Das Krankenhaus in Managua wird keine Privatklinik

Minister Hans-Wilhelm Ebeling antwortete auf Fragen der JW

Solidarität nun ade? Schon beim bloßen Nennen des Begriffs fallen beim DDR-Bürger oft die Jalousien. Klingt Entwicklungshilfe besser? In der Regierung de Maizière wurde dafür eigens ein Ministerium geschaffen. Seinen "Amtseinstand" hatte Hans-Wilhelm Ebeling (DSU), Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit der DDR, Ende April mit einem Auftritt vor der UNO in New York, wo er seine Zielvorstellungen global umriss. Junge Welt wollte mehr wissen.

Herr Minister, wie schätzen Sie die 40 Jahre Entwicklungshilfe der DDR ein?

Die DDR hat bisher solche Projekte unterstützt, die eine Stärkung ihres gesellschaftlichen Systems mit sich brachten. Wir wollen die Hilfe entideologisieren, also politisch neutralisieren. Es sollen jene Menschen Unterstützung bekommen, die sie vom humanitären Gesichtspunkt aus am dringendsten benötigen, unabhängig vom politischen System, das in ihren Heimatländern vorherrscht.

Was lehnen Sie nun an der bisherigen Solidaritätsarbeit der DDR konkret ab?

Das kann ich am nikaraguanischen Berufsausbildungszentrum in Jinotepe erklären. Es ist in ausgezeichnetem Zustand. Unsere Entwicklungshelfer leisten dort eine gute Arbeit. Wenn nun die vergangenen zehn Jahre statt Ortega Frau Borrias de Chamorro in Nikaragua regiert hätte, wäre für die DDR dieses Projekt nicht in Frage gekommen. Und dann noch der Name Ernst Thälmann

Dagegen wehre ich mich. Auch gegen Carlos Marx für das Hospital in Managua. Diese Namen sind bei uns historisch belastet. Da steckt eine Weltanschauung hinter, die bei uns nur eine Minderheit teilt.

Herrn Warnke, Ihrem Amtskollegen in Bonn, scheint das nicht so zu stören. Es ist doch schon etwas kurios, dass sein Ministerium in der Karl-Marx-Straße steht.

Das stimmt. Ich meine, die BRD hat eine andere Geschichte als die DDR. In der Bundesrepublik ist Karl Marx nicht so belastet, gilt als einer der großen Philosophen. Er und Ernst Thälmann werden aber bei uns mit der Ulbricht- und Honecker-Ära identifiziert.

Man kann die beiden doch nicht für die SED-Politik verantwortlich machen.

Da haben Sie recht. Aber so sieht es der Mensch bei uns nicht. Derzeit nicht. Wenn er es so sehen wurde, wäre es gut. Es gibt Menschen, die aufgrund ihres Wirkens eine geschichtliche Bedeutung gehabt haben, aber dann durch ein gesellschaftliches System diskreditiert wurden.

Man kann da sicher weiter streiten. Aber es gibt momentan Wichtigeres: Was halten Sie von den Bestrebungen im Ausland, aus "Carlos Marx" eine exklusive Privatklinik machen zu wollen?

Das wird nicht geschehen. Ich setze reich dafür ein, dass auch die ärmsten Nikaraguaner weiterhin eine kostenlose medizinische Behandlung erhalten.

Das Hospital kostet nun mal Geld. Einen Teil hat das Solidaritätskomitee von Ihrer Regierung längst beantragt - jedoch noch nichts bekommen.

Ich weiß, das geht alles viel zu langsam, Aber mein Ministerium hat noch gar keine Gelder. Die Regierung Modrow hat sich ohne Haushaltsplan verabschiedet. Dieser steht nun erst seit Mittwoch für die nächsten zwei Monate fest.

Aber Sie haben doch bereits Ende April Nikaragua konkrete Zusagen gemacht?

Das Hospital bekommt sein Geld. Dieses Jahr voraussichtlich vier Millionen Mark. Sie können bei mir noch mal in zwei, drei Wochen nachfragen, wenn die Zahlen feststehen.

Machen wir. Wenn nun aber die entsprechenden Gelder noch vor der Währungsunion fließen, dann gibt es nur noch die Hälfte. Und die 90 Millionen Mark Spendengelder auf dem Konto des Solidaritätskomitees werden auch halbiert.

Nominal wird der Wert halbiert, die Kaufkraft jedoch verdoppelt oder gar verdreifacht. Für eine Mark der DDR bekommt man heute auf dem Weltmarkt viel mehr als noch vor wenigen Monaten.

Sie wollen die Botschaft von der sozialen Gerechtigkeit in die Dritte Welt tragen. Für den DDR-Bürger ein äußerst schwer realisierbarer Anspruch, wenn man allein an der, Staatsvertrag denkt.

Also, da muss ich doch mal hart antworten. Vor einem halben Jahr hätten die DDR-Bürger mit Freuden 1:6, 1:7 in DM getauscht und es als eine soziale Bereicherung angesehen. Heute sollen sie es 1:2 kriegen und sind unzufrieden. Der Westen könnte ja auch den Hohn zudrehen.

Die DDR hat doch auch etwas einzubringen!

Die DDR wird in den nächsten Monaten eine große Menge Geld von der BRD benötigen. Wir dürfen aber nicht mehr fordern, als den Menschen in Westdeutschland zuzumuten ist.

Stichwort Freundschaftsbrigaden. Wie sehen Sie deren Zukunft?

Na, die gibt es hold nicht mehr.

Aber von den 15 Brigaden hat das Solidaritätskomitee sieben übernommen.

Nun, wenn es gute Leute sind, warum nicht Dann sollen sie Geld bekommen vergleichbar den bundesdeutschen Entwicklungshelfern.

In Nikaragua bekommen diese aber keine finanzielle Hilfe.

Das wird sich jetzt nach dem Regierungswechsel in Managua ändern.

Sicher. Aber was hat Herrn Warnkes Diskriminierung der BRD-Entwicklungshelfer in Nikaragua zu Ortegas Zeiten mit Ihrem Anspruch zu tun, politisch neutrale Hilfe zu leisten?

Es gibt auch Unterschiede in den Auffassungen zwischen Herrn Dr. Warnke und mir. Wenn ich das Konzept der Bundesregierung richtig verstehe, beruht es auf Gegenseitigkeit, d. h. die derart enge Verflechtung von Wirtschafts- und Außenpolitik muss einfach berücksichtigt werden. Hier unterscheide ich mich sicherlich von Herrn Warnke. Ich wäre beispielsweise auch für einen umfassenden Schuldenerlass.

Ein Schuldenerlass wäre gut, aber keine langfristige Lösung. Was halten Sie von der Forderung der Entwicklungsländer, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu schaffen?

Ich muss sagen, dass das über meine Zuständigkeit hinaus geht. Dazu müsste ich mich mit meinen Ministerkollegen für Wirtschaft und Finanzen zusammensetzen, denn das fällt ja eigentlich nicht in meinen Bereich.

Sie wollen aus der Abrüstung freiwerdende Mittel für die Entwicklungshilfe einsetzen. Haben Sie in diesem Zusammenhang auch einmal mit Ihrem Bonner Amtskollegen über den Jäger 90 gesprochen?

Ich bin hier Minister und ich kann nicht für Herrn Dr. Warnke sprechen. Und ich weigere mich, ihm zu sagen, wo und was gespart werden kann.

Herr Minister, abschließend gestatten Sie uns, Journalisten der Jugendzeitung, die Frage: Welche Rolle spielen für Sie die jungen Leute in der Entwicklungshilfe der DDR?

Ich habe den Eindruck, dass man Angst hat, die Jugend soll hier rausgehalten werden. Ganz im Gegenteil. Meine Generation schafft doch nicht die Werte. Auf die Jugend kommt es an.

Interview Dana Micke/Rainer Witzel

Junge Welt Nr. 104, Fr. 11.05.1990

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