"Da haben wir schon mal Zähne gezeigt"

Glasnost in den DDR-Medien: Auch die 'Für Dich', die größte Frauenzeitschrift, will weg vom bieder-braven, beschönigenden Journalismus. Von der Quote über sexuelle Gewalt bis zur Lebenssituation lesbischer Frauen soll in Zukunft über alles berichtet werden

Hinter dem Schreibtisch, an der Stirnseite des Raums hängen sie - die Ahnen: Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin. Haben wir uns etwa in der Tür geirrt? Nein, draußen steht ganz deutlich: Frieda Jetzschmann, Chefredakteur.

Hier, über den Dächern von Ost-Berlin, im Verlagshochhaus gegenüber vom Alex residiert die größte und - von ein paar Mode- und Handarbeitsmagazinen abgesehen - einzige Frauenzeitschrift in der DDR. 'Für Dich' heißt sie und erscheint wöchentlich mit einer Auflage von 960 000 Exemplaren. Im Monatsabonnement kostet sie 2,40 M, und am Kiosk ist sie meist schnell ausverkauft. Dabei war sie bisher meist sterbenslangweilig. Beschönigende Reportagen über Betriebe, gesellschaftliche Organisationen, idyllische Kleinstädte, verlogene Porträts von Funktionärinnen, Heldinnen der Arbeit oder glücklichen Kollektiven im sozialistischen Wettbewerb. Dazu ein paar Seiten Mode, Kosmetik, Kochrezepte und guter Rat fürs Haus und die Familie. Nur selten wurden "heiße Eisen" angepackt, etwa die Serie über "Leiterinnen", Frauen in Spitzenfunktionen. "Können sie nicht? Wollen sie nicht? Sollen sie nicht?" fragte 'Für Dich' mutig.

Nun soll das alles anders werden, denn das "Neue Denken" hat auch die Macherinnen von 'Für Dich' erfasst. Erste öffentliche Gedanken dazu hat sich Frieda Jetzschmann Anfang November in einem Kommentar gemacht. Was in der Vergangenheit falsch war und wie es nun anders werden soll, darüber unterhielt sich die taz mit der Chefredakteurin und der Ressortleiterin für Wirtschaft.

Jutta Arnold ist 49 Jahre alt und seit 1961 als Journalistin tätig. Frieda Jetzschmann, 52 Jahre, arbeitet seit 1962 in diesem Metier.

taz: Glasnost und Perestroika haben ja bei den DDR-Medien besonders eingeschlagen. Wie sieht das bei der 'Für Dich' aus?

Frieda Jetzschmann: Die 'Für Dich' wird einfach eine ganz andere Zeitung werden. Sie wird die Probleme real angehen, sie wird ein Forum werden für alle Meinungen und eine Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle - das auch. Aber sie wird sich auch völlig andere Themen und Schwerpunkte als bisher stellen.

Wir wollen uns jetzt wirklich als Frauenzeitschrift profilieren. Erstens ist das gesellschaftlich nötig. Zweitens ist es eine Chance, uns im Medienbereich zu behaupten. Denn wir sind diejenigen, die die Probleme benennen, Forderungen stellen, etwas durchsetzen können.

Was uns wundert bei diesem Umschwung: Woher kommen plötzlich die Journalistinnen und Journalisten, die kritisch und distanziert berichten und eine eigene Meinung präsentieren können? Haben Sie sich früher in ihrer Arbeit gebremst gefühlt?

Frieda Jetzschmann: Dieser Frage kann man nicht mit einer Antwort beikommen. Nehmen wir zum Beispiel das Problem der frauentypischen Berufe. Natürlich hat man gesehen, dass dort die Bezahlung nicht so hoch ist wie anderswo. Aber immer wurde gesagt: Es gibt die ökonomischen Zwänge, und soviel kann man nicht machen. Das sind Probleme, die man zwar sieht, oder die man argumentativ anklingen lässt, aber für die man nicht offen Veränderungen gefordert hat.

Jutta Arnold: Ab und an haben wir schon Zähne gezeigt. Da konnten wir manchmal mehr als andere Zeitungen schreiben. Zum Beispiel unser Bericht darüber, dass Frauen nicht in Spitzenpositionen gelangen. Das ist ja der Widerspruch bei uns. Da haben wir Zähne gezeigt und uns auch ganz wohl gefühlt dabei.

Sind Sie für diesen Bericht jemals gerügt worden?

Jutta Arnold: Nee. (Zögert). Obwohl, doch, es gab Probleme.

Gibt es Artikel, die Sie bereuen und jetzt nicht mehr ins Blatt nehmen würden?

Frieda Jetzschmann: Ich würde so sagen: Es gibt Artikel, wo ich mehr und schärfere Forderungen stellen würde.

Jutta Arnold: Na ja, doch. Wir haben als erstes gesagt, Artikel, die die Arbeitswelt der Frau darstellen, und wie sie sie meistert und damit zurechtkommt, diese Artikel wird es nicht mehr geben.

Frieda Jetzschmann: Ich glaube, der Unterschied zu damals ist, dass wir heute Probleme viel öffentlicher machen können. Und nachfragen können. Du kannst doch gar nicht anders sein als der gesamtgesellschaftliche Zustand. Früher, wenn ein neues Werk eröffnet wurde, dann haben wir gezeigt, da arbeiten auch unsere fröhlichen Frauen. Heute fragen wir: Wie kommen die Frauen da zurecht und wie kommen sie zu ihrem Recht? Heute müssen wir die Fragen gesamtgesellschaftlich stellen. Alles ist jetzt viel ehrlicher. Vieles hatten wir ja schon angesprochen, wir haben nur zu wenig bewegt.

Jutta Arnold: Das ist nur die halbe Wahrheit...

Frieda Jetzschmann: Aber bei dem Thema Frauen in Spitzenfunktionen stimmt das.

Was sind die neuen Themen? Bisher lag das Schwergewicht auf Reportagen aus der Arbeitswelt. Und die waren meist sehr unkritisch und bieder. Dann gab es noch ein bisschen Mode, ein paar Haushaltstips. Was wird sich ändern? Und welches Frauenbild wird die 'Für Dich’ künftig transportieren?

Frieda Jetzschmann: Die Frau, die in der Gesellschaft etwas zu sagen hat, und zwar in verantwortlichen Positionen. Ob das nun die Regierungs- oder die Parteienebene ist, oder in sonstigen Organisationen. Dabei kämpfen wir nicht gegen Männer. Wir kämpfen mit Männern. Aber wir sind der Meinung, dass Frauen in den entsprechenden Positionen sein müssen, weil sie am besten wissen, wie die Dingen geregelt werden müssen.

In der bisherigen 'Für Dich' ist die Frau immer adrett und hübsch, sie lächelt, sie ist fleißig, muckt nicht auf...

Frieda Jetzschmann: Da ist ja auch was dran gewesen, die fleißigen Frauen der DDR...

Jutta Arnold: Wir werden aufmucken, und zwar ganz erheblich. Wir werden bestimmt als die Feministinnen der DDR verschrien werden. Obwohl ich den den feministischen Ansatz bei uns gar nicht sehe. Denn ihr versteht darunter ja wirklich den Kampf gegen die Männer.

Feminismus richtet sich gegen die Macht der Männer. Es geht nicht pauschal gegen die Männer, sondern gegen Macht von Männern über Frauen und die Mechanismen, die das ermöglichen.

Frieda Jetzschmann: Ich gehe insoweit mit, als ich denke, Frauen müssen in allen Positionen sitzen, wo Entscheidungen getroffen werden. Und ich hoffe, die Frauen passen sich nicht an. So ist doch noch niemals über flexible Arbeitszeiten nachgedacht worden. Für einen Mann ist das einfach nicht das Problem, für eine Frau sehr wohl. Deshalb kann man trotzdem eine effektive Wirtschaft machen. Oder im Dienstleistungsbereich. Was gibt es da für Möglichkeiten? Darüber haben doch bisher nur Männer nachgedacht. Frauen haben doch eine ganz andere Erfahrungswelt, von daher können Frauen andere Entscheidungen fällen.

Und wie kann erreicht werden, dass Frauen in diese Positionen kommen?

Frieda Jetzschmann: Nun, in dem offenen Brief der Frauenforscherinnen an das ZK der SED (vgl. Dokumentation am 10.11. auf der Frauenseite, d.Red.), haben wir die Quotierung verlangt.

Jutta Arnold: Da sind wir jetzt wirklich dabei, obwohl dieser offene Brief eher ein Schnellschuss war. Wir hatten die Frauenforscherinnen zu uns in die Redaktion eingeladen, und am Ende dieses Treffens entstand spontan dieser Brief. Wir glauben, dass dieses Thema sehr verbreitet werden muss. Aber es geht nicht darum, die alte Super-Frau abzulösen durch eine neue 'Für-Dich'-Markenfrau. Wir wollen die ganze Palette von Frauen und ihren Lebenssituationen aufzeigen und auch darüber diskutieren.

Frieda Jetzschmann: Es gibt ja auch lesbische Frauen. Was ist mit denen?

Ja, was ist mit denen?

Frieda Jetzschmann: Das weiß ich nicht, das werden wir jetzt erst mal erfahren. Wie leben sie, wie kommen sie zurecht? Oder die alleinstehenden Frauen? Da gibt es so viele. Denen geht es auf jeden Fall materiell schlechter, ist ja klar, wenn ein Gehalt fehlt. Was lässt sich da machen an sozialpolitischen Maßnahmen? Was haben die für Schwierigkeiten, Freunde zu finden? Oder: Wie leben die alten Frauen? Wie kommen die zurecht mit den Renten, die ja nun auch nicht himmelhoch wachsen.

Ein Tabu-Thema in der DDR-Presse ist die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Familie. Werden sie sich daran wagen?

Frieda Jetzschmann: Erst vor ein paar Tagen habe ich mit der zuständigen Redakteurin darüber gesprochen. Wir wollen an dieses Thema herangehen.

Werden Sie dabei auch auf Untersuchungen und Studien der sogenannten grauen Forschung zurückgreifen? Viele Themen wurden von Frauen bereits recherchiert, konnten bisher aber nicht veröffentlicht werden. Nicht nur hier in Berlin, sondern auch in der Provinz gibt es rege unabhängige Frauengruppen. Haben Sie zu denen Kontakte?

Jutta Arnold: Ich sehe das als unsere wichtigste Aufgabe denn wir haben keine Kenntnisse - durchzusichten, wo es was gibt. Das wird schwierig, denn wir sind ein relativ kleines Kollektiv. Alles muss jetzt akribisch zusammengetragen werden.

Werden sie auch über die Ergebnisse der Frauenforschung berichten?

Frieda Jetzschmann: Aber feste.

Jutta Arnold: Wir sind gerade dabei, uns einen wissenschaftlichen Beirat zu geben. Mit einem Philosophen, einem Pädagogen und, wenn möglich, mit einer Generaldirektorin. Mit diesem Beirat sollen Themen besprochen, wichtige Serien festgelegt werden.

Wie sehen die personellen Veränderungen bei der 'Für Dich’ aus? Beim 'Neuen Deutschland’ wurde vor kurzem die Chefredaktion ausgetauscht.

Frieda Jetzschmann: Darüber kann ich jetzt natürlich noch nicht sprechen.

Werden Sie Chefredakteurin bleiben?

Frieda Jetzschmann: Ja.

Wird es Veränderungen in den Entscheidungskompetenzen geben?

Frieda Jetzschmann: Sie werden auf eine kollektivere Ebene gestellt werden. Die Eigenverantwortung des Redakteurs und der Abteilung soll größer werden.

Und wer entscheidet dann über die Versetzungen? Oder wer weitermachen darf?

Frieda Jetzschmann: Na, weitermachen können alle. Wir machen hier ja keine Hausschlachtung. Also alle Abteilungen machen Vorschläge zur Strukturveränderungen. Für manche wird sich nicht viel ändern, aber andere werden sich ein neues Arbeitsgebiet suchen müssen. Das alles entscheiden wir ganz alleine.

Aber ihre Zeitung gehört ja der SED. Wie steht es mit deren Einfluss?

Frieda Jetzschmann: Das wird sich schon ändern, aber ich kann im Moment noch nicht darüber sprechen. Jutta Arnold: Also das unmittelbare Anleiten, das hat seit der Wende tatsächlich aufgehört.

Wie sah das aus?

Frieda Jetzschmann: Es gab halt so Hinweise, was nun wichtig ist und was nicht.

Fühlten Sie sich da nicht oft als Marionette?

Jutta Arnold: Günter Schabowski (ZK-Sekretär für Information und Medien, Anm. d.Red.) hat doch dafür eine unheimlich kluge Erklärung gefunden: Wir waren alle Subjekt und Objekt.

Und was mehr?

Frieda Jetzschmann: Das muss jeder für sich entscheiden... Aber trotzdem hatten wir oft das Gefühl, zum Beispiel bei dieser Leiterinnen-Geschichte, auf die Pauke gehauen zu haben.

Jutta Arnold: Aus heutiger Sicht lächeln wir natürlich darüber.

Und inwieweit mischt da der DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands - Anm. d.Red.) in der 'Für Dich' mit? Bisher galt die Zeitschrift auch ein bisschen als Hauspostille des DFD.

Frieda Jetschmann: Also, das ist nun aber eine Fehleinschätzung. Denn der DFD kümmert sich ja nur ums Wohngebiet und die 'Für Dich' hat sehr viel aus der Arbeitswelt berichtet.

Aber es gab immer sehr ausführliche und brave Berichte über die Arbeit des DFD.

Jutta Arnold: Gut, alle vier Wochen bekam der DFD seine Doppelseite.

Frieda Jetzschmann: Nun dürfte aber auch klar sein, dass sich auch der DFD völlig neu profilieren muss. Er braucht inhaltlich ein neues Programm.

Halten Sie den DFD für reformierbar?

Jutta Arnold: Nein, ich bin jedenfalls skeptisch.

Frieda Jetzschmann: Also, ich weiß nicht. Da ist so eine Gewissensfrage. Mit neuen Leuten ist vieles möglich.

Sind Sie Mitglied?

Frieda Jetzschmann: Ich bin einfaches Mitglied. Ich habe mit Vorstand oder Präsidium nichts zu tun.

Auf der Demo vom 4. November wurde DFD mit auf einem, Transparent mit "dienstbar, folgsam, dumpf" übersetzt.

Frieda Jetzschmann: Für mich steht eins fest: Frauen brauchen eine wirkliche Interessenvertretung - ob die nun DFD oder anders heißt.

Und wie wäre eine Neuprofilierung vorstellbar?

Jutta Arnold: Das weiß ich nicht, das ist auch nicht mein Bier, ich bin auch nicht Mitglied im DFD. Ich weiß nur, die jungen Frauen, die wollen keine Häkelnachmittage, die suchen den geistigen Austausch. Die wollen über ihre Probleme reden und wie man die lösen kann. Da müsste zum Beispiel über Frauenhäuser gesprochen werden.

Eine letzte Frage: Wie wirken sich die neuen Verhältnisse auf die Lust aus, Zeitung zu machen?

Jutta Arnold: Sehr hektisch. Weil alle Lust haben, was Neues zu machen. Und alle wollen die ersten sein.

Das Gespräch führten Ute Bertrand, Ulrike Helwerth, Helga Lukoschat

die tageszeitung, 25.11.1989, Ausgabe 2971

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