmittag ist eine Protestdemonstration vor dem Roten Rathaus angekündigt. Sollte der Beschluss aufrechterhalten werden, ist am kommenden Dienstag in den Magistratsabteilungen, in Stadtbezirksämtern und nachgeordneten Einrichtungen wie Kulturstätten mit Streiks zu rechnen.
Auf einer Pressekonferenz gestern Nachmittag verteidigte Stadtbezirksrat Thomas Krüger die Festlegungen des Magistrats wiederum als keineswegs restriktiv. Sie seien notwendig im Zuge der demokratischen Erneuerung der Verwaltung.
Der Gewerkschaftsvorsitzende des Magistrats, Horst Henning, betonte, der beabsichtigte Streik sei auch deshalb verschoben worden, um die Auswirkungen für die Bürger zu begrenzen.
(Neues Deutschland, Mi. 20.06.1990)
Gestern Vormittag [19.06.] in der Abteilung Finanzen des Berliner Magistrats: Warnstreik gegen den unrühmlichen Personalbeschluss. Die Forderung der Mitarbeiter: unverzügliche Zurücknahme der Bestimmungen, die die Überprüfung und zunächst befristete Beschäftigung von Leitern sowie eine Neuausschreibung der Stellen vorsehen.
In fast allen anderen Magistratsbereichen und Räten der Stadtbezirke sowie kulturellen und medizinischen Einrichtungen wurde normal gearbeitet - so wie es der Sprecherrat der von dem Erlass Betroffenen nach zunächst anderslautenden - Bekundungen vom Vortag schließlich vorgeschlagen hatte. Magistrat und der heute tagenden Stadtverordnetenversammlung soll noch eine Chance gegeben werden, den Beschluss zu annullieren. Ansonsten ruht der Betrieb am kommenden Dienstag. Kämpferische Belegschaftsversammlung in Ämtern und Behörden ließen gestern keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die Geduld der Mitarbeiter am Ende ist.
Von seiten des Magistrats gab es bis gestern Abend [19.06.] keinerlei Anzeichen für ein Einlenken in der "Aktion Besen". Der Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger, bekräftigte im Anschluss an eine Magistratssitzung vor Pressevertretern, der am vorigen Donnerstag ein wenig präzisierte Beschluss stehe aufgrund von "Missverständnissen" im Kreuzfeuer der Kritik. Er sehe sich absolut nicht als ein McCarthy, und auch kompetente PDS-Mitglieder hätten nichts zu fürchten.
Inzwischen haben sich eine Reihe von Mitarbeitern von Magistrats- und Stadtbezirkseinrichtungen hinter ihre Chefs gestellt. In einem Brief an Oberbürgermeister Tino Schwierzina bescheinigte der Personalrat der Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplanetariums Berlin Direktor Prof. Dr. Dieter B. Herrmann im Namen der gesamten Belegschaft beider Einrichtungen uneingeschränkte Fachkompetenz und kündigte entschiedenen Widerstand gegen jede, dem demokratischen Verständnis gesetzte Verfahrensweise an.
Tierparkdirektor Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe, der von dem Magistratsbeschluss ebenfalls betroffen sein könnte, erklärte, nach 35 Jahren angestrengter Arbeit für die Stadt und ihren Tierpark eine Legitimation für die Arbeit vorweisen zu müssen, sei ein Paradoxon.
Vor dem Roten Rathaus und vielleicht auch wieder drinnen dürfte es heute recht laut wenden. Die Vorsteherin der Stadtverordnetenversammlung, Dr. Christine Bergmann, nahm die gestrige Pressekonferenz zum Anlass, an alle Bürgerinnen und Bürger zu appellieren, sie mögen die "Arbeit der gewählten Volksvertreter respektierten und nicht durch Störungen unmöglich machen".
Von Dr. Karl-Heinz Audersch
(Neues Deutschland, Mi. 20.06.1990)