Vieles ist unklar

Interview mit Marianne Sandig, Vorsitzende der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst (DDR), Gast auf dem Bundeskongress des DGB

• Du warst eine Kongresswoche lang in Hamburg. Was hattest du den erwartet?

Nicht so einfach zu sagen. Die Einzelgewerkschaften haben sich ihres eigenen Daches entledigt, um die notwendigen Schritte für eine Vereinigung der Gewerkschaften Ost und West tun zu können. Natürlich haben wir gehofft, dass vom DGB etwas kommt, was uns ermutigt, diesen Weg weiterzugehen.

• Doch Einzelgewerkschaften verständigen sich seit längerer Zeit über die Zukunft . . .

Stimmt. Auch innerhalb der Land-, Nahrungsgüter- und Forst-Gewerkschaft. Doch ich finde, man muss das alles sachlich und überlegt machen. Auch mit der notwendigen Klarheit in Fragen, wie wollen wir uns vereinigen, in welchen konkreten Zeitabschnitten, unter welchem Dach? Mit dem Staatsvertragstempo wurde uns eine Eile aufgezwungen, die mir Kopfschmerzen macht. Vieles müsste besser durchdacht und richtig zu Erde gedacht werden.

• Spielst du hier auf die Unklarheiten in strukturellen Fragen an?

Mitglieder der LNF-Gewerkschaft - das sind zur Zeit immerhin um 600 000 - müssen ja richtig zugeordnet werden. Wir haben mindestens zwei Partnergewerkschaften in der BRD - die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten und die Gewerkschaft Gartenbau, Land und Forst. Doch zu uns gehören eben auch Arbeitnehmer im landtechnischen Bereich, in den Landbaubetrieben. Die fühlen sich sicher mehr zur IG Bau-Steine-Erden und zur IG Metall hingezogen. Es ist ziemlich schwer für den DDR-Gewerkschafter, die ganze Problematik zu überblicken. Das muss alles richtig geklärt werden, um nicht von vornherein an der Frage, wo gehöre ich denn nun hin, zu scheitern.

• Die Strukturen sind sicher die eine Seite. Doch was soll für die Mitglieder inhaltlich unbedingt herauskommen?

Ich denke an die Situation in der Nahrungsgüterwirtschaft, wo in absehbarer Zeit eine ganze Reihe von Betrieben eingehen wird, weil sie altersschwach und nicht konkurrenzfähig sind. Wir müssen eine ordentliche Arbeitslosenversicherung fordern für die, die es dann trifft. Zuvor jedoch müssen wir versuchen, Rationalisierungsschutzabkommen mit den Betriebsleitungen auszuhandeln, die verhindern, dass Hunderte ins Aus geraten. Im Kombinat Zucker gehört zum Konzept für die Umwandlung der Betriebe ein Alternativprogramm, das den Kollegen Chancen bietet. Ich wünsche mir, dass es gelingt, alte Zuckerfabriken an die chemische Industrie oder an Futtermittelwerke abzugeben, die dann ihrerseits Arbeitsplätze für die frühere Belegschaft mit garantieren.

• Doch auch in der Forstwirtschaft siebt es nicht rosiger aus. Was macht die Gewerkschaft?

Es gibt von der Regierung ein Strukturkonzept für die Landwirtschaft, Staatssekretär Krause hat mir damit zwischen Tür und Angel mal zugewinkt. Wir wollen es haben, damit wir mit den landwirtschaftlichen Verbänden und dem Minister darüber beraten können. Ich jage dem Papier hinterher, weil wir zum einen genau wissen wollen, was gespielt wird, und zum anderen überhaupt nicht daran denken auf unser Recht auf Mitwirkung zu verzichten.

• Man erinnert sich an Demos und Straßenblockaden . . .

Wir sind eine kämpferische Gewerkschaft, wenn es sein muss. Das heißt aber nicht, dass wir angetreten sind, um grundsätzlich gegen alles und jeden zu sein Doch im Interesse unserer Mitglieder machen wir von unserem Mitspracherecht Gebrauch. Es geht schließlich um Arbeitsplätze, um den Erhalt guter sozialer Bedingungen. Insofern finden wir mit den Partnern in der Bundesrepublik die gleiche Sprache.

Tribüne, Fr. 25.05.1990

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