Beschluss

des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über eine Amnestie vom 27. Oktober 1989

1. Personen, die vor dem 27. Oktober 1989 Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts sowie Straftaten begangen haben, die darauf gerichtet waren, die Ausreise aus der DDR widerrechtlich durchzusetzen, werden amnestiert.

Amnestiert werden auch Personen, die vor dem 27. Oktober 1989 Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung im Zusammenhang mit demonstrativen Ansammlungen begangen haben.

2. Von der Amnestie werden Personen ausgenommen, die bei der Tat

- Gewalt angewandt oder zu Gewalttätigkeiten aufgefordert,

- Leben oder Gesundheit von Menschen gefährdet,

- Waffen mitgeführt oder gefährliche Mittel und Methoden angewandt haben.

3. Personen, die zu Strafen mit Freiheitsentzug verurteilt worden sind, werden aus dem Strafvollzug entlassen. Strafen sind nicht zu vollstrecken, wenn der Vollzug noch nicht begonnen wurde. Strafen ohne Freiheitsentzug (Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe, öffentlicher Tadel) sowie Zusatzstrafen und gerichtlich angeordnete Maßnahmen der Wiedereingliederung werden erlassen, soweit sie noch nicht verwirklicht sind.

4. Ermittlungsverfahren und nicht rechtskräftig abgeschlossene gerichtliche Verfahren sind einzustellen. In Untersuchungshaft befindliche Personen sind zu entlassen. Straftaten, die vor dem 27. Oktober 1989 begangen wurden und erst später bekannt werden, sind nicht mehr zu verfolgen.

5. Der Generalstaatsanwalt der DDR wird beauftragt, Eintragungen in das Strafregister zu tilgen, sofern die Personen

- von dieser Amnestie erfasst werden,

- allein wegen ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Ziffer 3 bis 6 StGB oder der unterlassenen Anzeige hierzu verurteilt wurden und die Strafe bereits verwirklicht ist.

6. Andere Straftaten sowie Schadenersatzansprüche werden von der Amnestie nicht berührt.

7. Die Entlassungen aus dem Strafvollzug und der Untersuchungshaft sind bis zum 30. November 1989 abzuschließen.

8. Die örtlichen Räte, Betriebe und Einrichtungen sowie die Vorstände der Genossenschaften haben auf der Grundlage des Gesetzes über die Wiedereingliederung der aus dem Strafvollzug entlassenen Bürger in das gesellschaftliche Leben vom 7. April 1977 (GBl. I Nr. 10/1977, S. 98) die gleichberechtigte Eingliederung in den Arbeitsprozess und die wohnungsmäßige Unterbringung zu sichern.

9. Der Generalstaatsanwalt der DDR hat in Zusammenarbeit mit den Leitern der zentralen Justiz- und Sicherheitsorgane die Durchführung der Amnestie zu gewährleisten und darüber dem Staatsrat zu berichten.

Berlin, 27. Oktober 1989

Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik

Egon Krenz

Der Sekretär des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik

Heinz Eichler

Neues Deutschland, Sa. 28.10.1989, Jahrgang 44, Ausgabe 254

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