Betriebsrat - wem nützt er?

In den letzten Wochen hatte ich mehrfach Gelegenheit, mich mit DGB-Funktionären und Betriebsratsvorsitzenden zu unterhalten. Ihr einheitlicher Tenor nach Studium des Arbeitsgesetzbuches der DDR "Gib keine Position auf! Ihr werdet in den nächsten 40 Jahren solche Rechte nicht wieder erkämpfen können." Hier muss man einfach wissen, dass Mitspracherecht im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BVG) der BRD in Richtung "Anhörung" geht. Der Unternehmer kann folgen, muss aber nicht.

Klage ist bei Kündigen schon möglich, aber ...

Anders sieht es bei der Zustimmung des Betriebsrates aus. Ignoriert der Unternehmer diese Zustimmung, kommt es zur arbeitsrechtlichen Klage. Aber z.B. im Falle einer Kündigung ist der Arbeitnehmer schon entlassen, ehe die Klage einsetzt. Dass heißt, er ist ohne Verdienst und erhält vielleicht nach Wochen und Monaten den Bescheid, dass er doch zu Unrecht entlassen worden ist. Hier besitzt das Arbeitsgesetzbuch (AGB) den Vorteil, dass der Werktätige, wenn er Einspruch einlegt und die Konfliktkommission bzw. das Kreisgericht verhandelt, oder die Zustimmung der Gewerkschaftsleitung zur Kündigung versagt wird, im Betrieb bleibt und seinen Verdienst behält.

Da das Kapital bei uns in die Wirtschaft drängt (und wir ja auch dringend darauf angewiesen sind), ist es meines Erachtens ziemlich unrealistisch anzunehmen, dass bei einer neuen Gesetzgebung in der DDR wesentliche Verbesserungen vorgesehen werden, da sie das Kapital abhalten könnten, in der DDR zu investieren. Noch hat das Arbeitsgesetzbuch wesentliche Vorzüge gegenüber dem BVG in der Festschreibung von Mitbestimmungsrechten der Gewerkschaft im Betrieb, vor denen ein Betriebsrat in der BRD nur träumen kann.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die Betriebsgewerkschaftsleitungen in den Betrieben eindeutig Vorteile gegenüber den Betriebsräten der BRD. Das wird deutlich, wenn man im Gespräch mit Praktikern der Interessenvertretung in der BRD für und wider diskutiert und nicht einfach Literatur theoretisch interpretiert, denn Theorie und Praxis haben ihre Tücken. Und wir als DDR-Bürger sollten eigentlich gewarnt sein.

- der Betriebsrat ist zum "Burgfrieden" mit den Unternehmern verpflichtet. Er darf keinen Streik ausrufen oder andere Mittel des Arbeitskampfes einsetzen.

- Der Betriebsrat ist an den Betrieb gebunden und kann keine solidarischen Maßnahmen zwischen einzelnen Betrieben des Territoriums bzw. des Industriezweiges also über den Betriebszaun hinaus organisieren.

Es gibt noch weitere Argumente, die auf die Unzulänglichkeiten des BVG zurückzuführen sind. Einen unbestrittenen Vorteil hat der Betriebsrat gegenüber der Gewerkschaftsorganisation. Er führt alle Arbeiten und Aktivitäten, selbst stundenlange Betriebsversammlungen, während der Arbeitszeit durch, und der Unternehmer bezahlt grundsätzlich alles. Es ist eben "sein" Betriebsrat.

Betriebsratsarbeit jetzt juristisch nicht gesichert

Die von Herrn Dr. B(...) in seinem NT-Artikel vom 28.1.90 eingeforderten Rechte, die ein Betriebsrat in den volkseigenen Betrieben haben müsste, kann die Gewerkschaft bereits heute in den Betrieben wahrnehmen. An diesen Stellen ist das AGB nur sehr undeutlich formuliert. Wahr ist, dass die Gewerkschaft das bisher ungenügend getan hat, Ich betrachte die Betriebsratsdiskussion deshalb gegenwärtig als sehr gefährlich, da die Betriebsratsarbeit juristisch nicht gesichert ist. Die Gewerkschaftsleitung wird nicht in ihrer Autorität und Schlagkraft gefestigt, sondern unterlaufen. Bei Arbeitsstreitigkeiten wird der Betriebsrat aber nicht vom Gericht anerkannt.

Die Erfahrungen des 1. Basistreffens der Gewerkschaften in Bernau machen deutlich, dass diese Diskussionen von nicht wenigen Betriebsleitern in die Belegschaften getragen werden. Warum, mit welchem Ziel? Fakt ist, dass das Kapital in der DDR Strukturen vorfinden möchte, die es kennt, die ihm geläufig sind. Gewerkschaften, wenn sie stark sind, sind immer unbequem und im Betrieb vom Kapital schon gar nicht gewünscht.

Verfassungsgesetz wichtig für arbeitende Menschen

Für die Sicherung der Interessen des arbeitenden Volkes wäre es schon erstrebenswert, wenn wir im gewerkschaftlichen erreichen könnten, dass uns in der DDR ein Gesetzeswerk zur Verfügung stände, das eine Kombination von AGB der DDR und stark verbesserten BVG der BRD darstellt. Dieses Gesetzeswerk muss Verfassungsgesetz werden, damit keine Regierung und keine Interessengruppe einseitig daran Gesetzesänderungen vornehmen kann.

Dann ist es ziemlich gleich, ob die Interessenvertretung durch die Gewerkschaft oder durch den Betriebsrat wahrgenommen wird. Ich hätte als BGL-Vorsitzender überhaupt keinen Grund, nicht im Betriebsrat tätig sein zu wollen.

Die Verabschiedung des Gewerkschaftsgesetzes wird es zeigen, welche politische Gruppierung, welche politische Partei, welche Regierung an einer starken Interessenvertretung im Betrieb interessiert ist.

Mich verwundert, dass die Umsetzung der Betriebsratskonzeption ein zentraler Punkt sozialdemokratischer Politik in der DDR ist. Meine bisherigen Kontakte zu Vertretern der SPD und auch zu kirchlichen Vertretern ließen bei mir die Hoffnung aufkommen, in ihnen Partner zu finden, die die rechtliche Sicherung des arbeitendes Volkes in den Betrieben, Genossenschaften und Privatunternehmen gerade jetzt über starke Gewerkschaften zum zentralen Punkt ihrer Politik machen. Sollte ich mich schon wieder getäuscht sehen?

Karl-Heinz S(...),
Vorsitzender der BGL
Forschung und Entwicklung
im VEB PCK Schwedt

aus: Neuer Tag, Nr. 31, 06.02.1990, 39. Jahrgang, Herausgeber: Verlag Neuer Tag

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