Beschluss der Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften des FDGB über dessen Auflösung

Erklärung

An die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen unseres Landes

An die Regierung der DDR

An die im Parlament der DDR vertretenen Parteien

An den DGB und die in ihm vertretenen Einzelgewerkschaften der BRD

In der Erkenntnis der gegenwärtig in unserem Land eingetretenen politischen Lage im Zusammenhang mit der Einführung der Marktwirtschaft und der Vorbereitung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vereinigung beider deutscher Staaten haben die Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften in Wahrnehmung der ihnen von ihren Mitgliedern demokratisch übertragenen Verantwortung eindeutig die Notwendigkeit eines Bundes freier und unabhängiger Gewerkschaften bekräftigt.

Der Dachverband in seinen bisherigen Strukturen kann die Herausforderung der Zeit nicht mehr bewältigen.

Der Begriff "FDGB" ist nach wie vor politisch diskreditiert. Das Vertrauen unserer Mitglieder, die Akzeptanz unserer Partner sowie das Vermögen, die aktuell anstehenden Aufgaben zu bewältigen, sind entscheidende Voraussetzungen für wirksame gewerkschaftliche Interessenvertretung, die objektiv vom jetzigen Dachverband FDGB nicht mehr realisierbar sind.

Auf Vorschlag der Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften wurde am 9.5.1990 entschieden:

1. Bildung eines Sprecherrates der Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften zur Wahrnehmung der übergreifenden gewerkschaftlichen Interessenvertretung gegenüber Regierung und Parteien in der DDR und dem DGB.

2. Zum Sprecherrat wurden gewählt: Peter Rothe, Gewerkschaft der Eisenbahner, Marianne Sandig, Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst, Peter Praikow, Deutsche Postgewerkschaft. Der Sprecherrat wird beauftragt, die juristischen Voraussetzungen zu schaffen, die Vermögenswerte des FDGB neu zu strukturieren und auf die IG/Gewerkschaften aufzuteilen.

3. Der Sprecherrat gestaltet enge Beziehungen zum DGB. Er verliert seine Aufgabe, wenn sich die Einzelgewerkschaften der DDR und der BRD zusammengeschlossen haben bzw. die Organisierung der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften im DGB gesichert ist.

4. Die vom außerordentlichen Kongress direkt gewählten Vorstandsmitglieder nehmen in Vorbereitung auf den Bundeskongress die Geschäfte entsprechend ihren Geschäftsbereichen wahr. Kollegin Helga Mausch übernimmt ab sofort die Vorbereitung des Kongresses. Mit dieser Entscheidung dokumentieren die Industriegewerkschaften und Gewerkschaften ihr einheitliches Vorgehen, in wirklich freier demokratischer und unabhängiger gewerkschaftlicher Interessenvertretung die Durchsetzung legitimer Arbeitnehmerrechte im Hinblick auf den deutschen Einigungsprozess zu garantieren.

aus: Tribüne, 10.05.1990, Zeitung der Gewerkschaften

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