Aussagen vor der Volkskammerwahl
Konrad Weiß, Sprecher von Demokratie Jetzt
Wann und wie steht die deutsche Einheit auf der Tagesordnung?
Eine ganz eindeutige Aussage unseres Wahlbündnisses: Ja, wir wollen die Einheit. Aber als Ergebnis eines Prozesses der gegenseitigen Annäherung. Wir möchten, dass das, was aus unserer Geschichte - der persönlichen und der unseres Landes - bewahrenswert ist, auch erhalten bleibt.
Welche außen- und innenpolitischen Bedingungen sehen sie für eine Vereinigung beider deutscher Staaten?
Wir streben einen europäischen Friedensvertrag an und keinen deutsch-deutschen Alleingang. Wir dürfen durch die Einigung die Mauern nicht an die Oder verschieben. Der Einigungsprozess bringt die ganz große Chance einer Demilitarisierung mit sich, nur so ist ein einiges Deutschland für die Nachbarn zu ertragen. Selbstverständlich muss die Grenzfrage vor der Einigung geklärt sein. Darum halte ich den Anspruch Polens, in die 2 + 4-Verhandlungen einbezogen zu werden, für völlig gerechtfertigt.
In der DDR müssen wir unbehelligt freie Wahlen durchführen und den Demokratisierungs- und Umbauprozess ungestört durchsetzen können. Das ist natürlich schon die reine Illusion, denn die Einmischung aus der BRD ist sehr massiv. Deswegen auch hier der Gedanke einer Europäisierung. Wir haben uns als Bürgerbewegung Demokratie Jetzt mit der Bitte um Hilfe an die europäischen Nachbarn gewandt. Das Geld, das die DDR braucht, darf nicht nur aus der Bundesrepublik kommen.
Ein anderer wichtiger Aspekt: die Sanierung der Wirtschaft. Unser Ziel ist darum ein Wirtschafts- und Währungsverbund keine Union. Die heftigen Reaktionen der internationalen Börsen zeigen ja, dass die sofortige Währungsunion nur ein Flop wäre, der auch für Bundesbürger starke Belastungen brächte.
Was bringt die DDR an Werten in den Einigungsprozess ein, wie können sie geschützt werden?
Die breite Volksbewegung, hervorgegangen aus kleinen Bürgerbewegungen, könnte die erstarrte politische Landschaft der Bundesrepublik beleben. Und es gibt eine ganz eigenständige Kunst und Kultur.
Soziale und andere Rechte der DDR-Bürger müssen gesetzlich fixiert werden. Um die Ergebnisse der Bodenreform, den Grund und Boden, die Immobilien zu sichern, könnte es ein Moratorium mit der Bundesrepublik geben, den Status quo fünf Jahre nicht zu verändern und in diesem Zeitraum derartige Probleme zu klären.
Die Gespräche führte
Bettina Urbanski
aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 45, 22.02.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.