Berlin (ND). Unsere Partei will politische Heimat aller Werktätigen sein, soll ihnen allen offenstehen. Das erklärte am Dienstagabend Parteivorsitzender Dr. Gregor Gysi auf der ersten internationalen Pressekonferenz nach seiner Wahl am vergangenen Wochenende. An der stark besuchten Frage- und Antwortstunde nahmen auch der stellvertretende Vorsitzende, Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, und der Vorsitzende der Kommission Medien und Presse des Parteivorstandes, Lothar Bisky, teil.
Die Entscheidung des Parteitages zur Umbenennung der Partei, so erklärten Gysi und Berghofer, entspreche dem Mehrheitswillen der Delegierten, um den substantiellen Charakter der Erneuerung zu unterstreichen. Es gehe also nicht um Etikettenschwindel, sondern der neue Name ergebe sich aus der neuen Programmatik.
Befragt nach dem Ablauf der zweiten Runde des Parteitages am kommenden Wochenende, teilte Berghofer mit, dass zu Beginn am Sonnabend ein Referat zu den historischen Wurzeln der Krise gehalten werde, in die die Partei gekommen sei. In diesem Zusammenhang werde, soweit bekannt, auch über weitere Untersuchungsergebnisse zu Amtsmissbrauch und Korruption informiert. Daran werde sich eine Diskussion zu diesen Fragen anschließen, bevor am Nachmittag die Strategie - also Programm und Statut der Partei - debattiert wird. Berghofer: Sicher kann man wieder mit einer Nachtsitzung rechnen. Am Sonntag werde ein Referat zu aktuellen Aufgaben folgen, gehalten vom Parteivorsitzenden. Darin werde man sich auch mit der Vorbereitung auf die zu erwartenden Volkskammerwahlen im Mai 1990 beschäftigen.
Die ND-Frage nach Reaktionen an der Basis auf die erste Etappe des Sonderparteitages beantwortete Gysi mit der Bemerkung, es gebe bei aller Differenziertheit breite Zustimmung zur demokratischen Erneuerung und zum demokratischen Gehalt der ersten Kongressphase. Gleichzeitig bestünden berechtigte Erwartungen, Statut und Programm - also das Regelwerk der Partei – betreffend.
Auf eine weitere Frage des ND zu Tendenzen der Ausgrenzung von Parteimitgliedern im gesellschaftlichen Leben äußerte der Parteivorsitzende Besorgnis und zugleich die Hoffnung, dass alte Intoleranz und Verletzung der Menschenwürde heute nicht durch neue ersetzt werde.
Zahlreiche Journalistenfragen galten der Wiedervereinigungsthematik. Dazu Gysi deutlich: Wir sind für die Eigenständigkeit und Souveränität der DDR. Das ist für uns wie für die Stabilität in Europa ganz wichtig, weil eine Grenzveränderung zu Grenzdiskussionen anderswo und damit zu Unsicherheit führen kann. Gerade wir Deutsche haben nicht das Recht, Anlass dafür zu geben, das etwas ins Rutschen kommt. Außerdem solle niemand vergessen, dass die DDR auch eine Menge Errungenschaften aufweist, die hier niemand leichtfertig aufzugeben bereit ist. Die Partei, so Gysi und Berghofer, trete für Zusammenarbeit mit der BRD und Berlin (West) im Sinne einer Vertragsgemeinschaft ein, im praktischen Interesse der Menschen beider deutscher Staaten. Ihre Grenze findet diese Vertragsgemeinschaft dort, wo die Souveränität der Republik angetastet werde.
Auf weitere Fragen antwortete Gysi, es gebe noch keinen präzisen Termin für das Treffen mit Michail Gorbatschow. Was seine persönliche Stellung als Parteivorsitzender betrifft, so könne er sagen, er fahre Lada und nicht Volvo, besitze keinen speziellen Personenschutz und habe gewiss nicht die Absicht, in das Arbeitszimmer Honeckers einzuziehen.
(Neues Deutschland, Mi. 13.12.1989)
Berlin. BZ - T. Leinkauf Fragen der internationalen Presse stellte sich gestern im IPZ In Berlin der SED-Vorsitzende Gregor Gysi.
Die neue Partei, so Gysi vor knapp zwei Dutzend Kameras im überfüllten Saal auf entsprechende Fragen, schöpfe in ihrer Programmatik aus verschiedenen Quellen, darunter marxistische ebenso wie sozialdemokratische. Nach dem ersten Teil des außerordentlichen Parteitags hatte es an der Parteibasis viel Zustimmung zum eingeschlagenen Weg der radikalen Erneuerung gegeben. Differenziert sei die Reaktion auf die erklärte Absicht der Partei, sich einen neuen Namen zu geben. Gregor Gysi wies darauf hin, dass ein neues Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz nötig sei. Wichtig sei, dass die Partei die Interessen der Arbeiterklasse, z. B. die an sozialer Sicherheit, nicht aus dem Auge verliert.
Nach seiner Position zur Wiedervereinigung befragt, erklärte Gysi, die Partei trete für Eigenständigkeit und Souveränität der DDR ein. Dies sei wichtig, weil davon wesentlich Stabilität in Europa abhänge. Die Grenzen der angestrebten Vertragsgemeinschaft mit der BRD lägen dort, wo dies in Frage gestellt sei.
Die SED, so Gysi auf eine weitere Frage, plädiere für einen dritten Weg der DDR jenseits der Interessen transnationaler Konzerne wie jenseits eines stalinistisch geprägten Gesellschaftsmodells. Solch ein demokratischer Sozialismus sei aber nur auf der Grundlage staatlicher Selbständigkeit möglich.
Auf Fälle von Ausgrenzung von SED-Mitgliedern bei der Suche nach neuer Arbeit angesprochen, sagte Gysi, frühere Intoleranz sei nun nicht durch neue zu ersetzen. Die Gesellschaft brauche Demokratie und Toleranz, um aus der Krise herauszukommen.
Gesprächstermine mit Kohl und Mitterrand, so Gysi, gebe es noch nicht. Er werde sich solchen Treffen nicht verschließen, dränge sich aber auch nicht auf. Auf eine Meinungsäußerung des SPD-Vorsitzenden Vogel angesprochen, die von wenig Interesse der SPD an Gesprächen zeuge, sagte Gysi, wenn Vogel mit dem früheren Generalsekretär der SED besser zurechtgekommen sei, müsse er das zur Kenntnis nehmen.
(Berliner Zeitung, Mi. 13.12.1989)
Die New York Times berichtete am 15.12.1989 auf der Pressekonferenz forderte Gregor Gysi die USA auf, für die Weiterexistenz zweier deutscher Staaten einzutreten. Eine Zweistaatlichkeit sichere die Stabilität in Europa.