DDR-Jugend muss es lernen, jetzt selbst um ihre Rechte zu kämpfen

Sozialpaket liegt vor

Interview mit Ralf Hron, Vorsitzender des Provisorischen Gewerkschaftsjugendrates

• Du bist Vorsitzender eines Gremiums mit langem Namen. Was stet konkret dahinter, welche Bedeutung hat dieser Jugendrat?

Der Gewerkschaftsjugendrat vereint die Jugendvertreter der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften sowie die Basis-Initiativgruppe Gewerkschaftsjugend. In diesem Gremium wird die gewerkschaftliche Jugendarbeit koordiniert. Allzu oft gibt es Probleme aus der Sicht junger Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht allein im Rahmen einer Gewerkschaft klären lassen. Angesichts der Lage der Jugendlichen in der DDR müssen wir ständig miteinander im Gespräch bleiben.

• Vor welchen inhaltlichen Schwerpunkten steht die DDR-Gewerkschaftsjugend?

Oberste Priorität hat die Interessenvertretung junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich denke, junge Leute sollten mitmischen, wenn es um Ausbildungsinhalte, Arbeitsplatzgestaltung oder Entlohnung geht. Wir wollen, dass die Marktwirtschaft für die Jugendlichen sozial abgefedert wird. Angesichts der drohenden Jugendarbeitslosigkeit verlangen wir von der Regierung rechtzeitige Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen.

• Sind junge Leute heute überhaupt bereit, sich gewerkschaftlich zu engagieren?

Direkt gesagt: Sie haben die Nase voll von allem politischen Kram. Es kommt jetzt darauf an, junge Leute davon zu überzeugen, dass sie selbst um ihre Rechte kämpfen müssen. Keiner wird ihnen das abnehmen. Ich hoffe, dass nach den ersten „Kunststückchen“ der Marktwirtschaft die Einsicht eintritt, sich gegen unsoziale Arbeitgeberinteressen zu wehren.

• Frischer Wind ist doch sicher auch in den Einzelgewerkschaften vonnöten, damit gewerkschaftliche Jugendarbeit verstanden und such praktiziert wird?

Auf jeden Fall. Die Einzelgewerkschaften müssen die Kraft der jungen Leute erkennen. Ich denke, dass man in so manchen Gewerkschaftsbüros eine kritische Jugend fürchtet. Doch gerade in der Jugend liegt die Chance für wirkliche Erneuerung. Die Jugendtage der IG Metall, der Gewerkschaft Öffentliche Dienste oder der IG Druck und Papier haben gezeigt, dass junge Kolleginnen und Kollegen sich sehr intensiv mit ihrer Umgebung auseinandersetzen und auch bereit sind, an Lösungen zu arbeiten.

• Die Interessen junger Menschen gehen den Bach runter. Was unternimmt die Gewerkschaftsjugend?

Am Runden Tisch der Jugend wunde unser Grundsatzantrag zur sozialen Absicherung Jugendlicher beschlossen. Dieser wurde Regierung und Parlament übergeben. Jugendministerin Schubert hat zugesichert, dass unser "Sozialpaket" im neuen Jugendhilferecht der DDR berücksichtigt wird. Es ist wichtig, dass wir uns an der Basis durchsetzen. Ich denke, wir brauchen schnell Jugend- und Auszubildendenvertretungen, die den Arbeitgebern Paroli bieten, wenn Jugendrechte beschnitten werden sollen.

• Stichwort Vereinigung. Wird aus der DDR-Gewerkschaftsjugend bald die gesamtdeutsche DGB-Jugend?

Wir sind für ein vernünftiges Zusammenwachsen, so unpopulär das zur Zeit auch sein mag. Zusammenwachsen können aber nicht irgendwelche abstrakten Gebilde. Die Gewerkschaftsjugend aus Deutschland Ost und Deutschland West muss zueinander finden. Wir haben gemeinsame Probleme, und wir wollen sie gemeinsam lösen. Unsere Bewegung ist noch ziemlich jung, wir haben auch unsere eigenen Vorstellungen von einer gesamtdeutschen Gewerkschaftsjugend. Wir sollten miteinander streiten und kooperieren vor allem versuchen, ein tragfähiges Modell für eine Gewerkschaftsjugend in einem geeinten Deutschland zu entwickeln, das Bestand hat und den Anforderungen entspricht.

Das Gespräch führte
Ingolf Kern

Tribüne, Di. 12.06.1990

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