Kontrolle von unten

Filmemacher Konrad Weiß fordert die Überwachung des Staatsapparats durch Bürgerkomitees

INTERVIEW

taz: Ihr Appell an Regierung und BürgerInnen der DDR schlägt vor, "sofort die rechtliche Grundlage für die Arbeit von Bürgerkomitees zu schaffen". Diese Komitees sollen "in einer Sicherheitspartnerschaft mit den staatlichen Organen zunächst Kontrollaufgaben wahrnehmen, Beweismaterial sichern und bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mitarbeiten". Warum dieser Aufruf?

Konrad Weiß: Wir sind in Sorge, dass die gegenwärtige Verschleierungspraxis der Stasi und anderer staatlicher Behörden viel Unmut hervorgerufen hat, dass es zu spontanen Handlungen kommt, die letzten Endes auch Leib und Leben von Menschen gefährden.

Nun ging es am Montag in Leipzig und Rostock ja friedlich ab. Gibt es denn Befürchtungen aus anderen Städten?

So wie die Stimmung im Augenblick ist, kann ich mir vorstellen, dass das unter dem Einfluss zum Beispiel von extrem Rechten sehr schnell in Gewalttätigkeiten umschlägt. Oder dass der Volkszorn so aufbrandet, dass es zu Misshandlungen von Sicherheitsleuten kommt.

Wie kam der Aufruf so schnell zustande?

Ich bin am Montag Abend von Christa Wolf angerufen worden, bin dann in die Humboldt-Universität gefahren, wo sich die späteren Unterzeichner getroffen haben. Es gab dort einen "Appell an die Vernunft", der zunächst an die Bevölkerung adressiert war. Aber die Leute haben genug von Appellen. Man muss rechtliche Instrumente schaffen, die es der Opposition und den BürgerInnen ermöglichen, diese Übergangsregierung Modrow und die Organe des Staatssicherheitsdienstes und der Partei zu kontrollieren. Unser Kompromiss war dann, den Appell auch an die Regierung zu richten. Es geht darum, die Akten sicherzustellen und zu verhindern, dass weitere Leute sich absetzen können. Außerdem sollen Bürgerkomitees oder Untersuchungskommissionen den Regierenden beigeordnet werden. Das wäre so eine Art Kontrollregierung und Kontrollinstrumente in den Städten, Kreisen und Bezirken und natürlich bei der Stasi.

Wie kann denn verhindert werden, dass da Feierabendkontrolleure von den ausgefuchsten Bürokraten an der Nase herumgeführt werden?

Die Leute müssen von ihren Tätigkeiten freigestellt werden. Erstmal geht es um die Sicherstellung, die große Gefahr ist im Moment, dass die SED die Beweise beiseite schafft und Leute, die reden könnten, ins Ausland schickt.

Das Präsidium des Obersten Gerichts der DDR hat bereits "schnelle Anklagen" gegen diejenigen verlangt, die sich am Volksvermögen vergangen haben. Ist das ein geeignetes Mittel, um die Bevölkerung zu beruhigen - oder erinnert Sie das wie andere an Schauprozesse?

Ich halte überhaupt nichts von dieser Sündenbockpolitik. Schnelle Prozesse befriedigen zwar jetzt den Volkszorn, aber sie führen nicht zur Änderung der Strukturen. Mir geht es ausschließlich um die politische Aufarbeitung. Selbstverständlich müssen die Leute, die persönlich schuldig geworden sind, dann vor Gericht gestellt werden.

Kann man denn mit dem Rest der Justizbehörden in einer solchen Sicherheitspartnerschaft zusammenarbeiten?

Das ist das Kernproblem. Sowohl das Amt für Nationale Sicherheit wie die gesamte Justiz sind von der SED dominiert. Deshalb ja unsere Forderung, ihnen Nicht-SED-Mitglieder an die Seite zu stellen: dass bei den Amtsgeschäften eines Ministers oder Staatsanwaltes parallel eine Zeitlang jemand mitläuft und auch einen Teil der Aufgaben übernimmt - und zwar den ganzen Tag.

Interview: Michael Rediske

die tageszeitung, Mi. 06.12.1989, Ausgabe 2980

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