GRÜNE PARTEI
Ökonomie zwingt zum Stopp für Kernkraftwerke
Der Traum vom billigen Atomstrom ist ausgeträumt. Die Bau- und Betriebskosten für Kernkraftwerke sind unverhältnismäßig stark angewachsen und wachsen weiter. Die erhöhten Sicherheitsanforderungen haben ihren Preis. Niemand vermag wohl zur Zeit zu sagen, was die Kilowattstunde Strom aus Kernenergie wirklich kostet. Die Angaben belaufen sich schon auf 30 bis 35 Pfennige, doch sind weder Forschungs- noch Entsorgungskosten vollständig darin enthalten, von ökologischen und gesundheitlichen Langzeitschäden gar nicht zu reden.
Die Industrieländer nehmen heimlich Abschied vom Atomstrom. Die USA haben seit zehn Jahren kein neues KKW mehr gebaut, Österreich hat zwar einen Atommeiler errichtet, aber nie in Betrieb genommen, Schweden bereitet den Ausstieg vor und in der Bundesrepublik wurde Wackersdorf zur Investruine erklärt, nachdem man etwa vier Milliarden DM hineingesteckt hatte. Der Grund: Die Kosten sind nicht mehr tragbar. In jüngster Zeit reiht sich auch Frankreich in die Liste der Kernkraft-Krisenländer ein. Die Abschaltungen häufen und die Ausschaltzeiten verlängern sich drastisch, so dass die geplanten Stromlieferungen nicht mehr gesichert sind. Der forcierte Ausbau der Atomenergie führte zudem zur massiven Verschuldung der französischen Staatskasse.
Währenddessen wird in der DDR fleißig weitergebaut. Anfang Dezember 1989 wurden Ausrüstungsimporte aus Frankreich angekündigt. 32 Milliarden Mark aus dem Staatshaushalt der DDR sollen zur größten Baustelle des Landes fließen: zum KKW bei Stendal. Diese Milliarden machen einen großen Teil des landeseigenen Schuldenberges aus fatale Folgen einer fehlgeschlagenen Energiepolitik.
Die DDR ist der größte Energieverschwender Europas. Unter Einbeziehung aller Wirtschaftszweige verbrauchen wir pro Kopf fast doppelt soviel Energie, wie ein Durchschnitts-Europäer und immerhin ein Drittel mehr als ein Einwohner der BRD. Dieser größte Energieverschwender führt auch die Liste der Umweltverschmutzer an. So nimmt die DDR, bezogen auf die Einwohnerzahl, eine europäische Spitzenstellung im Ausstoß von S02, CO2 und Staub ein. Der geplante Ausbau von Kernenergie würde - paradoxerweise - diese fragwürdige Führungsposition weiter festigen. Allein der Kernkraftwerksbau, inklusive Herstellung von Stahl und Zement, verschlingt große Energiemengen und belastet damit unsere Umwelt direkt mit o. g. Schadstoffen.
Die billigste und umweltschonendste Alternative zum weiteren KKW- Ausbau bietet die konsequente Nutzung des Energiepotentials. Dieses beträgt in der DDR mindestens 50 Prozent, mit großer Wahrscheinlichkeit liegt es entschieden höher (siehe Brundtland-Bericht, sowie bei Amory B. Lovins, Träger des Alternativen Nobelpreises). Eine Einsparung in Höhe von 50 Prozent ist, wie Japan bewiesen hat, bei gleicher und wachsender Wirtschaftskraft möglich. Grundvoraussetzung sind jedoch Energiepreise, die als Triebkraft in Richtung Einsparung wirken. So kostet die Kilowattstunde Strom in Japan rund 40 Pfennige - der in der DDR gültige Preis von acht Pfennigen wird von keinem Industrieland unterboten!
Nach Studien des unabhängigen Öko-Instituts Freiberg kostet das Einsparen von Energie (z.B. durch Wärmedämmung an Gebäuden, Kühlgeräten usw.) nur halb soviel, wie das Erbauen neuer Kraftwerke. Hinzu kommt, dass eingesparte Energie keine laufenden Betriebskosten erfordert, also weder Brennstoffbeschaffung, noch Umweltschutzmaßnahmen, noch Lohnkosten nach sich zieht. Wir fordern deshalb aus Gründen ökonomischer Vernunft den sofortigen Stopp des KKW-Baus in der DDR. Würden Material, Energie und Arbeitskräfte für die Realisierung eines Energiesparprogramms eingesetzt, ersparten wir uns nicht nur die schwer kalkulierbaren Risiken der Kernenergie, wir könnten zusätzlich auch auf Kohle in Größenordnungen verzichten, wie sie das größte Braunkohlenkraftwerk der DDR (Boxberg) bislang beansprucht.
Somit bedeutet die ernsthafte Nutzung des Energiesparpotentials - statt der Nutzung von Kernenergie - auch weniger Kohleverbrennung und weniger Umweltverschmutzung.
Energie und Kohle einsparen heißt - nicht zuletzt, Zeit gewinnen für die Erschließung erneuerbarer Energiequellen welche die einzige dauerhafte Alternative bieten.
Wir fordern die Regierung der DDR auf, diesen Vorschlag durch unabhängige Einrichtungen überprüfen zu lassen und Sofortmaßnahmen für ein Energiesparprogramm einzuleiten.
Dr. Ernst Dörfler
Dr. Marianne Dörfler
aus: National-Zeitung, 09.01.1990