Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält der Kollege Werner Schulz das Wort.
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Gregor Gysi macht es sich natürlich etwas leicht: Das ist Sozialismus light, das neue Produkt aus dem alten Haus. Es gab natürlich in der DDR vor allen Dingen eine SED und viele Ableger, viele Vasallen. Es wäre, glaube ich, sinnvoll, Gregor Gysi, wenn Sie sich einmal mit Herrn Pohler zusammensetzen, um die Anteile Ihrer Schuld aufzuteilen. Denn, Herr Pohler, auch das hat mich amüsiert: Beim Reden ist Ihnen regelrecht die Spucke weggeblieben, als Sie über die sozialistische Misswirtschaft gesprochen haben, kenntnisreich, als ob Sie die sozialistische Misswirtschaft schon seit 1954 aus der Furche Ihrer Kriechspur bekämpft hätten.
Herr Bundesfinanzminister Waigel, wenn Sie über die Erblast sprechen, dann sollten Sie natürlich auch Ihren eigenen Anteil an dieser Erblast mit benennen. Wenn man die Bundesrepublik in den 50er Jahren mit den USA in eine Währungsunion gebracht hätte und die D-Mark zum Dollar im Verhältnis 1 : 1 umgestellt hätte - rein theoretisch -, dann wäre damals der Morgenthauplan in Erfüllung gegangen, der die völlige Verödung Deutschlands vorgesehen hatte. Es war natürlich auch ein Währungsschock ohne Therapie, den Sie ausgelöst haben. Daran sind viele Betriebe kaputtgegangen. Wenn Sie 1990 vollmundig unter dem Zeichen "Allianz für Deutschland" angetreten sind, dieser riesengroßen Versicherungsgesellschaft, dann sollten Sie sich vielleicht auch einmal Ihren eigenen Schadensfällen stellen. Das wäre zumindest angebracht.
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Schulz, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer gestatten?
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja.
Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Herr Schulz, würden Sie so nett sein, mir zu sagen, worin Sie denn die Schuld von Herrn Gysi sehen.
(Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: In Bezug auf die Wirtschaft!)
- Ja, besonders wegen seines beachtlichen Einflusses auf die Volkswirtschaft der DDR.
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schuld von Herrn Gysi sehe ich heutzutage darin,
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist ein Kabarett!)
dass er mit dieser gregorianischen Ein-Mann-Show, mit dem Programm "Ostalgysi" durch das Land zieht.
(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Quatsch!)
Das ist die Schuld, dass er die Leute heute für dumm verkauft.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)
Über die Treuhandanstalt haben wir in diesem Hause schon oft kontrovers diskutiert. Geholfen hat es bisher wenig.
Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung uns zur Fortführung der Arbeit dieser schillernden Institution vorgelegt hat, lässt erwarten, dass sich daran nichts ändern wird. Mein Eindruck ist der, dass diese Regierung in der Treuhandanstalt eine Anstalt zur Entsorgung der Vergangenheit sieht, aber auch zur Entsorgung ihrer eigenen Verantwortung, der Verantwortung von Helmut Kohl für den wirtschaftlichen Niedergang, für den industriellen Zusammenbruch in Ostdeutschland.
Sie sollten dabei aber nicht vergessen, dass Sie gleichzeitig mit der wirtschaftlichen Vergangenheit auch die wirtschaftliche Zukunft vieler Menschen in den neuen Bundesländern verdrängen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir, als das noch einen Sinn gemacht hätte, einen Entwurf für ein umfassendes Treuhandgesetz vorgelegt haben. Damit wollten wir Druck machen für eine vernünftige und energische Sanierungspolitik der Treuhandanstalt. Vergeblich.
Wir haben uns für die Einsetzung des Treuhand-Ausschusses eingesetzt. Den gibt es zwar, aber Bundesregierung und Treuhandanstalt führen ihn an der Nase herum. Nachdem die Ohnmacht dieses Ausschusses unübersehbar wurde und die Skandale in der Treuhand sich häuften, haben wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert. Doch auch der wird mit allerlei Tricks von den Koalitionsfraktionen und auch von manchen Landesregierungen an wirksamer Aufklärung gehindert.
Da stellt sich z. B. Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf quer, wenn es darum geht - wir haben es gerade gehört -, die Protokolle des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt, dem auch die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder angehören, in die Untersuchungen des Ausschusses einzubeziehen. Dies sei mit der föderalen Ordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Wer darf dann überhaupt noch die Entscheidungen des höchsten Treuhandgremiums überprüfen? Der Untersuchungsausschuss des Bundestages darf es angeblich nicht. Die Landtage dürfen es allenfalls teilweise, doch auch das wird von Unionsabgeordneten bezweifelt.
Das traurige Ergebnis dieser Posse: Am Ende dürfen nur die beiden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Einsicht in die Protokolle nehmen. Aber welche Konsequenz soll das haben? Werden die Einsichten, die Otto Schily und Gerhard Friedrich aus der Lektüre der Verwaltungsratsprotokolle gewonnen haben, im Abschlussbericht des Ausschusses enthalten sein, womöglich geschwärzt, damit niemand sie lesen kann?
Jetzt legt uns die Bundesregierung ein Gesetz zur Abwicklung der Institution vor, die zu weiten Teilen die Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft besorgt hat. Auf eine ehrliche Bilanz und eine Schwachstellenanalyse ihrer Arbeit verzichtet die Bundesregierung wohlweislich. Sie belässt es bei der Feststellung, die unerwartet erfolgreiche Privatisierungsbilanz der Treuhandanstalt erfordere ein neues Konzept für die Zeit nach 1994. Dagegen lässt sich zu Bilanz und Schwachstellen doch noch einiges mehr sagen, was auch für die Zukunft von Bedeutung sein könnte.
Die "unerwartet erfolgreiche Privatisierungsbilanz" liest sich aus der Sicht der ostdeutschen Bürger wie folgt: Die Industrie in Ostdeutschland ist zum großen Teil zusammengebrochen, zerlegt oder auf ein Miniaturmaß geschrumpft. Jeder zweite Arbeitsplatz aus DDR-Zeiten ist verlorengegangen. Da würde es sich doch wohl lohnen, genauer zu analysieren, wie das möglich war. Es ist doch wohl allzu einfach, für alle negativen Entwicklungen der letzten Jahre stereotyp die Misswirtschaft der DDR verantwortlich zu machen und die eigene Misswirtschaft, die eigenen Fehler unter den Teppich zu kehren.
Auch da gibt es einiges festzuhalten. Ich kann das hier nur in Stichworten tun. Da gibt es mangelnde Kenntnis der zu privatisierenden Unternehmen, haarsträubende Eröffnungsbilanzen, unfaire Ausschreibungsverfahren, schlampige Bonitätsprüfungen, schlampige Dokumentation von Vertragsverhandlungen, mangelnde Absicherung von Forderungen.
Hinzu kommt eine passive Aufsicht des zuständigen Finanzministers, die ihre Entsprechung in einer intransparenten Informationspolitik und der Abwehr jeglicher Aufsicht durch die Treuhand findet. Die parlamentarische Kontrolle konnte, wie wir alle wissen, diese Lücken nicht schließen. Diese Erfahrungen müssten für die weitere Arbeit aufbereitet und berücksichtigt werden, doch die Bundesregierung verfährt, wie so oft, nach dem Motto: Augen zu und durch!
Was bleibt zu tun? Die Sanierung und Privatisierung der verbliebenen Treuhandunternehmen muss qualifizierter und sorgfältiger als bisher fortgeführt werden. Die Treuhandanstalt darf nicht immer weiter Arbeitslose produzieren. Die Kontrolle der vertraglichen Zusagen muss sichergestellt, der Verkauf der Liegenschaften fortgeführt werden. Dabei ist besonders wichtig, dass die verbleibende Arbeit künftig besser auf die Interessen und Bedingungen der ostdeutschen Länder zugeschnitten wird.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht wenig geeignet, diese Ziele zu erfüllen und die Arbeit der Treuhandanstalt sinnvoller als bisher fortzuführen. Er trägt nicht zu einer Verbesserung der Aufsicht über die Treuhand bei. Die Bundesregierung will sich offenbar weiter hinter der Treuhand verstecken.
Angesichts des zu erwartenden Bedeutungsverlustes des Verwaltungsrates schrumpft auch der Einfluss der Länder. So wird genau das Gegenteil einer stärkeren Einbindung der Länder erreicht. Ihnen ist es weiterhin nicht möglich, Entscheidungen der Treuhandanstalt oder ihrer Tochter- und Nachfolgegesellschaften zu überprüfen. Gleiches gilt für die Reprivatisierung, besonders für den Verkauf von Grund und Boden. Auch hier sind die Länder ohne Einfluss.
Auch die unter sachlichen Gesichtspunkten sinnvollere Zuordnung der Sanierungsaufgaben zum Wirtschaftsminister wird nicht angestrebt. Statt dessen bleibt die Aufsicht beim Finanzminister.
Wenn wir hier über die Treuhandanstalt reden, dürfen wir eines nicht aus dem Auge verlieren. Wir können uns natürlich viele Gedanken machen, ob es sinnvoller ist, die verbleibenden Aufgaben der Treuhandanstalt beim Wirtschaftsminister oder beim Finanzminister anzusiedeln, doch eines ist gewiss: Solange die Alternative Theo Waigel oder Günter Rexrodt heißt, kann dabei nicht viel Gutes herauskommen.
Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 214. Sitzung, Bonn, Freitag, den 4. März 1994