Am gestrigen Abend [17.12.] konstituierte sich der Demokratische Aufbruch im Leipziger Brühlzentrum mit der Wahl seines Vorstandes und Vorsitzenden Wolfgang Schnur als Volkspartei mit der Charakterisierung sozial und Ökologisch.
Die über 250 Delegierten hatten auf dem Gründungsparteitag unter dem Motto "Für glückliche Menschen in einer sauberen Umwelt" nach einem komplizierten und strapaziösen Selbstfindungsprozess das Programm, das Statut und das "Strategiepapier '90" beschlossen. Nachdem bereits verschiedene Arbeitsgruppen viele Veränderungsvorschläge erarbeitet hatten, entbrannten auch bei der zweiten Lesung des Entwurfs wiederum heftige Diskussionen.
Die Delegierten einigten sich auf eine allgemein-konkrete Aussage über das politische Wollen und Handeln des DA, indem sie zu der Formulierung fanden, die Partei werde sich leiten lassen von den Menschenrechten und den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Das Programm sieht eine Dynamisierung der Wirtschaft, gestützt auf das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft vor. Künftig soll staatliches, genossenschaftliches, kommunales und privates Eigentum sowie Eigentum mit ausländischer Beteiligung gleichberechtigt existieren, auch in der Landwirtschaft.
Zum Problem Eigenstaatlichkeit der DDR, ja oder nein, stimmte die überwältigende Mehrheit der Delegierten einem Antrag zu, in dem gefordert wird, in die Verfassung der DDR das Recht zur deutschen Einheit aufzunehmen.
(Berliner Zeitung, Mo. 18.12.1989)
Mögen es die Delegierten des Gründungsparteitages gesehen haben oder nicht, gegenüber ihrer Tagungsstätte am Sachsenplatz prangte, in großen Lettern als Stadtreklame "Mein Leipzig lob ich mir". Doch nicht die Intentionen des Geheimrates führten 260 Mitglieder des Demokratischen Aufbruchs (DA) am Wochenende nach Leipzig. Es war das in dieser Stadt wiedererwachte politische Gewissen der Menschen im Land. Im Brühlpelzzentrum mussten keine Pelze reingewaschen werden. Hier konstituierte sich aus einer Oppositionsgruppe heraus eine neue, unverbrauchte Partei. Die Aufbruchstimmung der DA-Delegierten war jedoch bis zum Zerreißen gespannt. Ein weiter Bogen von Liberal bis Sozial-Ökologisch barg den Richtungsstreit in sich.
Die mitgliedsstarken Gruppen aus Thüringen und Dresden forderten klare Positionen im Programm für die Deutsche Einheit, die Marktwirtschaft und Sozialismusabsage. Hingegen bestanden die sozial-ökologischen Gruppen aus Leipzig, Halle und Berlin auf einer Regelung der deutschen Frage im Rahmen einer europäischen Friedensordnung und die Entwicklung eines alternativen Konzepts zu Markt- und Planwirtschaft.
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bat als Gast in ihrem Grußwort, sich nicht an der deutschen Frage zu zerreiben, sondern die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt zu stellen. Dann würde auch das kommen, was sie alle gemeinsam in Europa wollten.
Im Vorfeld der Programmdebatte des ersten Tages musste Pressesprecher Eppelmann ein Kreuzfeuer der Kritik über sich ergehen lassen. Rücktrittsforderungen, so einige Delegierte, an die Regierung müssten den Rückhalt in der Partei besitzen. Ein Pressesprecher könne daher nicht seine persönliche Meinung zu der der Partei machen. Angesprochene Diskrepanzen zwischen Basis und Vorstand räumte DA-Vorsitzender Schnur ein, müssten durch ein funktionierendes Informationssystem überwunden werden.
Die Beziehung zu den etablierten Parteien in der DDR erhielten von den Delegierten mehrmals eine Absage unter dem Vorwurf: 40 Jahre mitgemacht. Doch es gab auch Stimmen, die meisten, es wäre Blauäugigkeit zu glauben, die Wähler hätte man schon in der Tasche. Auch die alteingesessenen Blockparteien würden gewählt. Pfarrer Schorlemmer mahnte in der Pause vor Delegierten: "Wir können doch die anderen nicht einfach wegwerfen."
(Der Morgen, Mo. 18.12.1989)
Neben Vertreter von Organisationen aus der DDR nahmen auch Gäste aus der BRD an dem Parteitag teil. Darunter Norbert Blüm (CDU) und Herta Däubler-Gemelin (SPD). Markus Meckel von der SDP sprach ein Grußwort.