Für die konsequente Verwirklichung von Meinungs-, Medien- und Versammlungsfreiheit demonstrierten am Sonntag wieder Zehntausende Bürger in mehreren Städten der DDR. Aufgerufen hatten Kunst- und Kulturschaffende, um - wie ihre Berliner Kollegen am 4. November - die in den Verfassungsartikeln 27 und 28 verankerten Rechte einzuklagen.
Rund 50 000 Bürger folgten in Dresden dem Ruf der Künstler. Auf Plakaten und Transparenten sprachen sie sich gegen den Führungsanspruch einer Partei, für die Abrechnung mit den an der gegenwärtigen Krise Schuldigen und für eine vollständige Reformierung der Kulturpolitik aus. Weitere Forderungen galten der Rettung von Denkmalen in der Stadt und richteten sich gegen den Export von Kulturgütern.
Vor der Semperoper wandten sich Redner an die Demonstranten. Chefregisseur Horst Schönemann vom Staatsschauspiel Dresden knüpfte an die einleitenden Worte des Opernsängers Günther Emmerlich an, der die Zivilcourage der Bürger in den vergangenen Wochen als Unterpfand demokratischer Selbstbestimmung würdigte. Mit dem Widerspruch von "Gigantomanie" wie der Bauernkriegsgedenkstätte bei Bad Frankenhausen auf der einen und dem Verfall kulturhistorisch wertvoller Baudenkmale beispielsweise in Dresden auf der anderen Seite setzte sich der Maler Hubertus Giebe auseinander. In Briefen hatten sich die 87jährige Gret Palucca und Kammersänger Peter Schreier für die Verknüpfung von Dialog mit "harter gemeinsamer Arbeit" ausgesprochen.
Weitere Vorschläge von Rednern galten der Aufarbeitung von DDR-Geschichte, der Rehabilitierung von in der Vergangenheit gedemütigten und gemaßregelten Künstlern und Wissenschaftlern sowie neuen Umweltkonzepten. Unter dem Beifall der Anwesenden wurde mehrfach solidarische Unterstützung für das rumänische Volk und für gewaltfrei Demonstrierende in der ČSSR bekundet.
Demonstrationen gab es in Frankfurt (Oder), Schwedt, Karl-Marx-Stadt, Gera, Neustrelitz, Meiningen, Erfurt, Potsdam und in Berlin. In der Hauptstadt zogen - diesmal vor allem auf Initiative der bildenden Künstler mehrere tausend Menschen durch das Zentrum der Stadt.
(Berliner Zeitung, Mo. 20.11.1989)
DRESDEN (Eigenbericht). Schätzungsweise 100 000 Dresdner waren am Sonntagmittag auf dem traditionsreichen Theaterplatz vor der Semperoper gekommen, um nach einer einstündigen, am Schauspielhaus beginnenden Demonstration durch die Stadt einem Aufruf der Kultur und Kunstschaffenden des Bezirkes Dresden zu folgen. Sie wollten damit für Medien- und Meinungsfreiheit, für Demonstrations- und Versammlungsrecht, gegen die Bevormundung der Künste, gegen alles, was einer menschlichen sozialistischen Demokratie im Wege stand und steht, eintreten. Ein Bläserquintett der Hochschule für Verkehrswesen Dresden empfing mit seinem musikalischen Gruß den langen Demonstrationszug. Auf mitgeführten Plakaten, für deren beste sich das Museum für Stadtgeschichte um eine Ausstellung bewirbt, wurden auf ideenreiche und originelle Weise u. a. Abschaffung des Stalinismus in Denken und Tat, freie Wahlen, Abschaffung der Führungsrolle der SED, Abschaffung von Waffen und der Staatssicherheit in ihrer jetzigen Form, der Unfähigkeit in der Künstleragentur u. ä. gefordert. Mit Empörung wandte man sich auch gegen den blutigen Gesinnungsterror in Prag und das menschenverachtende Regierungssystem in Rumänien. Vom verdorrten Baum als Umweltschutzmahnung über Luftballons, die grün-weiße Sachsenfahne und friedlich-streitbare Losungen zur Verbesserung aller Bereiche unseres Lebens wurden demokratische Forderungen verdeutlicht. Nach der Veranstaltung fanden an verschiedenen Orten Lesungen aus Walter Jankas Buch "Schwierigkeiten beim Umgang mit der Wahrheit" statt Außerdem wurde ein Koordinierungsausschuss für kulturelle Belange gebildet, der über das Volkskunstpodium zu erreichen ist.
(Die Union, Mo. 20.11.1990)
Vor dem Kreiskulturhaus in Schwedt versammeln sich rund 3 000 Menschen zu einer Demonstration. Gefordert wird die Änderung des Artikel 1 der Verfassung und die Durchsetzung der Artikel 27 und 28.
Das Schauspielensemble des Theater Rudolstadt ruft am 16.11. zu einer Demonstration für den 19.11. auf. Treffpunkt der Marktplatz der Stadt.
In Meinigen führt die Demonstration vom Theater zum Marktplatz. Forderungen sind freie Wahlen, Demokratie, Mitbestimmung. Auch "Deutschland einig Vaterland" wird gerufen.
Künstlerverbände, der Kulturbund und der Verband der Journalisten haben unter dem Motto "Trotz alledem!" zur Demonstration in Karl-Marx-Stadt aufgerufen. Vom Luxor-Palast mit Kundgebung am Karl-Marx-Monument.
Das Neue Forum ruft am Abend zu einer Demonstration auf. Auch hier findet die Kundgebung am Karl-Marx-Monument statt.
Vor dem Sitz der SED-Kreisleitung in Berlin-Hellersdorf findet eine Kundgebung statt. Es werden Forderungen an die SED und den Bezirksbürgermeister vorgetragen.
Während einer Demonstration mit anschließender Kundgebung in Neustrelitz werden u. a. Freie Wahlen und Änderung des Paragrafen 1 der Verfassung gefordert. Diese Forderungen sind auch auf der Demonstration in Gera und Ueckermünde zu vernehmen.
Zu eine Demonstration und Kundgebung auf dem Obermarkt kommt es in Freiberg.
800 Personen nehmen in Bautzen an einer Kundgebung teil.
Im Kleist-Theater in Frankfurt findet nach der Demonstration eine Diskussionsrunde statt.
Während einer Demonstration in Altenburg wird die öffentliche Kontrolle der Staatssicherheit und die Einsicht in die Unterlagen gefordert.
In Knau wird gegen die Umweltverschmutzung wird durch die Schweinezucht und -mastanlage demonstriert. Es wird die Schließung gefordert.