Im Wahlkampf die Würde aller Beteiligten wahren

OZ-Gespräch mit Wolfgang Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruch

Missverständnisse bei einem Wohnungstauschversuch von Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, dem Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruch, hatten der "Ostsee-Zeitung" den Vorwurf einer Wahlkampagne eingebracht. Nunmehr ist die Angelegenheit durch alle Beteiligten geklärt. Wolfgang Schnur gewährte uns jetzt ein Interview bei dem es vor allem um die Partei "Demokratischer Aufbruch - sozial ökologisch" geht. Eingangs noch einige klärende Sätze zum Wohnungstausch.

Wolfgang Schnur: Am 2. Januar 1990 wurde durch die Beteiligten durch Unterschrift eine gemeinsame Mitteilung abgestimmt und auch noch einmal ausdrücklich hervorgehoben, dass ich persönlich freiwillig auf die Realisierung des Bezuges der Wohnung in Warnemünde verzichtet habe, weil mir bekanntgeworden ist, dass die mir übermittelte Zusage zum Wohnungsbezug in Warnemünde nicht zutrifft, und dass es für mich selbstverständlich war, mich an geltende gesetzliche Bestimmungen zu halten. In Gesprächen mit dem Oberbürgermeister Dr. Henning Schleiff am 22.12., am 27.12.1989 wurde zwischen ihm und mir ausdrücklich festgestellt, dass ich keine rechtswidrige Handlung begangen habe, weil ich darauf vertrauen konnte, dass die übermittelten Zusagen der Wahrheit entsprechen.

Ich persönlich möchte dafür insbesondere auch jetzt erklären, dass es mir wichtig ist, dass die tatsächlich dafür vorgesehene Familie die Wohnung beziehen kann, und dass ich zu keiner Zeit irgendwo eine soziale Notlage für eine Familie hervorrufen wollte. Es bleibt auch bei der gegebenen Zusage, dass nach dem Gespräch mit Oberbürgermeister Dr. Henning Schleiff und mir von beiden verbindlich erklärt worden ist, dass für beide Seiten die Wohnungsangelegenheit als erledigt anzusehen ist.

Sie haben sich über die Rolle der Medien geäußert und dabei von einer Kampagne gesprochen. Glauben Sie, dass die "Ostsee-Zeitung" gegen Sie oder gar gegen Ihre Partei eine Kampagne geführt hat oder führen wollte?

Wolfgang Schnur: Nach einem erst jetzt geführten persönlichen Gespräch mit zwei Vertretern der "Ostsee-Zeitung" und den mir dargelegten Haltungen über die Veröffentlichungen will ich gegenüber der "Ostsee-Zeitung" meine Einschränkung deutlich erklären, dass sie nur auf Grund der unterschiedlichen Mitteilungen ihre Veröffentlichungen vornahm.

Zum Demokratischen Aufbruch würde uns die Entstehungsgeschichte des DA Interessieren und die jetzige Situation in der Partei.

Wolfgang Schnur: Der Demokratische Aufbruch wurde von neun Mitbegründern in das Leben gerufen. Im August 1989 hatten sich Freunde zusammengefunden und waren der Auffassung, dass es wichtig und auch notwendig ist, in unserem Land über politische Veränderungen nachzudenken. Dies führte dazu, dass wir zunächst am 1. Oktober 1989 versucht haben, eine politische Vereinigung zu gründen. Dies wurde durch ein staatliches Sicherheitsaufgebot verhindert.

Wie wurde das verhindert?

Wolfgang Schnur: Durch starken, massiven Polizeieinsatz wurde die Gründung verhindert. Vielleicht auch hier einfach die Tatsache, dass sich bereits zu diesem Zeitpunkt eine wichtige Haltung für die Mitbegründer und auch meine Person durchgesetzt haben, dass wir auf jegliche Gewalt verzichtet hatten. Was zu einem ganz wichtigen politischen Anliegen auch unserer jetzigen Partei gehört. Der Demokratische Aufbruch ist dann am 29. und 30. Oktober 1989 in Berlin gegründet worden. Wir hatten zunächst den ersten Schritt vorgesehen, dies in Form einer politischen Vereinigung zu tun. Die Partei Demokratischer Aufbruch sozial und ökologisch wurde dann am 17.12.89 gegründet.

Können Sie Angaben machen zur Größe der Partei, zur Mitgliederschaft, aus welchen Kreisen sie sich vor allen Dingen zusammensetzt, wie sie organisiert ist, wie man Mitglied werden kann.

Wolfgang Schnur: Die Partei Demokratischer Aufbruch sozial ökologisch ist eine Partei, die sich auf das gesamte Gebiet der DDR erstreckt. Es kann jeder Bürger der DDR Mitglied werden, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat.

Die soziale Zusammensetzung unserer Partei ist so, dass wir einer, großen Teil von Intelligenz aus der Naturwissenschaft und der geistiger Intelligenz haben, aber auch sehe viele Menschen, die in Kleinbetrieben tätig sind. Der Hauptkonzentrationsschwerpunkt der Partei Demokratischer Aufbruch liegt in erster Linie in den südlichen Bezirken der DDR, der stärkste Landesverband ist Thüringen. Wir sind gerade dabei, so ist es auch in unserem Statut mit bestimmt, dass wir nach den Verwaltungsstrukturen des Jahres 1952 - damit auch deutlich immer in den Grenzen des Staatsgebietes der DDR - Landesverbände aufbauen. So sind wir auch gegenwärtig dabei, für Mecklenburg einen Landesverband zu gründen. Wir selbst haben gegenwärtig nur sechs hauptamtlich Beschäftigte insgesamt auf das Gebiet der DDR verteilt. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir uns ja jetzt erst ein Statut gegeben haben, gleichzeitig dass die Beitragspflicht jetzt wirksam wird, um auch persönlich dann durch eigene Beiträge der Mitglieder die Organisation zu ermöglichen. Auch durch Spenden von Bürgern, die unsere Arbeit unterstützen wollen.

Spenden auch aus dem westlichen Ausland?

Wolfgang Schnur: Gegenwärtig haben wir keine finanziellen Spenden bekommen, wir haben von Freunden Sachspenden bekommen, hier handelt es sich um zwei Kopiergeräte, eine elektronische Schreibmaschine und zwei Computer-Textverarbeitungssysteme.

Wie viel Mitglieder hat Ihre Partei?

Wolfgang Schnur: Wir haben in der DDR jetzt einen eingetragenen Mitgliederstand von 15 000.

Wie stellen Sie sich die Regierbarkeit des Landes nach den Wahlen vor?

Wolfgang Schnur: Hier muss ich deutlich sagen, jede Partei, die sich der Wahl stellt, möchte natürlich mit ihrem Wahlprogramm den Bürger erreichen. Dies soll einfach dadurch geschehen, dass z.B. die Partei Demokratischer Aufbruch sozial, ökologisch den Bürgern deutlich machen will, dass sie eine Zukunft gewährleistet und gesichert bekommen, und dass es deshalb auch um jede Stimme für diese Partei gehen wird, um Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ich glaube, man kann ohnehin ja erst konkret nach dem 6. Mai 1990 genau klären, wer möglicherweise stärkste Partei ist, wird deutlich die Frage herauskristallisiert, mit welcher Partei geht man ein Bündnis ein. Ich hoffe, dass es in einem wirklich fair, fair demokratisch geführten Wahlkampf dazu kommt, dass der Bürger für sich klar entscheiden kann, welcher Partei er die Regierungsverantwortung übertragen will. Klar ist auch, dass die in diesem demokratischen Prozess gewählten Parteien sich dann nach der Wahl verständigen müssen, wie sich eine Regierung zusammensetzen soll.

Jede Partei, die sich zur Wahl stellt, nimmt ja für sich in Anspruch, regierungsfähig zu werden bzw. auch an der Regierung beteiligt zu werden. Aber gleichzeitig muss jede Partei auch in der Lage sein, die Oppositionsbank zu bilden. Ich glaube, hier wird es sich erweisen, ob es gelungen ist, den Demokratisierungsprozess des Staates und der Gesellschaft so, zu vollziehen, dass es stets darauf ankommt, dass jede Partei die ihr dann obliegende Verantwortung entweder allein oder mit anderen zur Regierungsverantwortung wahrnehmen muss und vor allen Dingen auch das, was ja ein wichtiger neuer Lernprozess gerade in diesem Land wichtig ist, dass es eine wirkliche Opposition gibt, die doch auch ein Korrektiv dann zu der jeweiligen Regierung darstellen soll.

Sie sprachen eingangs davon, dass Sie den Menschen neue politische Wertorientierungen geben wollen.

Wolfgang Schnur: Ich denke, ein wichtiger Punkt, der die Frage der Wertorientierung für uns darstellt, ist ganz entscheidend bereits in der Präambel unseres Parteiprogramms vom 17. Dezember 1989 aufgenommen, dass insbesondere das politische Wollen und Handeln wirklich dadurch bestimmt ist, dass wir uns von den Menschenrechten mit den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität leiten lassen. Es ist hierbei wichtig, dass die Freiheit für uns ungezwungener Entfaltung und Selbstbestimmung jedes Menschen zur Wahrung seiner Würde bedeutet. Es ist ganz wichtig, diese Freiheit mit dem Anspruch eines jeden Menschen zu setzen, nämlich dass er Anspruch auf eine Umwelt hat, die ihn körperlich und geistig nicht vergiftet. Ich glaube, dass es auch wichtig Ist, solche Grundwerte der Gerechtigkeit unter dem Maßstab des wirklich gleichen Rechtes und der gleichen Lebenschancen mitgegeben wird.

Gerade deshalb haben wir uns für eine soziale Marktwirtschaft politisch entschieden, die jedoch auf deutlicher ökologischer Grundlage gestaltet wird, damit tatsächlich wir auch notwendigerweise die damit verbundenen Aufgaben der eigenen Lebenssicherung in unserem Land, aber auch Aufgaben für die dritte Welt oder im Verbund einer weiten Friedensordnung in Europa und der Welt mit sichern wollen.

(Mit Wolfgang Schnur sprachen Gerd Spilker und Thomas Fischer)

aus: Ostsee-Zeitung, 18.01.1990

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