Mo. 3. September 1990

• • Kundgebung der IG Medien, Kunst und Kultur zur Tarifrunde

    • Den Herren da oben - im Ministerrat am Berliner Molkenmarkt - wurde gestern gehörig der Marsch geblasen. Vom Orchester der VP Berlin. Die IG Medien, Kunst und Kultur hatte die Kundgebung mit Blick auf die neue Tarifrunde initiiert. Weitere Gewerkschaften erklären sich solidarisch, mit den Kunst- und Kulturschaffenden. Mit lautstarken Sprechchören erneuerten die etwa 600 Gewerkschafter ihre Forderung: "Wir geben keine Ruh' - gebt 350 Mark dazu!" 300 Mark Teuerungsausgleich sollen danach die Beschäftigten erhalten, 50 Mark Sozialzuschlag für jedes Kind gezahlt werden. Ruth Martin, Vorsitzende der IG Medien, erklärte: "Wir erwarten ein verhandlungsfähiges Angebot!" Überall gebe es gegenwärtig Auflösung und keine Angebote für Kunst und Kultur, sich in der Leistungsgesellschaft zu etablieren.

      Die DDR darf kein Bildungsnotstandsgebiet werden. Diese Forderungen erhoben am späten Montagnachmittag Tausende Berliner Lehrer, Erzieher, Eltern und Schüler vor dem Roten Rathaus. Sie forderten unter anderem einer Teuerungsausgleich für alle Pädagogen, klare Perspektiven für die kommunalen Einrichtungen und Anerkennung der Berufsabschlüsse von Krippenerzieherinnen.

      Schon am Morgen hatte der Förderverein Arbeitsloser Jugendlicher im Roten Rathaus auf die prekäre Ausbildungssituation (12 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, 14 500 mit gelösten Ausbildungsverträgen) aufmerksam gemacht.
      (Junger Welt, Di. 04.09.1990)

      Zu einer Protestdemonstration gegen die Verschleppungstaktik der Regierungsseite bei den Tarifverhandlungen, die die ÖTV für den Tarifverbund von elf Gewerkschaften führt, kam es am Montag auf Initiative der Gewerkschaft Kunst, Kultur und Medien vor dem Sitz des Ministerrates. Das Orchester der Volkspolizei, das sich am 3. Oktober auflösen soll, blies den regierungsamtlichen Verhandlungsführern den Marsch, Zirkusleute waren mit Kamelen und Ponys vors Haus gezogen. Lautstark verlangten die Vertreter verschiedener Gewerkschaften sowie die Demonstranten einen monatlichen Teuerungsausgleich von 350 DM und 50 DM Sozialzulage für jedes Kind. Erinnert wurden sowohl der Ministerpräsident in Berlin als auch der Kanzler an ihre salbungsvollen Wahlversprechen, dass es niemandem schlechter gehen wird und keiner weniger haben solle.

      Außerdem forderte man die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in diesem Land. Es sei ein Hohn, so Ruth Martin, Vorsitzende der Gewerkschaft Kunst, Kultur und Medien, wenn von Arbeitgeberseite behauptet werde, Lohnforderungen würden Arbeitsplätze gefährden.
      (Tribüne, Di. 04.09.1990)

      Mitarbeiter des Zirkus Busch protestiert gegen das Aus des Zirkus. Ebenso die Mitglieder des Orchesters der Volkspolizei gegen die bevorstehende Auslösung des Orchesters.

  • Informationsveranstaltungen von "Demokratie Jetzt" in Potsdam für Arbeitnehmer

    • Mit Informationsveranstaltungen trägt die Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" in Potsdam zur Aufklärung der Arbeitnehmer über Mitbestimmungsrechte in Betrieben bei. Drei bisher organisierte Foren hätten die Rechtsunsicherheit in Bezug auf Betriebsräte, gewerkschaftliche Mitbestimmung und Arbeitsrecht bei den Beschäftigten gezeigt, heißt es in einer Presseinformation der Bürgerbewegung. Deshalb werde es weitere Veranstaltungen geben. So lädt Demokratie Jetzt am Montag (3. September) um 16.30 Uhr in das Haus der Gewerkschaften Potsdam ein. Fragen des Arbeitsrechtskampfes stehen zur Diskussion. Um die neuen Betriebsräte bei ihrer Wahlvorbereitung zu entlasten, organisiert die Bürgerbewegung am Sonnabend, dem 8. September, eine Ganztagsschulung der Wahlvorstände.
      (Berliner Zeitung, Sa. 01.09.1990)

  • Arbeitslosigkeit wird schwerwiegendstes soziales Problem der kommenden Jahre

    • Die Arbeitslosigkeit wird im Großraum Berlin zu den schwerwiegendsten sozialen Problemen der kommenden Jahre gehören. Davon geht das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) in einer jetzt veröffentlichten Studie zur künftigen Entwicklung der Stadt aus.

      Wie es darin heißt, könnten zahlreiche Betriebe im Ostteil der Stadt den Anpassungsprozess an die Marktwirtschaft nicht bewältigen und müssten zunehmend Arbeitskräfte freisetzen. Davon betroffen seien rund 150 000 Beschäftigte in der Industrie sowie mehr als 100 000 Mitarbeiter von Verwaltungen, Außenhandelsbetrieben und Medienzentralen, die mit der Vereinigung Deutschlands aufgelöst oder umstrukturiert werden.

      Insgesamt könnte die Arbeitslosigkeit in Berlin (Ost) und im Umland in den kommenden drei Jahren zeitweilig bis zu 250 000 Personen ansteigen.
      (Berliner Zeitung 04.09.1990)

  • Neues Forum Thema Staatssicherheit ist nicht erledigt

    • Das Neue Forum betrachtet das Thema Staatssicherheit nicht als erledigt. Bärbel Bohley verlas am Montag dazu eine Presserklärung, in der die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit allein in den künftigen fünf ostdeutschen Ländern und durch unabhängige Kontrollinstanzen gefordert wird.

      Die im Einigungsvertrag festgeschriebene zentrale Lagerung von Akten der über vier Millionen DDR-Bürger könne unter Aufsicht eines sogenannten Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den BRD-Verfassungsschutz nur einen enormen Zuwachs an Informationen bedeuten.

      Eine Dezentralisierung der Akten und die Kontrolle durch unabhängige Kontrollinstanzen bringen dagegen mehr Sicherheit vor dem unbefugten Zugriff von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz. Bereits jetzt werde beispielsweise ein Gesetz erarbeitet, das alle offiziellen Amten verpflichtet, mit dem Militärischen Abschirmdienst der Bundesrepublik zusammenzuarbeiten. Das sei ein "neues Stasi-Gesetz", sagte Bärbel Bohley und: "Ich werde mich nicht damit abfinden, dass meine Akte jetzt zum Verfassungsschutz geht und ich wieder zum Staatsfeind abgestempelt werde."
      (Neues Deutschland, Di. 04.09.1990)

      Das Neue Forum hat sich erneut für eine Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit in den künftigen fünf ostdeutschen Ländern und durch unabhängige Kontrollinstanzen ausgesprochen. Wie Bärbel Bohley und Ingrid Köppe gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin unterstrichen, könne die nun im Einigungs-Vertrag festgeschriebene zentrale Lagerung der mehr als sechs Millionen personengebundenen Stasi-Akten unter Aufsicht eines Beauftragten der Bundesregierung für den Verfassungsschutz "einen enormen Zuwachs" an Informationen auch über die rund Zwei Millionen gespeicherten Bundesbürger bedeuten. Nach Ansicht des Neuen Forums bringe eine Dezentralisierung der Akten und die Kontrolle durch unabhängige Kontrollinstanzen mehr Sicherheit.
      (Berliner Zeitung, Di. 04.09.1990)

  • Land-Union gegründet

    • Berlin (ADN). Die CDU hat am Montag in Berlin eine Land-Union gegründet. Sie ist ein Zusammenschluss von Land-, Forst- und Fischwirten, Gärtnern sowie von in einschlägigen Betrieben und Vereinigungen Tätigen, die der CDU angehören oder ihr nahestehen. Die Land-Union will sich über Landes- und Kreisverbände bis in die Dörfer organisieren und erwägt, künftig auch in den Ländern der Bundesrepublik zu wirken. Zum geschäftsführenden Vorsitzenden der Vereinigung wurde der Diplomlandwirt Manfred Hachelberger gewählt.
      (Neues Deutschland, Di. 04.09.1990)

In einem Artikel des Magazins "Der Spiegel" wird über die Aktivitäten von Sekten in der DDR, berichtet: "Inzwischen sind die ersten Missionare da. In Dresden, Leipzig, Halle und Ost-Berlin haben Scientology-Zweigstellen aufgemacht. Mit der neuen Religionsfreiheit setzen aber auch christliche Gruppen, pfingstlerische Freikirchen etwa, verstärkt zum Missionszug an."

"Ungestört darf bislang die hierarchisch aufgebaute Sri-Chinmoy-Sekte, deren Führer wegen seiner Begeisterung für Marathonläufe als 'running Guru' bekannt ist, in einer Pankower Oberschule Sitzungen abhalten. Und das Chinmoy-Marathon-Team hat Funktionäre des DDR-Leichtathlektikverbandes so beeindruckt, dass sie mit dem Guru einen Volkslauf im Pankower Bürgerpark organisierten.

Für die Veranstaltung warb ausgerechnet die lange Zeit SED-gläubige Junge Welt. Begeistert diente das Blatt seinen Lesern den rennenden Guru an, der 'auch an der Uno in New York, wo er lebt', zu Meditationen einlade und 'weltweite Anerkennung' erfahre.

Aufgeschlossen gegenüber der neuen Frömmigkeit präsentiert sich auch die PDS: In ihrem Parteihaus in Berlin-Hohenschönhausen lässt sie die pfingstlerische Christusgemeinde allsonntäglich Gottesdienste abhalten. In den Sitzungsräumen der Sozialisten dürfen die Sektierer mit Handauflegen Kranke heilen.

'Auf unseren Wunsch hin hat die PDS sogar die Marx-, Engels- und Leninplakate abgehängt', berichtet Pfarrer Gernot Brandt. Im September wollen PDSler und Anhänger der Christusgemeinde die neue Freundschaft mit einer gemeinsamen Veranstaltung zum Weltfriedenstag krönen. Motto: Jesus als Friedensfürst."

Ab heute gibt es eine Flugverbindung zwischen Leipzig und Hannover.

Die Deutsche Lufthansa AG mietet in Berlin-Schönefeld Wartungshallen.

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