Eppelmann: "Du bist halt eine arme Sau!"

Interview mit Rainer Eppelmann, Vorstandsmitglied des Demokratischen Aufbruch

taz: Sie bezeichnen Wolfgang Schnur unablässig als ihren Freund. Wird er das auch noch sein, wenn sich die Vorwürfe gegen ihn als gerechtfertigt erweisen?

Rainer Eppelmann: Versuchen wir uns mal die Situation vorzustellen, wir sind in Rostock mit diesen Vorwürfen konfrontiert worden und Wolfgang Schnur hätte gesagt: Sie bestehen zu Recht, ich bin's gewesen. Ich glaube, dann hätte ich ihn in meine Arme genommen, ihn gedrückt und gesagt: 'Du bist halt eine arme Sau!'. Ich hoffe, dass ich auch weiter zu ihm hätte sagen können, Du bist mein Freund. Jetzt hat er aber gesagt, er ist es nicht gewesen. Wenn er es nun trotzdem gewesen ist, ob ich dann noch das Vertrauen aufbringen könnte, das wage ich jetzt nicht mit Ja oder Nein zu beantworten.

Wolfgang Schnur hatte doch als Rechtsanwalt auf jeden Fall Kontakte mit dem Staatssicherheitsdienst?

Gar keine Frage. Aber das beweist gar nichts. Es ist die Rede von den Auszeichnungsbögen, aus denen hervorgehen soll, dass Wolfgang Schnur vier militärische Auszeichnungen erhalten hat. Dabei handelte es sich zum Beispiel um einen Kampforden und eine Verdienstmedaille der NVA, die vom 7. Oktober 1989 datiert. Wir haben vor kurzem einen Anruf von einem hohen ehemaligen Mitarbeiter, so hat er sich selbst bezeichnet, aus Magdeburg bekommen, der uns mitteilte, dass Erich Mielke - und die angeblich aufgefundenen Auszeichnungsbögen waren ja mit seinem Namen unterschrieben - solche Auszeichnungen blanko unterschrieben hat. Das bedeutet, dass man natürlich solche Papiere auch türken kann.

Sie sind ein "gebranntes Kind", was die Erfahrungen mit politischen Überwachungsdiensten betrifft. Gilt für Sie die Forderung nach deren genereller Abschaffung auch in einem vereinigten Deutschland?

Das ist für mich überhaupt keine Frage. Es spielt für mich überhaupt keine Rolle, mit welchem Vorzeichen ein solcher politischer Überwachungsdienst versehen ist. Ich bin immer dagegen.

... gilt das auch für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht?

Ich beantworte die Frage realpolitisch. Die Entwicklung in Europa geht für mich dahin, dass die Armeen und nicht nur die Armeen der beiden deutschen Staaten verkleinert werden. Ich weiß, dass es ernstzunehmende Konzepte gibt, um den Personalbestand der NVA abzuspecken. Da werden Zahlen um die 50 000 gehandelt. Dazu braucht man keine Wehrpflichtigen. Ich nehme an, dass noch in diesem Jahrhundert ein Großteil der Armeen in Europa nicht mehr auf Wehrpflichtige angewiesen sind, sondern Berufsarmeen sein werden.

Das Interview führte Stefan Schwarz

aus: taz-Ost Nr. 3055 vom 12.03.1990