Gewerkschaft Gesundheit und Sozialwesen

Es blieb kein anderer Weg: Einig schneller als gewollt

Fusion mit ÖTV—BRD / Übertritt per Aufnahmeantrag

Es ist beschlossen: Die Gewerkschaften beschreiten den Weg der schnellen Einigung. Wie bereits vermeldet, unterzeichneten Ende der vergangenen Woche die Gewerkschaft ÖTV und die DDR-Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Gesundheits- und Sozialwesen, Transport, Wissenschaft, der Armeeangehörigen und der Zivilbeschäftigten der NVA eine Vereinbarung zur Bildung einer geeinten ÖTV. Vollzogen werden soll dieser Schritt zum 1. November 1990. Was bis dahin noch zu tun ist, darüber sprachen wir mit Dr. sc. med. Richard Klatt, Vorsitzender der Gewerkschaft Gesundheits- und Sozialwesen.

• Der Schritt zur Gewerkschaftseinheit kam sehr schnell. Schneller als gewollt?

Wir sind durch den massiven Druck der Basis zu Tempo gezwungen worden. Die jetzt getroffene Erstscheidung soll verhindern, dass uns Mitglieder über den Umweg DDR-ÖTV, die am 9. Juni gegründet wird, verlassen oder zur Deutschen Angestelltengewerkschaft abwandern.

• Wie wird sich die Vereinigung vollziehen?

Im Grunde in Form von – juristisch gesehen - Einzelübertritten. Die DDR-Gewerkschaften lösen sich offiziell auf, gehen aber nicht in Liquidation, sondern ihre Mitglieder treten der Partnergewerkschaft bei. Jedes Mitglied bekommt ein Aufnahmeformular und kann nun selbst entscheiden, ob es Mitglied der ÖTV werden will.

• Warum wurde fieser Weg gewählt?

Es bleibt nur dieser. Es gibt in der DDR wie in der BRD für Vereine keine Fusionsregel. Eine Fusion ist rechtlich mit der Auflösung zumindestens eines Partners möglich. Wir schließen uns staatlich nach Grundgesetz Artikel 23Paragraph 23 an, also bleibt uns gewerkschaftlich nichts anderes übrig.

• Was ist jetzt zu tun?

Eine Steuerungsgruppe hat die Aufgabe, die vielen Detailfragen zu klären, die sich aus der Fusionierung ergeben, von der Mitgliedererfassung bis zu Strukturveränderungen. Nach derzeitigen Vorstellungen werden wir am 21./22. 9. unsere Zentrale Delegiertenkonferenz haben. Der Vorstand wird ihr empfehlen, alle Mitglieder aufzufordern, der ÖTV beizutreten. Auch sind die satzungsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen.

• Wie ist zu verhindern, dass in den nächsten Monaten kein Vakuum in der Interessenvertretung der Mitglieder eintritt?

Das war der Inhalt langer Diskussionen, in denen es darum ging, in welcher Form die ÖTV auf dem Gebiet der DDR tariffähig ist. Bis zum 1. November bleibt natürlich die Gewerkschaft Gesundheits- und Sozialwesen tariffähig bestehen.

• Liquidation der Gewerkschaften, bedeutet das auch Zerschlagung aller gewerkschaftlichen Strukturen?

Wir werden zwar neue Verwaltungsstrukturen aufbauen, aber mit den Kräften, die wir haben und die dazu fähig sind. Wir werden also keine Beamten importieren.

• Haben bei diesem Zusammengehen Formen unseres Gesundheitswesens eine Überlebenschance?

Die ÖTV teilt unsere Vorstellungen, dass - um soziale Härten zu vermeiden - für eine längere Übergangszeit Strukturen des DDR-Gesundbeitswesens, wo nötig, bleiben sollen.

Ingrid Aulich

Tribüne, Zeitung der Gewerkschaften, Di. 05.06.1990

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