Leiter der Arbeitsgruppe Gewerkschaftsjugend, Hartmut Legde:

Wir sind kein Feigenblatt

• Diskussionspapier, Aufruf, Info-Stand. Die künftige Gewerkschaftsjugend wirbelt. Weiche Resonanz habt ihr?

Bisher waren Hunderte Kolleginnen und Kollegen am Info-Stand. Sie erkundigten sich nach Aufgaben und Inhalten einer Gewerkschaftsjugend. Hinzu kommen zahlreiche Anrufe und Zuschriften aus allen Teilen der DDR. Die meisten Kollegen sind für eine solche Organisation im FDGB.

• Es gibt aber auch Stimmen, die euch Spaltungsversuche vorwerfen.

Da sind wir missverstanden worden. Wir verstehen uns als Plattform junger Gewerkschaftsmitglieder in den IG und Gewerkschaften sowie im FDGB. Die Jugendarbeit, die der FDGB bisher gemacht hat, war doch nichts weiter als ein Feigenblatt. Um so kurzsichtiger ist es, dass jetzt an den Jugendstrukturen gesägt wird. Man muss mal an die Zukunft denken. Der Automatismus, Eintritt in die Berufsausbildung gleich Eintritt in die Gewerkschaft, ist vorbei. Unsere Aufgabe sollte es sein, junge Leute für die Organisation zu gewinnen, ihnen klarzumachen, wie wichtig gewerkschaftliche Arbeit ist.

• Kommt die Gewerkschaftsjugend nicht ein wenig zu spät?

Ohne Zweifel. Jugendliche fühlen sich im Betrieb nicht mehr vertreten. Wir hätten schon erwachen müssen als Tisch ging. Es gibt Entwicklungen, die unabhängig von der Gewerkschaft entstanden sind. Zum Beispiel: Lehrlingsräte. Wir unterstützen solche Bemühungen. Es geht doch um die breite Jugendvertretung im Betrieb.

• Würdest du das konkretisieren?

Viele junge Leute sind aus diesem Land weggegangen. Jetzt sind es auch wieder zum großen Teil Jugendliche, die die anstehende Arbeit mitmachen. Beispielsweise Lehrlinge, die schon wie Facharbeiter ran müssen und in Schichten arbeiten. Die sollen auch dementsprechend bezahlt werden. Oder: Junge Absolventen, egal wie sie abschließen werden in irgendeine Gehaltsgruppe eingestuft. Schon da muss Leistungsabhängigkeit ansetzen.

• Betriebsrat, Betriebsverfassungsgesetz, Reizworte auch für euch?

Wir sind natürlich für starke Gewerkschaften im Betrieb. Wo eine BGL ist, sollte ein Jugendsprecherrat gebildet werden. Die Tendenz zu Betriebsräten übersehen wir keinesfalls. Man kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Unsere Kollegen von der DGB-Jugend haben jedoch, wenn sie uns von ihren Erfahrungen berichteten, immer auch auf die Schwachstellen der Mitbestimmung aufmerksam gemacht. Sie werden dies bei unseren Treffen und Foren auch weiterhin tun. Die jeweilige Gewerkschaft müsste sich an die Spitze der Interessenvertretung stellen. Die Rechte einer Jugendvertretung müssen klar sein. Wir haben den Antrag gestellt, Vorschläge für ein Betriebsverfassungsgesetz zu machen.

• Du hast von Treffen und Foren gesprochen. Was steht bevor?

Einige Termine. Am 10. Januar findet ein erstes Treffen mit Jugendsprechern, jungen interessierten Kolleginnen und Kollegen im VEB Elektrokohle Berlin statt, wo wir uns über die künftige Jugendvertretung im Betrieb unterhalten wollen. Diese Veranstaltung beginnt um 18.00 Uhr im Wilhelm-Pieck-Saal. Noch vor dem Kongress, am 27. Januar, laden wir um 13.00 Uhr Jugendvertreter ins Berliner Gewerkschaftshaus ein. Die IG und Gewerkschaften machen auch eigene Veranstaltungen, so die IG Metall am 25. 1. im SKL Magdeburg.

• Bis zum Kongress ist nicht mehr viel Zeit. Was ist noch zu tun?

Ein Grundsatzantrag muss verfasst und Strukturen aufgezeigt werden. Ganz wichtig: die Finanzen. Wir appellieren an alle jungen Kolleginnen und Kollegen. Zahlt eure Beiträge! Ohne finanzielle Unterstützung ist keine Gewerkschaftsjugend denkbar.

Das Gespräch führte
Ingolf Kern

Tribüne, Di. 09.01.1990

Δ nach oben