Zum SPD-Konzept:

Unkalkulierbar

(Interview mit Hans-Jürgen Fischbeck, Sprecher von DEMOKRATIE JETZT)

DIE ANDERE: DEMOKRATIE JETZT hat in Ihre Programmaussagen aufgenommen, dass der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft nur schrittweise erfolgen kann. Sie streben eine konvertierbare Ostmark mit möglichst geringer Inflation und ohne einmaligen Währungsschnitt an. Was bedeutet das für die Wirtschaftspolitik nach dem 18. März [Volkskammerwahl]?

Fischbeck: Eine konvertierbare Währung muss durch eine exportfähige und rentable Wirtschaft gedeckt sein. Eine Übergangsphase in Rechnung gestellt, sind die Voraussetzungen gegeben, dieses Ziel zu erreichen. Es müssen sich Wirtschaftszweige herausbilden, die international wettbewerbsfähig sind und mit unseren Ressourcen und unseren Arbeitskräften aufgebaut werden können. Andere Zweige müssen eingestellt oder umstrukturiert werden. Dieser Prozess lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen.

DIE ANDERE: Was müssen die ersten Schritte dieses Prozesses sein?

Fischbeck: Der erste Schritt - darüber sind sich alle einig - muss eine Preis- und Lohnreform sein, also die Umwandlung produktgebundener Subventionen in personengebundene Zulagen zum Einkommen. Gleichzeitig müssen die Betriebe zu juristisch und ökonomisch unabhängigen Einheiten werden. Das sind Grundvoraussetzungen für jede Marktwirtschaft.

DIE ANDERE: Erst dann wird das nötige Kapital fließen?

Fischbeck: Nur wenn unsere Produkte auf dem Weltmarkt abgesetzt werden können, strömt Kapital ins Land. Auch das renommierte DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Westberlin) ist der Meinung, dass deshalb die Option einer Abwertung der eigenen Währung offengehalten werden muss. Andernfalls ist mit Massenarbeitslosigkeit zu rechnen. Ausländisches und besonders westdeutsches Kapital zur Erneuerung der Produktionsanlagen ist notwendig, weil unsere Wirtschaft an einer Überalterung der Grundfonds leidet. Es gibt aber einen entscheidenden ökonomischen Vorteil. Wir haben gut ausgebildete Arbeitskräfte, die an modernisierten Anlagen konkurrenzfähige Produkte herstellen können.

DIE ANDERE: Und dieser Innovationsschub ist ohne Währungsreform möglich?

Fischback: Der gravierendste Unterschied zur bundesdeutschen Wirtschaft besteht darin, dass wir eine Produktivitätsdifferenz von 40 % haben. Zwei Länder mit derart unterschiedlichen Wirtschaften können keine gemeinsame Währung haben.

DIE ANDERE: Das von der SPD vorgelegte Konzept beruht darauf, sofort eine Währungsunion mit der Bundesrepublik zu schaffen, als Initialzündung zur Ankurbelung der Wirtschaft.

Fischbeck: Ein solches Konzept enthält unkalkulierbare Risiken: Der Vorschlag der SPD läuft darauf hinaus, dass die Währungsunion vor der Wirtschaftsunion herbeigeführt wird. Gleichzeitig wird nämlich gesagt, dass unsere Wirtschaft durch Zollgrenzen vor dem Schock der weltwirtschaftlichen Konkurrenz geschützt werden müsste. Ferner muss man damit rechnen, dass in der DDR verdiente DM entweder nicht hier ausgegeben oder dass in unsere Geschäfte in großem Maße westliche Waren gelangen werden.

DIE ANDERE: Was bedeutet, dass bei uns die Ladenhüter des Westens losgeschlagen werden?

Fischbeck: Nicht nur das. Auch die Produkte unserer Wirtschaft würden nicht mehr gekauft werden. Unsere Betriebe hätten keine Chance, rentabel zu werden. Ich befürchte, dass viele Betriebe unter einem solchen ökonomischen Schock einfach zusammenbrechen und halte den SPD-Vorschlag für unverantwortlich.

DIE ANDERE: Lassen sich die Folgen für das soziale Gefüge absehen?

Fischbeck: Die wirtschaftlichen Verhältnisse würden wirklich chaotisch werden. Das würde den Übersiedlerstrom nicht bremsen, sondern anschwellen lassen. Geordnete Verdienstmöglichkeiten bestünden nicht mehr. Die Zeche hätten sozial Schwache zu zahlen, die sich unter solchen Verhältnissen nicht mehr etablieren können. Die soziale Stabilität wäre extrem gefährdet.

DIE ANDERE: Dennoch ist im SPD-Papier zu lesen, dass der Runde Tisch die Regierung zu sofortigen Verhandlungen zur Währungsunion auffordert. Ist man sich über die sozialen Konsequenzen nicht im klaren gewesen?

Fischbeck: Nach den Vorstellungen der SPD geht der Wirtschaftsunion die Währungsunion voraus. Wir meinen umgekehrt, dass erst mit Erreichen der Konvertierbarkeit des bei uns er wirtschafteten Geldes die Währungsunion geschaffen werden kann. Über die Einleitung eines Prozesses zu verhandeln, der zu diesem Ziel führt, kann nicht falsch sein. So interpretiere ich die Empfehlung des Runden Tisches.

Das Gespräch führte Ludwig Mehlhorn.

aus: Die Andere, Nr. 4, 15.02.1990, Zeitung für basisdemokratische Initiativen im Auftrag des Landessprecherrates des Neuen Forum, herausgegeben von Klaus Wolfram

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