Noch immer wird der Privatsender 100,6 systematisch von Ost-Berlin aus gestört. Der Senat hat gestern [11.10.] die DDR "nachdrücklich" aufgefordert, diese Störung, die ein eindeutiger Verstoß gegen die KSZE-Schlussakte und internationale Fernmeldebestimmungen sei, unverzüglich einzustellen.
Seit letztem Donnerstag, zwei Tage vor dem 40. Geburtstag der DDR, operiert der Störsender im Osten. Mitten in den Nachrichten, um 13.03 Uhr war im ganzen Stadtgebiet auf 100,6 nur noch Rauschen zu hören. "Das hörte sich an, wie wenn das Fernsehprogramm zu Ende ist", berichtete Redakteur Kelle gestern. Erst nach 17.15 Uhr kam auf der Frequenz 100,6 wieder Ton.
Dass die Störquelle in Ost-Berlin sitzt, ergab ein Peilauftrag der Bundespost. "Technisch können wir da nichts machen", bedauerte der Redakteur, "wir sind da auf die Politik angewiesen." Doch bislang hat der Protest des Senats nichts genutzt und auch die Intervention des Staatssekretärs der Bundesregierung, Bertele, bei den DDR-Behörden blieb fruchtlos.
Die "Störer" im Osten sind ausdauernd. Systematisch, so wird aus dem Sender berichtet, werden alle Meldungen, die die Situation in der DDR betreffen, unterbrochen, auch einzelne Beiträge in Nachrichtensendungen. "Da muss einer sitzen, konzentriert mithören und, sobald das Wort 'DDR' fällt, auf den Störknopf drücken", meint der Schamoni-Redakteur.
Nach der Totalstörung vom letzten Donnerstag hört man das planmäßige Rauschen jetzt nur noch in Ost-Berlin, der DDR und den Randbezirken von West-Berlin. Im City-Bereich kann 100,6 normal empfangen werden.
Schon einmal hat Ost-Berlin zu solch subversiven Maßnahmen gegriffen, als ihr die Berichterstattung eines West-Mediums nicht genehm war. Das Ost-Magazin "Glasnost" des Alternativ-Senders Radio 100 in der Potsdamer Straße wurde im Frühjahr letzten Jahres wiederholt gestört. Auch hier gingen die Störer gezielt vor. Unterbrochen wurden nur Wortbeiträge. Die Musik ging problemlos über den Sender. Damals konnten die alternativen RadiomacherInnen nur vermuten, dass die Akteure im Osten sitzen. Anlass für die Vermutung gab die Tatsache, dass der Sender vom Zentralorgan der SED, dem 'Neuen Deutschland', heftig angegriffen und als "geheimdienstlich gesteuert" gescholten worden war.
(die tageszeitung, Do. 12.10.1989)
[Es gab die Privaten Sender "Radio 100" und "Hundert,6". Sie teilten sich die Sendefrequenz 100,6. Es gab einmal eine Zeit, da sendete das Fernsehen noch nicht durchgehend. Nach Sendeschluss wurde ein Testbild und ein unangenehmer, gleichbleibender Ton gesendet.]