Heimkehr in ein fremdes Land?

Wieder in der DDR: Vera Wollenberger - Gedanken nach einem unfreiwilligen Exil

Vera Wollenberger lebte mit ihrer Familie in den letzten zwei Jahren als DDR-Bürgerin in Großbritannien. Offiziell ein Studienaufenthalt. Dank der finanziellen Unterstützung der Kirche wurde tatsächlich ein Teilstudium an der Cambridge-University möglich. Seit zehn Jahren in der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung in der DDR tätig, gründete Vera Wollenberger - heute Grüne Partei - in Berlin-Pankow einen der ersten Friedenskreise mit. Weil sie sich öffentlich gegen die Stationierung von Atomraketen auf dem Territorium der DDR wandte, wurde sie aus der SED ausgeschlossen und durfte ihren Beruf als Lektorin im Verlag Neues Leben nicht mehr ausüben. Die Diplomphilosophin nahm ein Theologiestudium auf und engagierte sich in der Bewegung Kirche von unten. Die Teilnahme am Olof-Palme-Friedensmarsch 1987 verbanden sie und viele Gleichgesinnte mit der Hoffnung auf den Beginn eines Reformkurses. Sie wurden eines Besseren (oder Schlimmeren) belehrt. Auf dem Weg zur Liebknecht-Luxemburg-Demo am 17. Januar 1988 wurde Vera Wollenberger verhaftet. Sie trug ein Plakat mit dem Artikel 27 der Verfassung, der jedem Bürger öffentliche und freie Meinungsäußerung, garantiert. Wegen angeblich versuchter Zusammenrottung wurde Vera Wollenberger zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und zehn Tage nach der Urteilsverkündung nach England abgeschoben.

Im Dezember 1989 sprachen Sie auf einer Leipziger Montagsdemo gegen die schwarzbraune Gefahr und wurden ausgepfiffen. Was empfindet man nach Stasi-Knast und Abschiebung bei solcher Reaktion?

Ich kann das gut ertragen. Unerträglich ist mir der Gedanke, dass die demokratische Bewegung, die sehr viel Hoffnung auch bei anderen Völkern geweckt hat, vom groß deutschen Taumel erstickt wird. "Rote raus" schrien die Demonstranten, versuchsweise auch mal "Hängt die Roten alle auf". Und wer waren die Roten? Ich bin in ihrem Block mitgegangen. Ihre Gesichter waren mir unbekannt, aber vertraut aus langen Jahren Friedens- und Öko-Arbeit. Es waren dies Menschen, die die demokratischen Freiheiten, in unserem Land erkämpft haben und nun als "Wandlitz-Kinder" beschimpft werden. Für mich ist das größte Verbrechen der Honecker-Mafia, dass die Menschen, die heute nach Großdeutschland schreien, jeden Funken Glauben und Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Gesellschaft in unserem Land verlieren mussten. Der Hass auf die Stasi, die Funktionäre, die Politiker, die SED hat die Leute blind gemacht für den Unterschied zwischen Häschern und Verfolgten.

Man ließ Sie in Leipzig nicht ausreden. Was war Ihre Botschaft?

Ganz einfach die, dass bei meiner Ankunft in England eigentlich keine so recht wusste, was GDR war. East Germany verstand man schon eher und verband damit etwas Uninteressantes, Graues, Langweiliges. Mit den Oktober-Ereignissen änderte sich das grundlegend. Über Nacht war die DDR zu einem der aufregendsten Länder geworden. Aus Interesse wurde bald Sympathie. Sprach ich früher vor höchstens 50 Zuhörern über die unabhängige Friedensbewegung in der DDR, werden jetzt Stadthallen gemietet, weil Hunderte kommen, um etwas aus unserem Land zu hören. Die aufkeimende Beliebtheit der Deutschen in der DDR hat nun einer Unsicherheit Platz gemacht. Wollen die Deutschen wieder die Größten, Reichsten, Erbarmungslosesten sein?

Wie sehen Sie eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten?

Wenn wir es schaffen, ein Land zu werden, das frei ist und geachtet und geliebt, bleibt auch ein vereintes Deutschland nicht länger ein Alptraum. Doch müsste es ein entmilitarisiertes Deutschland sein, das neutral ist und seine Wirtschaftskraft, vermutlich die stärkste Europas, nicht nur für seinen eigenen Wohlstand, sondern für die Heilung der Natur und für die solidarische Hilfe für andere Völker einsetzt. Vielleicht würden dann auch die Menschen, die nach einem sofortigen Anschluss an die BRD rufen erfahren, dass sie, wenn sie nur wollen, in einem Land leben können, dessen Gesicht und Atmosphäre sie selbst bestimmen. In dem endlich ihre Würde das Maß aller Dinge ist. Vielleicht würden sie dann weniges Lust verspüren, diese selbst geschaffene Freiheit und Volksdemokratie wieder aufzugeben.

Sie sind Mitglied der Grünen Partei. Die Grünen sind auch in der DDR eine Minderheit, nahezu jede Partei legt Wert auf ökologische Programme. Halten Sie es trotzdem für nötig, dass Ihre Partei auch Regierungsverantwortung übernimmt?

Ich denke, dass wir das müssen. Nach meinem Gefühl ist die Ökologie bei vielen Parteien nur ein notwendiger Zusatz, weil die allgemeine Bewusstseinslage jetzt so ist, dass man ohne Ökologie nicht mehr auskommt. Aber wenn man genauer hinsieht, ist die Umweltpolitik immer das erste, was hinten runterfällt. Beim Demokratischen Aufbruch zum Beispiel hat man das sehr gut verfolgen können. Das wird bei den anderen Parteien nach meinen Erfahrungen auch so sein.

Was hat Sie dazu veranlasst, im Herbst 89 in die DDR zurückzukehren?

Ich war ja nur in England, weil ich in der DDR nicht sein durfte. Mit Beginn des zweiten Studienjahres kam die Wende. Mein Sohn Philipp, der zu den relegierten Schülern der Berliner Ossietzkyschule gehört, wurde rehabilitiert und fuhr noch Hause. Ich entschloss mich, meine Zeit zu teilen fürs Examen zum Master of Philosophy und für die Arbeit der Grünen Partei, die ich in der Kommission, die die neue Verfassung ausarbeitet, vertrete. An der Cambridge-University - ich bin die erste DDR-Studentin dort - zeigte man für meine Situation großes Verständnis.

Wie es nun beruflich weitergeht ist noch offen. Es wäre gut, wenn irgendwann einmal eine Rehabilitierung in die Wege geleitet würde. Damit hängt ja auch die Aufhebung meines Berufsverbots zusammen.

Was haben Sie unternommen, um in der DDR Ihr Recht einzuklagen?

Dazu muss ich sagen, dass ich gar nicht ins Ausland gegangen wäre, wenn mein Rechtsanwalt, Herr Schnur (heute Vorsitzender des "Demokratischen Aufbruchs" - H.B.) mir im Gefängnis nicht so ein düsteres Bild von der Lage gegeben hätte. Zwar sagte er mir, dass es in Berlin Solidaritätsgottesdienste gab, vom wahren Ausmaß der Solidaritätsbewegung im Lande hatte ich aber keine Ahnung. Er verschwieg mir, dass während der Verlesung meines Urteils die Glocken von der Kirche neben dem Gerichtsgebäude geläutet wurden, um mir Mut zu machen. In sein Bild passte dagegen, dass der als Zeuge der Verteidigung geladene Freund von mir während der Verhandlung zum Zeugen der Anklage wurde. Seine Aussagen bildeten dann das Gerüst der Urteilsbegründung: Ich fühlte mich wie in einem stalinistischen Horrorstück. Eine Berufung bezeichnete mein Rechtsanwalt mir gegenüber als aussichtslos. Als ich dann im Westen war, hat er meinen Freunden gegenüber allerdings geäußert, ich hätte es trotz - ausgezeichneter Aussichten bei der Berufung - vorgezogen, das Land zu verlassen. Ich will das nicht kommentieren, aber hinzufügen, dass sich mein Rechtsanwalt später - trotz mehrmaliger dringender Bitten - nicht um ein Wiederaufnahmeverfahren gekümmert hat.

(Das Gespräch führte Heidrun Braun)

aus: Junge Welt, Nr. 34 B, 09.02.1990, 44. Jahrgang, Linke Sozialistische Jugendzeitung

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