Für Besonnenheit in schneller, erregter Zeit
BZ-Gespräch mit Konrad Weiß zur Arbeit am Runden Tisch
Mit Konrad Weiß, Filmemacher und Sprecher der Bürgerinitiative Demokratie jetzt, sprach BZ über die Ereignisse in der Normannenstraße und über die Arbeit des Runden Tisches.
BZ: Die Nachricht von der Besetzung des Gebäudes der ehemaligen Staatssicherheit durch Demonstranten bewog am Montag die Teilnehmer des Runden Tisches, sofort dorthin zu fahren. Gab es ein Gefühl gemeinsamer Verantwortung für diese Vorgänge?
K. Weiß: Als uns die Information der Volkspolizei erreichte, verständigten wir uns ganz schnell. Es gab keinen Dissens zwischen der Opposition und den alten Parteien und Organisationen, dass wir uns sofort über die Medien an die Bürgerinnen und Bürger wenden und dann in die Normannenstraße fahren, um an Ort und Stelle Einfluss zu nehmen.
Ibrahim Böhme und ich, wir hatten dann dort Herrn Ministerpräsident Modrow durch die Menschenmenge hindurch zur improvisierten Bühne geleitet. Mit großem Respekt habe ich gesehen, wie Herr Modrow die Rufe gegen die SED - emotional sehr berührt auf überzeugende Art und Weise wirklich ertragen hat. Ich glaube, er hatte sogar Verständnis dafür, dass die Leute berechtigtem Zorn Ausdruck gaben.
Die Mehrheit wollte keine Gewalt
BZ: Wut ist selten ein guter Ratgeber. Sie ist es gleich gar nicht, wenn sich so viele Menschen vor einem Objekt, das Sinnbild der Unterdrückung ist, zusammenfinden.
K. Weiß: Die Menschen waren teilweise selber bestürzt über das Geschehene, denn die Mehrheit wollte durchaus gewaltfrei demonstrieren. Einige haben die Situation ausgenutzt, sind aggressiv geworden. Ein entsprechendes Bild bot sich, als wir das Gebäude betraten. Die Zerstörungen sind aber bestimmt nicht von jenen Leuten angerichtet, die hier vom Sicherheitsdienst als politisch Verfolgte in die Zange genommen worden sind. Von ihnen, von meinen Freunden, traf ich einige. Sie waren sehr still und nachdenklich.
Vergangenheit muss aufgearbeitet werden
Später hatte ich dann Gelegenheit, selbst Akten aus einem aufgebrochenen Zimmer in die Hand zu nehmen. Ich bin erschrocken über die ganze Rechtlosigkeit, die es gab. Dennoch kann ich nicht billigen, was sich Montag hier zutrug. Die schreckliche Vergangenheit muss unter Wahrung von Recht und Ordnung aufgearbeitet werden.
Es war, denke ich im Nachhinein, unklug, zu einer Demonstration an einem solchen Ort aufzurufen. Die Veranstalter werden wohl aus diesem politischen Fehler lernen.
BZ: Kehren wir zum Runden Tisch zurück. Ministerpräsident Modrow unterbreitete der 7. Runde erstmals konkrete Angebote zur Zusammenarbeit, die vom Runden Tisch angemahnt wurden.
K. Weiß: Ich denke, die erste Bewährungsprobe für dieses Angebot von Herrn Modrow gab es Montagabend. Es entstand eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Regierung und Opposition als eine erste konstruktive Wahrnehmung dieses Angebots.
Ich denke, die Opposition sollte doch bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Dies sehe ich allerdings nicht als stellvertretender Minister, sondern an wesentlicher Stelle als Zeichen.
Doch die Sache ist zweischneidig. Einerseits brauchen wir alle Kraft, um uns auf den 6. Mai vorzubereiten und um konstruktiv am Runden Tisch mitzuarbeiten. Andererseits bietet eine Beteiligung an der Regierung die Chance, jetzt das Regieren zu lernen. Wir sind ja alle Anfänger im Regieren und agieren aus der Haltung der Opposition heraus, die wir in gewisser Weise kultiviert haben.
Chance, das Regieren jetzt zu lernen
BZ: Opposition heißt auch Widerspruch. Der darf durchaus konstruktiv sein, Denkanstöße provozieren.
K. Weiß: Es mangelt uns nicht an einer Vision, die man sicher fürs Regieren braucht, oder an Vorstellungen, wie dieses Land sich verändern sollte. Wir müssen zum Beispiel Demokratie lernen, da haben wir noch lange nicht die Hochschulreife abgelegt. Vielleicht die erste Klasse absolviert. Und wir müssen dafür sorgen, dass die DDR in enger Vertragsgemeinschaft mit der Bundesrepublik zu einem attraktiven, lebenswerten Land wird. Das geht nur, wenn das, was jetzt so spontan aus dem Bauch kommt, wieder in den Kopf zurück gelenkt wird, denn nicht alles lässt sich von heute auf morgen erreichen. Für eine Vereinigung bedarf es z.B. der Reformen auf beiden Seiten, der Achtung der Rechte und Gefühle unserer Nachbarn. Man darf auch nicht vergessen, bei dieser Frage gibt es ganz elementare Sicherheitsbedürfnisse jener Mächte, der Alliierten, die die Verantwortung für beide deutsche Staaten mittragen.
Es kommt also eine Fülle von Aufgaben auf jeden von uns zu, denn wir werden eine Vielzahl von Einzellösungen brauchen. Aus Ideen Politik zu machen, ist eine schwierige Aufgabe. Da könnte ein langsameres Hineinwachsen in die Regierungsverantwortung hilfreich sein.
BZ: Vielleicht hilft der Runde Tisch dabei, auch als eine Art Schule, den Umgang miteinander zu erlernen?
K. Weiß: Sicher kommen noch immer viele Emotionen hoch. Nach den Erfahrungen der Opposition ist das verständlich. Ich glaube, wenn der Ton angemessen bleibt, kann das sogar konstruktiv sein.
Die zögerliche Haltung der Regierung - nicht am vergangenen Montag, sondern davor - rief zum Beispiel erheblichen Unmut hervor. Wir, die wir uns als Vertreter des Volkes an diesem Runden Tisch verstehen, haben immer wieder nachgehakt. Wir forderten Auskünfte, die wir brauchen, um etwas Neues aufzubauen. Ohne eine wirkliche, eine geistige Aufräumarbeit, kann man keine neue Qualität erreichen.
Aufruf zur Besonnenheit
BZ : Bemerkenswert ist die Souveränität der Kirchenvertreter als Moderatoren des Runden Tisches, sie verhinderten vielleicht sogar ein Auseinanderbrechen?
K. Weiß: Es ist eine gute Entscheidung gewesen, den Vertretern der Kirchen die Rolle des Moderators, des Vermittlers zu übergeben. Die Herren haben das bravourös getan. Der Runde Tisch hat auch mit ihrer Hilfe standgehalten. Und wenn er seit Montag stabiler steht als zuvor, ist das auch ihnen zu verdanken.
Wir sind manchmal unzufrieden gewesen, wenn die Herren zu nachgiebig zu sein schienen. Aber das ist ja keine leichte Aufgabe, die vielen unterschiedlichen Positionen so zusammenzuführen, dass daraus etwas Konstruktives entsteht.
BZ: Dazu gehört ein großes Maß an Besonnenheit. Besonnenheit, die gerade in den letzten Tagen anderswo beängstigend schnell verlorengeht Wie kann man sie im Interesse innerer Stabilität bewahren oder zurückgewinnen?
K. Weiß: Es wird davon abhängen, inwieweit die Regierung, aber auch die Opposition und der Runde Tisch es verstehen werden, den Menschen deutlich zu machen, dass wirklich ernsthaft gearbeitet wird.
Natürlich muss es weiterhin das Bestreben der Opposition sein, in Sicherheitspartnerschaft mit der Volkspolizei und auch anderen gesellschaftlichen Kräften alles zu verhindern, was zu Eskalationen führen kann.
Besonnenheit ist sicher eine ganz notwendige Tugend in dieser sehr schnellen und erregten Zeit. Ich möchte zu dieser Besonnenheit aufrufen, ermutigen. Meine Verbündeten dafür suche ich quer durch die Parteienlandschaft. Ich denke, da dürfen keine Parteiegoismen, da darf kein Wahlkampf in den Vordergrund gestellt werden, sondern man muss mit allen Kräften zusammenarbeiten, die für dieses Land etwas bewirken wollen.
Die Gespräche führte
Bettina Urbanski
aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 15, 18.01.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.