Vorsitzender des Sprecherrates des Gewerkschaftsbundes Peter Rothe:

Wir lassen uns nicht unter Kuratel zwingen

Heftige Reaktionen löste am Mittwoch eine Meldung aus, nach der die DSU in der Volkskammer ein Gesetz durchbringen will, das auf die sofortige Enteignung der ehemaligen Blockparteien und Massenorganisationen der DDR und die Übergabe des Vermögens an das Bundesfinanzministerium zielt. Das rief die Gewerkschaften auf den Plan. Der Sprecher des Bundes, PETER ROTHE, äußerte sich darüber in einem Gespräch mit unserem Mitarbeiter ADOLF STURZBECHER.

Wie stehen die Gewerkschaften zu dieser DSU-"Gesetzesinitiative"?

Sie sehen das als einen Anschlag an, der sich auch direkt gegen die Existenz der Gewerkschaften in der DDR richtet. Das wurde auch auf der Sitzung der 21 Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften zur Vorbereitung des Kongresses am 14. September unterstrichen. Die Gewerkschaften verwahren sich entschieden gegen die beabsichtigte Enteignung von acht Millionen Gewerkschaftsmitgliedern. Wir sehen darin ein untrügliches Zeichen für die seit langem betriebene Deformation des sich gerade erst bildenden demokratischen Systems in diesem Lande.

Sie meinen, es geht um mehr als um Vermögensfragen ...

Auf jeden Fall. Die Gewerkschaften verstehen sich als Sachwalter ihrer acht Millionen Mitglieder, als eine Kraft von großer Bedeutung zur Gestaltung demokratischer Strukturen. Bei dieser DSU-Initiative handelt es sich um einen weiteren Versuch, die Arbeitnehmer eines wirksamen Instruments der Mitsprache zu berauben. Wir erklären unmissverständlich: Die Gewerkschaften der DDR werden kein Kuratel hinnehmen.

Was unternehmen Sie dagegen?

Wir haben uns mit einem Brief an die Volkskammer und an die Gewerkschafter des Landes gewandt. Darin wenden wir uns dagegen, dass die Gewerkschaften unter Treuhandverwaltung gestellt werden, sind wir doch keine mit „einer Partei verbundene“ Massenorganisation. Damit die Gewerkschaften ihre Aufgaben, wie Tarifrecht, Rechtsschutz, materielle Sicherung des Arbeitskampfes Unterstützung von Umschulungsprogrammen wahrnehmen können, ist die Unantastbarkeit ihrer Finanzhoheit eine Grundvoraussetzung.

Nun wird Ihnen ja immer wieder unrechtmäßig erworbenes Vermögen vorgeworfen ...

Auch in unserem Schreiben betonen wir nochmals, dass das gewerkschaftliche Vermögen nicht aus dem ehemaligen Volkseigentum entstanden ist. Vielmehr ist es aus den Beiträgen der Mitglieder und aus Rechtsakten, die im ersten Staatsvertrag ausdrücklich anerkannt wurden, rechtmäßig hervorgegangen. Deshalb fordern wir die Freigabe des gewerkschaftlichen Vermögens, damit die Mitglieder frei und demokratisch darüber verfügen können. Selbstverständlich geben wir das, soweit noch nicht geschehen, was uns nicht zusteht, z. B. aus staatlichen Mitteln finanzierte oder aus Enteignung stammende Immobilien an die rechtmäßigen Eigentümer zurück. Den Feriendienst, einschließlich der 28 Prozent Anteile, die dem FDGB gehörten, werden wir dem Staat für gemeinnützige Zwecke übergeben. Den Solidaritätsfonds des FDGB in Höhe von 80 Millionen DM, der in Immobilien angelegt ist, stellen wir der UNICEF als Spende zur Verfügung.

Neues Deutschland, Do. 23.08.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 196

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