"Die DDR, wie ich sie träume. Meine persönlichen Zukunftswünsche." So hatte "City"-Sänger Toni Krahl das Einstiegs
-Thema für die Gesprächsrunde während der von ihm im Namen vieler bekannter Rockmusiker, Jazzer und Liedermacher initiierten Veranstaltung "Hierbleiber für Hierbleiber" vorgestern im Haus der jungen Talente formuliert.
Gesprächspartner waren Stefan Heym, Christoph Hein, Christian Hartenhauer, Stadtrat für Kultur, die Stellvertreter des Kulturministers Dietmar Keller und Hartmut König, der Sekretär des FDJ
-Zentralrats, Philipp Dyck, die Philosophen Professor Dieter Seegert und Michael Brie, Bärbel Bohley und Professor Jens Reich vom Neuen Forum sowie Gisela Steineckert und Markus Wolf. Die Leitung der Diskussion hatte die Vizepräsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst, Gisela Oechelhäuser. Die Diskussion, in die mehr und mehr auch das Publikum im bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Saal eingriff zunächst mit Zwischenrufen, Missfallensäußerungen oder Applaus, nach der "Expertenrunde" zum Gespräch aufgefordert, mit engagierten, gezielten und sehr konkreten Fragen hatte hochaktuelle Brisanz. Meinungen prallten aufeinander, ungeschminkt wurde gesagt, was viele denken.
"Mit dem Gesicht zum Volke", zitierte Markus Wolf das bekannte Gerhard-Schöne-Lied, das dieser im vorausgegangenen Programm gesungen hatte. Aber Markus Wolf fügte hinzu, er wünsche sich, unsere Politiker mögen künftig immer das Gesicht dem Volke zugewandt haben; "nicht erst dann, wenn sie mit dem Rücken an der Wand stehen." Bärbel Bohley fand ein Stück ihrer Träume bereits erfüllt in der Tatsache, "dass wir hier sitzen und miteinander reden". Sie äußerte aber auch ihre Befürchtung, dass ihre Anwesenheit lediglich als Alibi gegen Intoleranzvorwürfe genutzt werden könne. "Es ist ernst gemeint", antwortete ihr später Philipp Dyck, "wir wollen mit jedem reden, mit jedem Bürger in diesem Land. Auch das Miteinander-Reden müssen wir lernen."
Glaubwürdigkeit forderte Stefan Heym. Glaubwürdigkeit erwerbe man jedoch durch Taten, nicht durch Worte. Beispielsweise könne man von Glaubwürdigkeit an dem Tage sprechen, "da die Polizei wieder ausschließlich dem Schutz der Bürger dient." Die Glaubwürdigkeit allein sei fragwürdig, entgegnete Christoph Hein, Strukturen seien wichtig. Der Politiker solle "nicht nur glaubwürdig, sondern kontrollierbar sein und abwählbar". Markus Wolf erinnerte an das Bebelwort, den Politikern nicht unbedingt "aufs Maul, sondern auf die Finger" zu schauen, nachdem er konstatiert hatte: "Es ist Vertrauen so weit verloren gegangen, dass wir uns alle Mühe geben müssen. Das, was sich jetzt ... in unseren Medien tut, kann zwar etwas Mut geben, aber da sind so viele auf den Zug, der in die andere Richtung fährt, aufgesprungen, dass das nicht ... dem Vertrauen zuträglich ist."
Es gab aber auch ganz praktische Forderungen. Beispielsweise die von Professor Reich, das Strafrecht, insbesondere die politischen Paragraphen, zu überarbeiten." Auch aus dem Publikum kamen Forderungen: so nach baldiger Veröffentlichung des an der Humboldt-Universität erarbeiteten "Sozialismus-Projekts", nach rechtlichen Grundlagen für die Zulassung von Vereinen oder Organisationen. Ein moderner attraktiver Sozialismus, so Hartmut König zu seinem Wunsch. Dieses Land müsse auch wieder für diejenigen, welche es verlassen haben, eine Heimat werden. Mit Verweis auf Brechts Wort, "gebt keinen euresgleichen auf", wünscht er sich die Toleranz, auch sie wieder aufzunehmen und nicht zu vergessen.
Den Worten müssen nun Taten folgen
Am Schluss der langen Diskussion, die erst um Mitternacht zu Ende ging, hätte Tamara Danz von der Gruppe "Silly" noch eine wichtige Information für die Anwesenden. Der Generalstaatsanwalt, der ebenfalls eingeladen, aber verhindert gewesen war, ließ durch sie ausrichten: Alle, die während der Demonstrationen am 7. und 9. Oktober verhaftet oder geschlagen wurden, sollen direkt bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten. "Wir wollen miteinander sprechen, damit es nicht wieder zu den schlimmen Ereignissen vom 7. und 9. Oktober kommt ...", hatte Markus Wolf an diesem Abend gesagt. Aber gerade auch diese heiße Diskussion der "Hierbleiber" untereinander hatte oft genug die Forderung erhoben "Der Worte sind genug gewechselt. Lasst uns endlich Taten sehen."
(Neue Zeit, Do. 26.10.1989)