Gewerkschaften mit guter Bilanz seit dem Kongress / Auch nach den Wahlen gilt:

Dampf machen!

Fragen an Karin Schießl, Vize-Chefin des FDGB Vorstandes

• Die Ära der Übergangsregierung geht zu Ende. Wie sieht die Bilanz des Dachverbandes seit dem Außerordentlichen Kongress aus?

Ganz gut. Ich würde diese Zeitrechnung aber schon bei Mitte Januar ansetzen. Seit dein 13. 1. haben wir die Regelung der Überbrückungsgelder. Wir konnten den gewerkschaftlichen Feriendienst als Sozialtourismus erhalten. 534 Millionen muss dafür der Staat rüberreichen. Schon am 20. Januar hatten die Gewerkschaften den Ministerinnen Luft und Mensch ein Forderungspaket auf den Tisch gelegt. Seither wird im Auftrag der Regierung mit Hochdruck an Umschulungsprogrammen gearbeitet.

Werktätige, die wirtschaftlicher Umstrukturierung gewissermaßen zum Opfer allen, müssen natürlich eine soziale Starthilfe in ein neues Berufsleben bekommen, ganz klar. Wir haben auch die Arbeitslosen- und Vorruhestandsregelung durchgedrückt. Für die Zeit nach dem Kongress stehen einige Stichworte: Gewerkschaftsgesetz und Sozialcharta, Lohnerhöhungen für 2,8 Millionen Werktätige, Urlaubserhöhung und ein Feiertag, der Beginn der Steuerreform für Gehaltsempfänger ab 1. April.

Insgesamt haben wir in den paar Wochen mehr durchsetzen können als sonst in drei Jahren. Demokratie ist eben doch politisch produktiver als die leidige Treibriemenphilosophie.

• Mag sein, dass die Modrow-Regierung vergleichsweise pflegeleicht war. Seid ihr auch auf schärferen Wind nach den Wahlen eingestellt?

Wir sind nicht mehr im Parlament. Das ist gut so, weil es die Fronten klärt. Einiges aus unserem Forderungspaket ist allerdings noch offen. Ich denke dabei besonders an den Abschluss der begonnenen Steuerreform bis Januar 1991, die 40-Stunden-Woche für alle, an grundsätzliche Tarifreformen, an das einheitliche Rentengesetz, das auch die dynamische Rentenanpassung vorsieht. Weitere Aufgaben werden die Änderung beziehungsweise die Neufassung des AGB und die Ausarbeitung eines Betriebsverfassungsgesetzes sein. Die neue Regierung wird auch die restlichen 384 Millionen rausrücken müssen, die unser Feriendienst noch bekommt, um nur einiges zu nennen.

Generell pochen wir auf die strikte Einhaltung der vom Runden Tisch bestätigten Sozialcharta. Daran messen wir jede neue Regierung. Und dass wir in dieser Hinsicht Dampf machen werden, darauf können künftige Minister immer schon mal Gift nehmen.

Michael Richter

Tribüne, Fr. 16.03.1990

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