Erklärung von Harry Tisch vor dem Plenum

"Ich habe mich entschieden, von meiner Funktion als Vorsitzender des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zurückzutreten. Ich bitte den Bundesvorstand um Zustimmung. Die gegenwärtige Situation gebietet es, auch in der Gewerkschaftsarbeit eine grundlegende Wende zu vollziehen, eine Wende zur Stärkung unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht, zur Festigung des Sozialismus. Diese Wende muss von den über neun Millionen Mitgliedern, den ehren- und hauptamtlichen Funktionären unserer Klassenorganisation geschlossen getragen werden. Das ist nicht möglich, wenn der Vorsitzende dieser Organisation einen Vertrauensverlust erlitten hat.

Es ist unumstritten, dass ich über Jahrzehnte die Politik in unserem Lande auch als Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes mitgetragen habe. Darum muss ich mich - und ich tue es - für die entstandene Situation mitverantwortlich fühlen.

Ich erkläre hier vor dem Bundesvorstand, dass ich seit Eintritt in meine Partei und in den FDGB, gleich wo auch immer ich tätig war, als Arbeiter und in Funktionen der Gewerkschaft, der Partei und des Staates, aus tiefster innerer Überzeugung meine Kraft, mein Wissen und Können für das Wohl der Arbeiterklasse, aller Werktätigen und des ganzen Volkes eingesetzt habe. Ich ließ mich nie von persönlichen Ambitionen und Interessen leiten.

Im Prozess der Arbeit - das ist offensichtlich - sind Fehler gemacht worden. Es wurden Entscheidungen getroffen, die zu der heutigen Lage führten. Auch künftig werde ich als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und unserer Organisation meine Erfahrungen und die mir zur Verfügung stehende Energie zum Fortschritt unseres Landes einsetzen. Ich danke euch für das mir über lange Jahre gegebene Vertrauen.

Ich wünsche allen Mitgliedern des Bundesvorstandes und dem neu zu wählenden Vorsitzenden viel Kraft und Gesundheit, um die Wende in der DDR zu einem besseren Sozialismus auszugestalten."

Tribüne, Organ des Bundesvorstandes des FDGB, Fr. 03.11.1989, 45. Jahrgang, Ausgabe Nr. 217 B

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