Mo. 20. August 1990

• • SPD Minister treten zurück

    • Berlin (ND/ADN/AP). Mit der Ministerin für Handel und Versorgung, Sybille Reider, und Außenminister Markus Meckel haben am Montag zwei von der SPD gestellte Minister offiziell ihren Rücktritt bekanntgegeben und beim Premier ihre Demission eingereicht. Ebenfalls aus ihren Ämtern ausscheiden wollen Arbeitsministerin Regine Hildebrandt, Forschungsminister Frank Terpe und Postminister Emil Schnell. Nach dem SPD-Beschluss vom Sonntag, aus der Regierungskoalition auszutreten, hatte Parteichef Wolfgang Thierse erklärt, dass alle sozialdemokratischen Minister und Staatssekretäre die Regierung verlassen wurden. Damit und mit den Entlassungen der vier Minister Mitte vergangener Woche blieben dann nur noch 14 der ehemals 23 Minister im Kabinett von Ministerpräsident Lothar de Maizière. Dieser gab übrigens mit Blick auf die noch ausstehenden 2 + 4-Gespräche bekannt, dass er das Außenministerium mit übernehmen werde.
      (Neues Deutschland, Di. 21.08.1990)

      Vor leitenden Mitarbeitern des Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten verabschiedet sich der bisherige Außenminister Markus Meckel.

      Verpflichtung sei es gewesen, dass sich niemand in Europa vor diesem entstehenden Deutschland fürchten muss und niemand Schaden nimmt. Die Hoffnung sei, der deutsche Einigungsprozess könne zum Motor und Katalysator für den europäischen Einigungsprozess werden.

      Nachdem er eigen Fehler, zum Teil entstanden aus Unerfahrenheit, einräumte, hielt er Ministerpräsident Lothar de Maizière Unfähigkeit bzw. fehlende Bereitschaft zur Kommunikation und Abstimmung vor.

  • Lothar de Maizière lädt zu Gespächen ein

    • Berlin. dpa/BZ Nach dem Austritt der SPD aus der DDR-Regierung und dem Rückzug ihrer Minister hat Regierungschef Lothar de Maizière (CDU) gestern selbst das Außenressort übernommen.

      Außenminister Markus Meckel war am Morgen als erster der von der SPD gestellten Minister zurückgetreten. Unterdessen bemühten sich in Berlin alle Parteien, Wege aus der Krise zu finden und gemeinsam zu einem Einigungsvertrag zu kommen. De Maizière lud alle Fraktionschefs für heute zu einem Gespräch ein. SPD-Chef Wolfgang Thierse und die FDP bekundeten ebenfalls ihre Gesprächsbereitschaft und das Bemühen um einen Konsens im Interesse der DDR-Bürger.

      De Maizière sagte, dass für den Einigungsvertrag in der Volkskammer eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt werde. Er wolle namentlich über dieses Vertragswerk abstimmen lassen, damit vor der Geschichte deutlich werde, "wer sich wie verhalten hat". Die SPD macht ihre Zustimmung von Verbesserungen in Eigentums- und finanziellen Fragen abhängig.

      De Maizière äußerte, er benenne keine neuen Minister, sondern beauftrage Staatssekretäre mit der Geschäftsführung der vakanten Posten. Er teilte mit, er wolle in dem Gespräch mit allen Fraktionschefs die aktuelle Lage und das weitere Programm der Volkskammer erörtern. Diese kommt von Mittwoch bis Freitag zu Sondersitzungen zusammen.

      Nach dem Koalitionsbruch mit der SPD verfügen die Regierungsparteien CDU, DA und CSU nicht mehr über die Mehrheit der Volkskammerabgeordneten. Die Unionsfraktionen haben 192 der 400 Mandate. Der CDU-Regierungschef unterstrich erneut, dass er am Fahrplan zur deutschen Einheit mit Ratifizierung des Einigungsvertrages und Beitritt um den 14. Oktober herum festhält. Da für die Festlegung eines Beitrittstermins in der Volkskammer eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, könnte die CDU allein mit ihren Abgeordneten alle Anträge für einen sofortigen Beitritt blockieren.
      (Berliner Zeitung, Di. 21.08.1990)

  • Voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde über den Einigungsvertrag

    • Bonn. AP/BZ Zur voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde über den Einigungsvertrag sind am Montag im Bonner Verkehrsministerium Vertreter der Bundesrepublik und der DDR zusammengetroffen.

      Bis Ende der Woche wollen die Delegationen unter Leitung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und des Parlamentarischen Staatssekretärs Günther Krause das rund 1 000seitige Vertragswerk unterschriftsreif haben.

      Ob der Vertrag zustande kommt, schien gestern allerdings offen. Bund und Länder haben sich bisher nicht über die künftige Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens einigen können.
      (Berliner Zeitung, Di. 21.08.1990)

      Die Verhandlungen – 20.-24.8. - finden in Bonn statt.

  • Lothar de Maizière Kein Notbeitritt der DDR zur Bundesrepublik vor dem 14.10.

    • Berlin (ND-Prokot). Ein eiliger Notbeitritt der DDR zur Bundesrepublik vor dem 14. Oktober steht für Ministerpräsident de Maizière nicht zur Debatte. Ein solcher Schritt, wie er von der SPD erwogen werde, sei im Grundgesetz nicht vorgesehen, erklärte er am Montagmittag gegenüber Journalisten. Das Verhalten der SPD-Ost, die ihre Minister aus der Regierung zurückzog, bezeichnete der Premier als "unbegreiflich", wenngleich er seit Wochen damit gerechnet habe, dass es "irgendwann passieren wird".
      (Neues Deutschland, Di. 21.08.1990)

  • Plan zur Sanierung der Stahlindustrie vorgelegt

    • Brüssel (ADN/dpa). Die DDR hat am Montag in Brüssel einen Plan zur Sanierung der Stahlindustrie vorgelegt, der nach Angaben aus der EG-Kommission den Abbau von mehr als 15 000 Arbeitsplätzen notwendig machen wird. Die Kommission wird die Pläne, so wurde mitgeteilt, im Rahmen der EG-Verträge für Kohle und Stahl (EGKS) prüfen und in etwa einem Monat über den Umfang der EG-Finanzhilfe zur sozialen Abfederung der Sanierungsmaßnahmen entscheiden.
      (Neues Deutschland, Di. 21.08.1990)

  • Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Unverzüglich Schiedsstellen für Arbeits- und Sozialrecht einrichten

    • Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) hat die staatlichen Betriebe und Verwaltungen in der DDR aufgefordert, unverzüglich Schiedsstellen für Arbeits- und Sozialrecht einzurichten. Zwei Wochen vor Inkrafttreten des Gesetzes seien in den meisten Betrieben noch keine Maßnahmen hierfür ergriffen worden.

      Da es sich bei den Mitgliedern der Schiedsstellen in der Regel um Laien handele, ist eine intensive Schulung für sie notwendig, um Kompetenz und Sachkunde zu erwerben. Die Schiedsstellen würden im hohen Maße bundesrepublikanisches Arbeitsrecht anzuwenden haben. Die Gewerkschaft ÖTV will verstärkt Betriebs- und Personalräte in der DDR in ihrem Bestellungsrecht beraten.
      (Junge Welt, Mo. 20.08.1990)

  • Der Präsident der Treuhandanstalt tritt zurück

    • Berlin (ND-Rietz). Der erst vor wenigen Wochen ins Amt berufene Präsident der DDR-Treuhandanstalt, Reiner Gohlke, hat am Montag das Handtuch geworfen. Seinem Rücktritt liegen dem Vernehmen nach unterschiedliche Auffassungen zwischen ihm und Mitgliedern des Verwaltungsrates über die Erfüllung der Aufgaben der Treuhandanstalt und die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Verwaltungsrat zugrunde. An Gohlkes Stelle soll der Vorsitzende des Verwaltungsrates, der Vorstandsvorsitzende der Hoesch AG, Detlev Rohwedder, treten.

      Vor einer CDU-Präsidiumssitzung bestätigte am Montagabend Premier de Maizière den Rücktritt von Reiner Gohlke. Das sei aber "keinesfalls eine Bankrott-Erklärung" der Treuhandanstalt. Nach Ansicht der DDR-SPD müsse jetzt, nach dem Rücktritt Gohlkes, auch der DDR-Premier sein Amt zur Verfügung stellen. Er habe sich als unfähig erwiesen, das Land politisch zu führen, meinte der wirtschaftspolitische Sprecher, Frank Bogisch. Jetzt sei die DDR auch wirtschaftlich führungslos. Gohlkes Verzicht auf weitere Verantwortung in der Treuhand zeige nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Roth, hingegen, dass die DDR den Übergang von der Kommando- zur Marktwirtschaft nicht schaffe, wenn die Bundesregierung nicht unverzüglich einen Kurswechsel in ihrer Politik vornehme. Die bisherige sei "gescheitert". Auf der Regierungspressekonferenz am gleichen Tage hatte es Sprecher Matthias Gehler abgelehnt, sich zu Gerüchten über den bevorstehenden Gohlke-Rücktritt zu äußern.
      (Neues Deutschland, Di. 21.08.1990)

      Reiner Maria Gohlke war seit dem 16.07.1990 Präsident der Treuhandanstalt. Sein Nachfolger, Detlev Rohwedder, wird am 01.04.1991 in Düsseldorf ermordet. Auf ihn folgt Birgit Breuel ab 13.04.1991 bis zur Auflösung der Treuhand am 31.12.1994 als Präsidentin. Sie stieg damit zu einer der meist gehassten Frauen auf. Seit dem 18.09.1990 war sie im Vorstand der Treuhand.

  • CDU/CSU Mittelstandsvereinigung Abnahme von Waren aus der DDR soll verpflichtend werden

    • Bundesdeutsche Handelsunternehmen sollten nach Ansicht der CDU/CSU Mittelstandsvereinigung (MIT) zur Abnahme von Waren aus der DDR verpflichtet werden. Für eine Übergangszeit sollten mindestens 25 Prozent ihres Sortiments aus DDR-Produkten bestehen, forderte der Vorsitzende der Wettbewerbskommission der Mittelstandsvereinigung, Winfried Pinger, gestern in Bonn und verwies vor allem auf Güter der DDR-Landwirtschaft.
      ADN/BZ
      (Berliner Zeitung, Di. 21.08.1990)

  • Entlassungen bei NVA, Grenztruppen und Zivilschutz

    • Berlin. dpa/BZ Abrüstungs- und Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (DA) entlässt 2 440 Berufssoldaten im Alter von über 55 Jahren in Pension. Nach Angaben des Ministeriums handelt es sich um 82 Generale/Admirale, 2 246 Offiziere, 90 Fähnriche und 22 Berufsunteroffiziere. Sie gehören der NVA, den Grenztruppen und dem Zivilschutz an. Die Entlassungen werden in der Zeit vom 15. August bis 30. September vorgenommen. Vom 1. November vergangenen Jahres bis zum 30. September dieses Jahres seien damit 155 Generale und Admirale aus dem Wehrdienst ausgeschieden. 35 Generale und Admirale würden weiter im Dienst bleiben, teilte das Ministerium mit.
      (Berliner Zeitung, Di. 21.08.1990)

  • Investitionskredite ermöglichen Einbürgerung

    • Berlin (NZ). Einer bestimmten Anzahl von Hongkong-Chinesen ist die Einbürgerung in die DDR ermöglicht worden, dies bestätigte Regierungssprecher Gehler. Zu der Zahl der Einbürgerungen wollte Gehler sich nicht festlegen. Am Wochenende wurde bekannt, dass 52 führende Persönlichkeiten aus Industrie und Finanzwelt der britischen Kronkolonie Hongkong der DDR-Regierung langfristige Investitionskredite in Höhe von 15 Milliarden D-Mark zugesagt hätten. Im Gegenzug hätten sie um die Staatsbürgerschaft der DDR gebeten.

      Diese Maßnahme stehe nicht im Zusammenhang mit der Verweigerung der Einreise von einigen tausend Rumänen in der vergangenen Woche, sagte Gehler vor Journalisten. Man habe alles versucht, könne aber die Verantwortung für die Rumänen nicht mehr übernehmen. Gegen den Begriff "Eintrittsgeld" verwahrte sich Gehler in diesem Zusammenhang.
      (Neue Zeit, Di. 21.08.1990)

  • Beratungsstelle für jüdische Zuwanderer aus der Sowjetunion

    • Berlin (NZ). Eine Beratungsstelle für jüdische Zuwanderer aus der Sowjetunion wurde gestern in der Ostberliner Otto-Grotewohl-Straße 19d eröffnet. "In den letzten Jahrzehnten gab es wenig Gelegenheit, jüdische Bürger als Mitbürger zu erleben. Zu wenige waren übriggeblieben oder zurückgekehrt nach dem Holocaust, und nun kommen sie zu uns", erklärte die Ausländerbeauftragte beim DDR-Ministerrat, Almuth Berger. Die Aufnahme der jüdischen Bürger wertete sie als eine Chance, die auch unser Leben hier ein Stück reicher machen könne. Frau Berger machte darauf aufmerksam, dass diese Menschen "nicht unbedingt freiwillig" gekommen sind.

      Als Bürositz wurde ein doch etwas merkwürdiger Ort gewählt: das ehemalige Goebbelssche Propagandaministerium. Das könnte, wie Frau Berger bemerkte, als Zumutung, ja als Taktlosigkeit gewertet werden. Man mag das aber so verstehen, dass von diesem Ort jetzt eine ganz andere Politik ausgehen sollte. Es wird der Versuch unternommen, so Frau Berger, Menschen zu helfen, sich einzuleben und sich vielleicht einmal wohl zu fühlen.

      Gegenwärtig leben etwa 1 000 eingewanderte Juden in der DDR, 600 in Berlin. Das Büro, das montags bis freitags von 10-12 und von 13 bis 15 Uhr geöffnet hat, soll den Zugewanderten bei Wohnungsproblemen, Arbeits- und Schulfragen helfen.
      (Neue Zeit, Di. 21.08.1990)

  • Feierlichkeiten zum 1. Jahrestag des "paneuropäischen Picknicks" bei Sopron an der ungarisch-österreichischen Grenze

    • Aus Anlass des 1. Jahrestages des "paneuropäischen Picknicks" bei Sopron an der ungarisch-österreichischen Grenze, am 19.09.1989, treffen sich zur Feierlichkeiten DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière und der ungarischen Premierminister Jósef Anstall. Mit dabei Norbert Blüm von der bundesdeutschen CDU.

"Die Archivare in der Bundesrepublik und der DDR haben die Regierungen beider Staaten aufgefordert, alles dafür zu tun, um die Archive und Geschichtsquellen der DDR zu sichern. Die DDR werde demnächst aufhören zu bestehen. Überall dort, wo deshalb Ministerien, Behörden, Kombinate oder Betriebe aufgelöst würden, bestehe die akute Gefahr, daß ihr Schriftgut vernichtet wird und damit unersetzliche historische Quellen verlorengehen", heißt es in einem in München veröffentlichten gemeinsamen Aufruf der Berufsverbände der Archivare in beiden deutschen Staaten. Dies dürfe nicht zugelassen werden. Die Geschichte der DDR sei ein Kapitel, das "in der deutschen Geschichte nicht überschlagen werden darf".

Deshalb sollten die Regierungen die personellen, materiellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um diese "unersetzlichen Geschichtsquellen" zu sichern und nutzbar zu machen. Aufwendungen dafür seien keine Verwaltungsausgaben. Zudem müsse die Regierung der DDR jede Vernichtung von Unterlagen, die nicht durch die Zustimmung des zuständigen Archivs legitimiert sei, verhindern.
(Neue Zeit, Di. 21.08.1990)

Die DDR hat mit Wirkung vom 20. August 1990 einseitig die Visapflicht für Bürger Australiens, Irlands, Israels, Japans, Kanadas, Mexikos, Neuseelands, San Marinos, Vatikanstadts und der USA aufgehoben.
(Junge Welt, Mo. 20.08.1990)

Eine Journalistenschule hat sich in Leipzig gegründet. Die vom Journalistenverband getragene Fachschule für Journalistik hört am 30.09. auf zu existieren.

In Berlin eröffnet eine Beratungsstelle für neu in die DDR gekommene Juden.

Ein Verbindungsstab der Bundeswehr nimmt bei der NVA in Strausberg seine Arbeit auf.

Δ nach oben