Brief aus Weimar
an die Mitglieder und Vorstände
der Christlich-Demokratischen Union

1. Als haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter der Kirche, die der CDU angehören, wenden wir uns an die Mitglieder und Vorstände der Partei. Wir bitten sie, mit uns zusammen darüber nachzudenken, welchen Beitrag die CDU für die Lösung der akuten gesellschaftlichen und politischen Probleme leisten kann. Wir sind davon überzeugt, dass die Partei mehr vermag, als sie sich selbst bis jetzt zutraut.

2. Vor allem beunruhigt uns, dass das Problem der legalen und illegalen ständigen Ausreise aus der DDR sich in diesem Jahr weiter verschärft hat, anstatt allmählich an Bedeutung zu verlieren. Betrachtet man die Ausreisewilligen nach Alter, Bildungsvoraussetzungen und Beruf, dann zeigt sich, dass nicht der Rand, sondern der Kern unserer Gesellschaft betroffen ist. Unser Land leidet Schaden - je länger, je mehr.

3. Auch unsere Kirchen leiden unter der Ausreisewelle. Ihre Appelle, im Lande zu bleiben und Geduld zu zeigen, will niemand mehr hören. Die Abwehrkräfte gegen die Verlockung zur Ausreise erlahmen bei Gemeindegliedern, aber auch bei den Mitarbeitern in Diakonie und Verkündigungsdienst immer mehr. Nicht selten versuchen Ausreisewillige, die Kirchen zur Durchsetzung ihres Wunsches zu instrumentalisieren.

4. Darüber hinaus lädt das Bemühen, den Ursachen der Auswanderungsbewegung auf die Spur zu kommen und zu ihrer Beseitigung bzw. Milderung beizutragen, den Kirchen eine Stellvertreterrolle für die eigentlich verantwortlichen gesellschaftlichen Kräfte auf. Zum Teil werden die Kirchen in eine solche Rolle gedrängt, ohne es selbst zu wollen, zum Teil erliegen sie der Versuchung, auf diese Weise jene Beachtung zu finden, die ihnen bei der Erfüllung ihres eigentlichen Auftrages in unserer säkularisierten Gesellschaft nicht selten versagt bleibt. Auf jeden Fall fehlen ihnen für eine solche Stellvertretung weitgehend Kompetenz und Kraft.

5. In dieser Situation treten wir dafür ein, dass das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Grundelement der Konzeption "Kirche im Sozialismus" aufrechterhalten bleibt. Es schließt das Recht der Kirchen ein, von ihrem Standpunkt aus, zu den Lebensfragen des Volkes und zu den Überlebensfragen der Menschheit Stellung zu nehmen.

6. Das Trennungsprinzip lässt sich allerdings nur dann durchhalten, wenn alle für die Gestaltung des Staates verantwortlichen Kräfte die ihnen zukommenden Aufgaben zielbewusst und tatkräftig erfüllen. Aus diesem Grunde ist allen Tendenzen zu wehren, gesellschaftliche Probleme zu beschönigen oder zu verdrängen und zu tabuisieren, um Untätigsein zu rechtfertigen.

7. Wir meinen, auch die CDU in der DDR ist heute herausgefordert, ihre gesellschaftliche Mitverantwortung an den höheren Maßstäben zu messen, welche dem Stand der Entwicklung nach 40 Jahren DDR entsprechen. Wir sehen uns zusammen mit allen Mitgliedern und Vorständen der Partei dazu verpflichtet, die aktuellen Probleme unseres Landes realistisch und unbeschönigt wahrzunehmen, sie offen zu erörtern und Vorschläge zu unterbreiten, wie sie gelöst werden können.

8. Bei dem gegenwärtig besonders bedrängenden Ausreiseproblem geht es darum, die Ursachen zu erkennen und beseitigen zu helfen, welche in unserem Staate herangewachsene, von der DDR erzogene und ausgebildete, aktiv im Arbeitsprozess stehende Menschen dazu veranlasst, in unverhältnismäßig großer Zahl ihre ständige Ausreise zu betreiben.

9. Auf drei Hauptfeldern müssen politische Mitverantwortung, Mitsprache und Mitarbeit der Partei und ihrer Mitglieder eine neue Qualität erreichen:

1. innerparteilich,
2. in der Gemeinschaft des Demokratischen Blocks,
3. in der gesamten Gesellschaft.

10. 1. Die Weiterentwicklung der innerparteilichen Demokratie - Die Parteiarbeit ist so auszugestalten, dass in ihr der Wille der Mitglieder den unbedingten Vorrang hat. Das Prinzip des "demokratischen Zentralismus" gehört nicht zu den spezifischen Traditionen der CDU. Bei allen Arten von Parteiveranstaltungen ist von der Praxis vorbestellter, gar von den Sekretariaten kontrollierter "Diskussionsbeiträge" abzugehen.

Treten CDU-Mitglieder in Veranstaltungen anderer Organisationen auf, sollten sie sich stets für eine offene Diskussion einsetzen. Um der Dynamik unserer gesellschaftlichen Entwicklung besser entsprechen zu können, sind die Entscheidungsgremien der Partei häufiger als bisher zusammenzurufen und so zu leiten, dass in ihnen die Meinung der Mitglieder authentisch zum Ausdruck kommt. Die Kreisdelegiertenkonferenzen sollten jährlich tagen, die Bezirksdelegiertenkonferenzen und der Parteitag zwei- bis dreimal innerhalb von fünf Jahren.

11. 2. Die Profilierung des Beitrages der Partei in der Gemeinschaft des Demokratischen Blocks - Profil gewinnt eine kleinere, der führenden Kraft im Demokratischen Block nachgeordnete Partei wie die CDU vor allem durch die Vorschläge, die sie in die gesellschaftlichen Meinungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen hat. Intern ist in dieser Hinsicht Anerkennenswertes bereits früher geschehen. Damit solche Mitarbeit aber für die Mitglieder und für die gesamte Öffentlichkeit erkennbar und vor allem auch unterstützbar bleibt, ist auf unbedingte Durchsichtigkeit und prinzipielle Öffentlichkeit der Beratungen im Block dringen zu dringen.

12. Auch die Parteitage der CDU sollten stärker als bisher zur öffentlichen Erörterung und Verabschiedung ganz konkreter eigenständiger Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme genutzt werden. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, sie jeweils vor den Parteitagen der SED abzuhalten. Im Falle des 17. CDU-Parteitages ist aus organisatorischen Gründen eine Vorverlegung nicht mehr möglich. Aus diesem Grunde schlagen wir dem Hauptvorstand vor, für März/April 1990 eine in ihrer Zusammensetzung noch zu bestimmende Mitarbeiterkonferenz einzuberufen, welche die Vorschläge der CDU für den XII. Parteitag der SED berät und beschließt.

[Der XII. Parteitag der SED wurde auf dem 7. ZK-Plenum, Anfang Dezember 1988 vom Frühjahr 1991 auf den 15. bis 19. Mai 1990 vorverlegt.]

13. Die Vertreter der CDU sollten im Demokratischen Block die Frage zur Diskussion stellen, wie die Zahl der von den Blockparteien besetzten Regierungsfunktionen der gewachsenen Qualität der Zusammenarbeit besser entsprechen kann. Es geht dabei nicht um die Durchsetzung eines konsequenten Parteienproporzes. Aber mit Recht wird in der Mitgliedschaft und in der Öffentlichkeit das Maß der politischen Mitverantwortung auch am Umfang des personellen Engagements abgelesen. Der Hauptvorstand steht vor der Aufgabe, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um geeignete Parteimitglieder zur Übernahme von Leitungsfunktionen in allen Bereichen der Gesellschaft zu befähigen. Auf Regierungsebene muss es mittelfristig möglich sein, entsprechend der Volkskammerzusammensetzung, drei bis fünf Minister und eine angemessene Zahl von Staatssekretären zu stellen.

14. Weiter ist seitens der CDU zu klären, ob es unter den heutigen Bedingungen nicht den Prinzipien des Demokratischen Blockes besser entsprechen würde, wenn die kleineren Blockparteien auch auf Bezirks- und Kreisebene in angemessener Zahl die Funktionen von Vorsitzenden der Räte übernähmen.

15. 3. Entschlossenes Herangehen an gesamtgesellschaftliche Probleme - Die CDU steht gegenüber der gesamten Gesellschaft in der Pflicht, sich der Situation unseres Landes, wie sie wirklich ist, zu stellen. Im folgenden benennen wir einige Probleme, die dringend der Lösung bedürfen. Sie stehen beispielhaft für andere, die nicht weniger wichtig sind.

16. Förderung der öffentlichen Meinungsbildung - Um die öffentliche Meinungsbildung zu fördern, legen wir Wert darauf, dass dieser unser Brief, der eine Vertiefung der gesellschaftlichen Mitverantwortung der CDU in der DDR zum Ziel hat, möglichst viele Menschen erreicht. Entschieden wenden wir uns gegen das durchsichtige Argument, Offenheit m der Informationsgebung und in der Kommentierung nutze dem Klassenfeind. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Medienpolitik, die auf Verdrängen, Verschweigen und Beschönigen setzt, macht ihre eigenen Sachanliegen unglaubwürdig, verärgert die Menschen und öffnet den Westmedien weite Räume in der publizistischen Landschaft der DDR.

Sie stellt nach unserer Erkenntnis eine der Hauptursachen im Bereich der Ausreiseproblematik dar.

17. Aus diesem Grunde muss die CDU-Presse vorhandene Ansätze zu einer realistischen Widerspiegelung der gesellschaftlichen Zustände entschlossen weiterführen. Die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Redaktionen ist zu stärken. Es darf nicht mehr vorkommen, dass die Parteisekretariate in die Details der Redaktionsführung eingreifen. Die CDU-Zeitungen sollten sich nicht länger nur als "Organe" ihrer Parteileitung verstehen, sondern vor allem als Plattform eines umfassenden Dialogs in Partei und Gesellschaft. Der Leserdiskussion ist mehr Raum zu widmen.

18. Die CDU dringt im Ministerrat und bei anderen Verantwortungsträgern darauf, dass Geheimhaltungsvorschriften in ihrer Gesamtheit überprüft und auf das notwendige Minimum reduziert werden. Vor allem im Bereich der Umweltproblematik, deren Lösung eine umfassende Unterrichtung und Motivierung der Bürger voraussetzt, sind alle Informationsbarrieren zu beseitigen und durch die Verpflichtung zu ersetzen, ermittelte Daten möglichst umfassend der Öffentlichkeit mitzuteilen.

19. Die begrüßenswerte Entwicklung zum sozialistischen Rechtsstaat ist seitens der CDU nach Kräften zu unterstützen. Die Partei sollte sich ohne Vorbehalt die Forderung zu eigen machen, dass künftig alle Verwaltungsentscheidungen gegenüber dem Bürger begründet werden müssen und gerichtlich nachprüfbar sind. Die Begründung muss so erfolgen, dass sie vom Bürger auch verstanden werden kann.

20. Weiter erwarten wir, dass die Partei zu ergründen versucht, welche strukturellen Bedingungen in der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Organisation dazu führen, dass Menschen bevormundet werden. Erscheinungen obrigkeitlichen Denkens und bürokratischen Umgangs mit den Menschen in Partei und Gesellschaft ist entgegenzutreten.

21. Die Mündigkeit des Bürgers respektieren - Die Vorgänge bei den letzten Kommunalwahlen haben im Problembereich "Mündigkeit des Bürgers" die Frage eines zeitgemäßen Wahlverfahrens nachdrücklich stellen lassen. Es ist ein Wahlverfahren anzustreben, das dem erreichten Entwicklungsstand unserer Gesellschaft Rechnung trägt und dem Wählerwillen uneingeschränkt und glaubhaft Ausdruck verleiht. Es spricht für die politische Reife der Bürger, dass viele von ihnen das historisch überholte Verfahren, nach dem die Kommunalwahlen 1989 noch durchgeführt wurden, kritisch angefragt haben und auf Veränderung drängen. Die Wahlfrage hat einen so hohen Stellenwert gewonnen, dass ihre juristische Neuregelung zu jenen Gesetzesvorhaben gehört, die laut DDR-Verfassung in einer umfassenden Volksaussprache zu behandeln sind. Wir bitten die Parteiführung der CDU, ihren Bündnispartnern entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Wir halten es für ganz ausgeschlossen, dass die nächsten Wahlen zur Volkskammer und zu den Bezirkstagen noch unter den alten Bedingungen durchgeführt werden.

22. Die Mündigkeit des Bürgers wird missachtet, wenn man ihm die Möglichkeit nimmt, sich in den Auseinandersetzungen der Zeit aus Für und Wider der Meinungen ein eigenes Urteil zu bilden. Die Streichung der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" von der Postzeitungsliste ist unter der Verantwortung des Ministers erfolgt, den die CDU gegenwärtig im Ministerrat stellt. Die Unangemessenheit dieses Vorgangs ist von Persönlichkeiten aus Kunst und Gesellschaft benannt worden, vor allem wird sie von den bisherigen Abonnenten und Lesern empfunden. Wir fordern den Hauptvorstand auf, auf den ihm angehörenden Minister einzuwirken, damit der Vertrieb des "Sputnik" ab Januar 1990 in der DDR wieder möglich wird. Eingaben von der Mitgliederbasis an den Minister können diese Forderung unterstützen.

23. Reisefragen den ihnen zukommenden Rang beimessen - Die Möglichkeit, nach eigenem Ermessen ins Ausland reisen zu können, stellt für die meisten DDR-Bürger einen außerordentlich hohen Wert dar. Der Reisefrage kommt daher bei politischen Entscheidungen eine hohe Priorität zu. Das gilt u. a. auch im Vergleich mit wirtschaftlichen Problemen. Die Bürger müssen die Sicherheit haben, dass vorhandene Reisemöglichkeiten auf jeden Fall erhalten bleiben und dass die Staatsführung beharrlich weitere anstrebt. Der Eindruck ist zu vermeiden, als handele es sich bei den DDR-Bürgern gewährten Reisemöglichkeiten um Zugeständnisse an fremde Regierungen, die entsprechend politisch zu honorieren bzw. rücknehmbar sind.

24. Entwicklungen, wie sie in der Ausgestaltung der Reiseverordnung vom 30. 11. 88 zu beobachten sind, sollten von der CDU mit eigenen Vorschlägen begleitet und unterstützt werden. Dies muss erfolgsorientiert geschehen; denn die Bereitschaft, Geduld zu zeigen, nimmt in der Bevölkerung und vor allem, unter jungen Leuten sichtlich ab. Eine qualitativ höhere Stufe, die nach 40 Jahren DDR erreichbar sein muss, würde dann gegeben sein, wenn jeder Bürger prinzipiell ein Recht auf Auslandsreisen hat, das nur in begründeten Fällen eingeschränkt werden darf.

25. Im Hinblick auf die sozialistischen Länder ist allen Tendenzen zur Einschränkung der Reisemöglichkeiten entgegenzuwirken und auf schrittweise Erleichterungen zu drängen.

26. Hinsichtlich der Reisen von Bürgern anderer Staaten in die DDR ist davon auszugehen, dass diese in einem hohen Maße auch im Interesse der besuchten DDR-Bürger liegen. Restriktionen bei der Visaerteilung an Bürger, die legal aus der DDR ausgewandert sind, halten wir nicht für sinnvoll. Sie wirken kleinlich und schädigen das Ansehen der DDR.

27. Wir regen eine Initiative des CDU-Hauptvorstandes zugunsten der Menschen im Grenzsperrgebiet an. Auch sie sollten in Zukunft in die Lage versetzt werden, Besuch aus der BRD zu empfangen.

28. Wirtschaftsprobleme offenlegen - Für die Ausreiseproblematik, aber auch für das politische Klima im Lande sind Wirtschaftsfragen von großer Bedeutung. Wir haben den Eindruck, dass die seit Jahren eingeleiteten Wirtschaftsreformen wesentlich schneller vorangetrieben werden müssen. Auch sind sie entschlossener an die sich rasch ändernden Bedingungen anzupassen, Das System der Planung darf nicht zur Bürokratisierung der ökonomischen Prozesse führen. Vor allem müssen die Werktätigen ideell wie materiell angeregt werden, sachkundig, kreativ und einsatzbereit mitzuwirken.

29. Voraussetzung dafür ist, dass die Probleme der Wirtschaft unbeschönigt offengelegt werden. Bisher machen die Bürger nur zu oft die Erfahrung, dass die öffentliche Darstellung der wirtschaftlichen Erfolge mit ihrer eigenen Wirklichkeit als Produzenten und Konsumenten von Waren und Dienstleistungen nicht übereinstimmt. Die CDU sollte tatkräftig dazu beitragen, dass auf allen Ebenen eine realistische Sicht ökonomischer Fakten gewonnen wird, und dabei mit den ihr gehörenden Betrieben der VOB Union mit gutem Beispiel vorangehen.

30. Wir bitten alle Unionsfreundinnen und Unionsfreunde, unsere Vorschläge zu prüfen, sie im Kreise der Mitglieder und Parteigremien zu diskutieren und sie gegebenenfalls in ihren jeweiligen parteilichen und gesellschaftlichen Wirkungsbereichen zu unterstützen.

Weimar, den 10. September 1989

Der Brief ist unterzeichnet von

Martina Huhn, Mitglied der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Hopfgarten;
Martin Kirchner, Oberkirchenrat, Eisenach;
Christine Lieberknecht, Pastorin, Ramsla;
Dr. Gottfried Müller, Kirchenrat, Weimar

Neue Zeit, Do. 26.10.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 252, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands


Zur Kontaktaufnahme mit den Unterzeichnern wurde ein Postfach und eine Telefonnummer veröffentlicht, mit dem Hinweis, diese Adresse steht für Fragen, Kritiken und Meinungsäußerungen zur Verfügung. Den Unterzeichnern des Briefes wurde der Parteiausschluss angedroht. Wesentlich verfasst wurde der Brief vom Chefredakteur der thüringischen Landeskirchenzeitung "Glaube und Heimat", Gottfried Müller. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Christliche Kreise bei der Nationalen Front im Bezirk Gera. Im wurde die Verdienstmedaille der Nationalen Front im Herbst 1989 verliehen.

Auf der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirche in Eisenach vom 15.09. bis 19.09.1989 konnte Gottfried Müller den Brief weiter bekannt machen, auch der westdeutschen Presse.


Auszug aus einem Kommentar in der "Neuen Zeit", Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands.

"In den Mitgliederversammlungen und auf anderen Parteiveranstaltungen äußern die Freunde ihre Meinung, machen Vorschläge, üben Kritik. An ihre Parteivorstände richten sie Fragen und Anregungen. Das wird ernst genommen, beraten und in praktische Politik umgesetzt. So sieht das die Satzung der CDU vor, und so wird es tausendfältig gehandhabt.

Solcher innerparteilichen Demokratie, dem Geist des vertrauensvollen Umgangs zwischen Unionsfreunden widerspricht es, wenn sich Parteimitglieder - wie das am Wochenende in Eisenach geschehen ist - an eine internationale Öffentlichkeit wenden, zumal wenn diese vier Mitglieder vom betreffenden Leitungsgremium der CDU zu einem klärenden Gespräch über ihre Überlegungen eingeladen sind und diese Einladung von ihnen dankbar angenommen wurde. Wer Diskussion fordert, aber das Gespräch durch solches Verhalten belastet, der muss sich die Frage nach der Redlichkeit seiner Absicht stellen lassen.

Unser Staat und seine gesellschaftlichen Kräfte stehen gegenwärtig wieder einmal im verstärkten ideologischen Kreuzfeuer jener Kreise, die offen darauf ausgehen, den Sozialismus zu destabilisieren und schließlich zu beseitigen. Dabei sind ihnen alle Mittel recht: Deshalb achten wir sehr darauf, dass ihnen kein Wasser auf dies Mühlen des Nervenkriegs gegen unsere Republik und ihre Bürger geleitet wird.

Was wir christlichen Demokraten hingegen jetzt tun wollen und werden, das ist die verstärkte Arbeit für den Sozialismus, im Bündnis, bei der ständigen demokratischen Ausgestaltung unserer Gesellschaft, eben weil es uns um den Frieden und den Nächsten geht."

Neue Zeit, Di. 19.09.1989

Im Haus des Hauptvorstandes der CDU in Berlin führten die Mitglieder des Präsidiums und Sekretäre des Hauptvorstandes Adolf Niggemeier und Dr. Werner Wünschmann ein Gespräch mit den Unionsfreunden Pastorin Christine Lieberknecht, Ramsla, Oberkirchenrat Martin Kirchner, Eisenach, und Kirchenrat Dr. Gottfried Müller, Jena, die einen "Brief aus Weimar" an den Hauptvorstand und weitere Vorstände der Partei gesandt hatten.

Die Unterzeichner des Briefes heben hervor, dass der Brief keinerlei Plattform für eine innerparteiliche oder gesellschaftliche Opposition darstelle. Es gehe ihnen vielmehr darum, vor allem Probleme der innerparteilichen Demokratie, der Zusammenarbeit im Parteienbündnis und der gesellschaftlichen Entwicklung zu benennen und so an der Erörterung der Ziele und Aufgaben der CDU teilzunehmen. Sie wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Verantwortung der CDU in der Gemeinschaft des Demokratischen Blocks mit unverwechselbarem Profil weiter ausgestaltet wird, um die DDR und ihre sozialistische Demokratie in Stabilität weiterzuentwickeln.

Das Gespräch bestätigte, dass sich die genannten Anliegen mit Zielstellungen des 16. Parteitages und mit vielen Bemühungen der Freunde in den Ortsgruppen treffen. Adolf Niggemeier und Dr. Werner Wünschmann erklärten, dass der innerparteiliche demokratische Gesprächsprozess auch mit den Unterzeichnern des Briefes fortgesetzt wird. Die gewählten zentralen Organe der Partei werden die Ergebnisse der Meinungsbildung in den Parteiverbänden einschätzen und die daraus folgenden politischen Schritte beraten und festlegen.

Neue Zeit, Mo. 09.10.1989

Anmerkung zum "Brief aus Weimar"

Unser "Brief aus Weimar an die Mitglieder und Vorstände der Christlich-Demokratischen Union" vom 10. September 1989 wurde jetzt in unserer Parteipresse abgedruckt. Damit hat jedes CDU-Mitglied die Möglichkeit, sich mit dem Text vertraut zu machen. Allerdings hat ihn die bisherige Entwicklung zum Teil schon eingeholt. Manche Aussagen sehen wir im Ergebnis der lebhaften Diskussion an der Parteibasis inzwischen in einem neuen Licht. Das betrifft unter anderem den Absatz 12 unseres Briefes. Wir sind - wie viele Freunde in der Partei - zur Überzeugung gelangt, dass nur ein bald stattfindender Parteitag die Probleme zu lösen vermag, die vor der CDU in unserem Land stehen.

Wir danken allen Freunden für Mitdenken, Mitstreiten und für die Bereitschaft, entschlossen den Weg zur Erneuerung der Partei weiter zu gehen.

Dr. Gottfried Müller, Mitunterzeichner des Briefes aus Weimar

Neue Zeit, Fr. 27.10.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 253, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

Gottfried Müller sagte später in einem Interview: "Als ich dem damals stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Wolfgang Heyl den Brief persönlich übergeben hatte, sagte er spontan: 'Ihr traut euch was!' Er hat dann noch versucht die Verteilung zu unterbinden, aber nur mit begrenztem Erfolg."

union-magazin 2/2014


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