Willenserklärung

der Mitarbeiter des Instituts für Infektionskrankheiten im Kindesalter

Mit großer Sorge und Betroffenheit erleben wir die derzeitige Situation in unserem Lande. Die massenhafte Abwanderung von DDR-Bürgern, insbesondere von jungen Menschen, darunter auch Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen, zwingt uns, die wir hier bleiben wollen, zur Stellungnahme.

Wir sorgen uns zunehmend um die medizinische Versorgung unserer Bürger. Wir wissen, dass die Ursachen für den Exodus in unausgetragenen Widersprüchen und in ungelösten Problemen in unserem Lande liegen.

Wir empfinden es als unerträglich, wie die Verantwortung für die entstandene Situation überwiegend den westlichen Massenmedien und der westlichen Propaganda zugeschoben wird. Als mündige Bürger dieses Landes verlangen wir eine realistische Information und eine kritische Diskussion in den Medien unseres Landes.

Angst, Verdrossenheit und der Rückzug in private Bereiche müssen durch Vertrauen und offenen Dialog ersetzt werden; um dem Grundanliegen unserer Verfassung gerecht zu werden. Die Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger müssen erweitert werden. Es ist nicht hinzunehmen, dass Reisen in sozialistische Länder noch weiter eingeschränkt werden und Reisen in die Bundesrepublik Deutschland nur für bestimmte Personen möglich sind.

In den letzten Wochen haben sich zahlreiche Bürger, viele Gruppierungen zu Wort gemeldet, kritische Meinungen geäußert und sich der Partei- und Staatsführung als dialogbereite Partner angeboten. Wir meinen, dass man diese Initiativen nicht als "staatsfeindliche Plattformen", diskriminieren darf, sondern vielmehr gemeinsam mit ihnen in eine öffentliche Diskussion treten muss.

Die Anwendung von Gewalt gegen Menschen, die sich um die Zukunft unseres Landes sorgen, ist keinesfalls ein Mittel, um die anstehenden Probleme zu lösen.

Einstimmig verabschiedet auf der außerordentlichen, erweiterten Gewerkschaftsversammlung des IIK am 13. Oktober.

aus: pulsschlag, Nr. 21, 06.11.1989, 32. Jahrgang, Organ der Leitung der Betriebsparteiorganisation der SED im Klinikum Berlin-Buch

 

Offener Brief an die ZBGL

Mit Empörung haben wir im "Pulsschlag" vom 23. Oktober den Bericht der stellvertretenden Vorsitzenden der ZBGL, Kollegin B(...), über eine außerordentliche Vollversammlung der Gewerkschaftsmitglieder des Instituts für Infektionskrankheiten im Kindesalter am 13. Oktober zur Kenntnis genommen. Wir sind fassungslos, wenn sich ein verantwortlicher Funktionär des FDGB in aller Öffentlichkeit fragt, was er auf einer Gewerkschaftsversammlung solle, auf der die tiefe Sorge um die Entwicklung unseres Landes zum Ausdruck gebracht wird.

Viele Kollegen betrachten diese Reaktion des ZBGL-Mitgliedes als einen solchen Vertrauensbruch, dass ihr Glaube, durch den FDGB in ihren Interessen vertreten zu werden, erschüttert wurde. Einige tragen sich mit dem Gedanken, die Gewerkschaft zu verlassen.

Wir fordern die ZBGL auf:

1. Unverzüglich diesen offenen Brief sowie unsere Willenserklärung zu publizieren.

2. Der Publikation eine Stellungnahme der ZBGL des Klinikums zu dem ungeheuerlichen Vorfall hinzuzufügen.

3. Der Publikation eine öffentliche Entschuldigung von Kollegin Böhm bezüglich ihrer entstellenden Darstellung unserer Gewerkschaftsversammlung sowie der indirekten Diffamierung unserer Arbeit hinzuzufügen.

Es ist für uns Mitarbeiter des IIK eine Selbstverständlichkeit, dass wir trotz unzureichender materieller und personeller Bedingungen alles dafür tun, dass die Versorgung der Patienten in höchstmöglicher Qualität gewährleistet bleibt.

Die Gewerkschaftsmitglieder
sowie Mitarbeiter des IIK

aus: pulsschlag, Nr. 21, 06.11.1989, 32. Jahrgang, Organ der Leitung der Betriebsparteiorganisation der SED im Klinikum Berlin-Buch

 

Gedanken zu einer Versammlung im IIK

Eine Willenserklärung zu aktuellen Problemen stand auf der Tagesordnung einer Gewerkschaftsmitgliederversammlung, die am Freitag, dem 13. Oktober, im Institut für Infektionskrankheiten im Kindesalter durchgeführt wurde.

Zu dieser Versammlung bin ich durch den Institutsdirektor eingeladen worden. Schon fertig ausgearbeitet durch fünf Hochschulkader lag bereits zu Versammlungsbeginn die Willenserklärung vor. Diskutiert wurde lediglich über einzelne Formulierungen. Nach der einstimmigen Verabschiedung der Willenserklärung wurde beschlossen, diese an die verschiedenen Institutionen zu schicken (unter anderem auch an den "Pulsschlag").

Da meine Meinung als stellvertretende ZBGL-Vorsitzende auf dieser Versammlung genauso wenig gefragt war, wie die von Mitarbeitern, denen es um ganz konkrete Probleme der Arbeit ging, verstehe ich bis heute nicht, was ich dort sollte. Bestimmt geht es anderen Anwesenden ähnlich. Soll das nun die vielgepriesene Toleranz, die Demokratie und Meinungsfreiheit sein, die die Verfasser der Willenserklärung verlangen? Wohlgemerkt - einer Willenserklärung höchst allgemeinen Charakters. Ihre Formulierungen seien, so bemerkte eine Mitarbeiterin des Instituts, denen des "Neuen Forums" verblüffend ähnlich.

In einem Punkt der Erklärung heißt es dann sinngemäß: Wir machen uns Sorgen um die Betreuung der Patienten. Wer jetzt allerdings auf ein paar konkrete Worte wartete, wie diese Sorgen abgebaut werden sollen, was man am IIK zu tun gedenkt, um eben die Betreuung der Patienten bestmöglich zu realisieren, der wartete vergeblich.

Schlimmer noch. Als eine Schwester, die im AMAD (allgemein medizinischer ärztlicher Bereitschaftsdienst) arbeitet, ihre Sorgen um schwer erkrankte Patienten darlegen wollte, wurde sie dabei unterbrochen. Ihre Probleme fanden auf der Versammlung keinerlei Beachtung. Finde ich "toll" und "wirklich demokratisch"!

Meiner Meinung nach sind jetzt genügend allgemeine Willenserklärungen geäußert worden. Nun ist es an der Zeit, sich konkreten Dingen zuzuwenden, mit konkreten Taten konkrete Probleme zu lösen!

Sylvia B(...)
stellv. ZBGL-Vorsitzende

(Anmerkung: Bei Redaktionsschluss lag die Willenserklärung noch nicht im "Pulsschlag" vor.)

aus: pulsschlag, Nr. 20, 23.10.1989, 32. Jahrgang, Organ der Leitung der Betriebsparteiorganisation der SED im Klinikum Berlin-Buch

 

In den letzten Tagen erhielten wir eine Vielzahl von Zuschriften, in denen Mitarbeiter ihr Befremden über die von Kollegin B(...) geäußerten "Gedanken zu einer Versammlung im IIK" ausdrückten. Berechtigt ist der Vorwurf an die Redaktion, den Artikel abgedruckt zu haben, ohne zugleich die Willenserklärung zu veröffentlichen. Es war tatsächlich unfair von uns, so zu verfahren.

Was wir jedoch nicht einsehen ist eine öffentliche Entschuldigung von Kollegin B(...). Sie hat Ihre Gedanken und nicht die der ZBGL zu Pa-

Ein Wort in eigener Sache

pier gebracht, und eine freie Meinungsäußerung ist wohl jedem zuzugestehen?

Eine Stellungnahme der ZBGL, wie sie in Zuschriften gefordert wurde, liegt uns nicht vor. Sicherlich müssen wir uns jetzt alle an die neue Kultur des Meinungsstreits gewöhnen.

"Warum wollen und sollen wir Gewerkschaftsfunktionäre nicht gemeinsam überlegen, was wir in der größten Massenorganisation der DDR, der Gewerkschaft reformieren können, um unsere Arbeit mit und für die Werktätigen zu verbessern", so fragte Frau Dr. P(...) auf der Funktionärsberatung. "Jede Idee sollte geäußert, diskutiert und abgewogen werden - ob sie uns weiterbringt oder nicht! Wer kann von vornherein einteilen, was konstruktiv ist oder nicht? Auch scheinbar abwegige Ideen sind zu diskutieren. Nicht immer sind alte, eingefahrene Gleise die besten. Ich sehe nicht ein, dass der FDGB es sich leisten kann, auf Mitglieder zu verzichten, nur weil wir nicht in der Lage sind, den Vorteil der Mitgliedschaft im FDGB sichtbar zu machen."

aus: pulsschlag, Nr. 21, 06.11.1989, 32. Jahrgang, Organ der Leitung der Betriebsparteiorganisation der SED im Klinikum Berlin-Buch

 

Keine "Vorab" - Diskreditierung mehr!

Bereits auf Seite 1 des "Pulsschlag" vom 23. Oktober gewinnt man den Eindruck, dass die vielerorts in Ansätzen erkennbare neue Medienpolitik offenbar vor der Tür der Pulsschlag-Redaktion halt gemacht hat. Die im Artikel "Gedanken zu einer Versammlung im IIK" praktizierte Darstellungsart entspricht in keiner Weise den Prinzipien einer sachlichen Berichterstattung.

Die Leser des "Pulsschlag" sind als mündige Bürger durchaus in der Lage, sich bezüglich der "Willenserklärung" des IIK ihr eigenes Urteil zu bilden. Dass diese bei Redaktionsschluss nicht vorlag, kann nicht dazu führen, ersatzweise äußerst einseitige Gedanken von Frau S(...) B(...) zu präsentieren. Die "Willenserklärung" des IIK, die meine volle Unterstützung findet, sollte als Grundlage eines offenen Dialogs allen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden. Diskussion ist gefragt! Eine "Vorab-Diskreditierung" konstruktiver Kritik muss auch in der Redaktion des "Pulsschlag" freier und offener Diskussion weichen. Ein trotz bekannter Probleme praktizierter "Alles-in-Butter"-Journalismus lässt unsere Betriebszeitung bereits am Tag ihres Erscheinens erheblich zu spät kommen.

Dipl.-Med. A. F(...)
Urologische Klinik

aus: pulsschlag, Nr. 21, 06.11.1989, 32. Jahrgang, Organ der Leitung der Betriebsparteiorganisation der SED im Klinikum Berlin-Buch

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