JW sprach mit Minister Platzeck über Bonn-Besuch

Geschenke sind auf keinen Fall zu erwarten

Mit dem Minister ohne Geschäftsbereich Matthias Platzeck von der Grünen Partei sprach Ulrich Schwemin.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse des Bonn-Besuchs ein?

Große Zufriedenheit ist nicht aufgekommen. Es ist die Einsetzung einer Expertenkommission zur Vorbereitung einer Währungsunion und einer Wirtschaftsgemeinschaft vereinbart worden. Das ist alles. Ich meine, das meiste haben wir also verpasst. Vor allem glaube ich auch, man sollte seinem Verhandlungspartner nicht die Bedingungen diktieren und anschließend behaupten, man sei fair.

Welche Bedingungen! Frau Luft hat gesagt, Bonn sei ohne Konzept in die Verhandlungen gegangen.

Das stimmt, aber kein Konzept ist auch ein Konzept. Die Verhandlungsführung der BRD ließ einfach den Eindruck entstehen, dass wir schon auf den Knien liegen, aber sie wollen uns noch tiefer, auf den Bauch. Da kommt einem unwillkürlich der Verdacht, dass es nicht um Vereinigung geht, sondern um Anschluss.

Und was hätten Sie sich gewünscht von den Verhandlungen?

Für mich gibt es sieben wichtige Punkte.

Erstens Einsetzung mehrerer weitgehend öffentlich arbeitender Expertenkommissionen zu Wirtschafts-, Finanz-, Rechtsfragen und zur Einbindung der Vereinigung in den KSZE-Prozess.

Zweitens stelle ich mir eine gemeinsame Erklärung über einen verantwortbaren Fahrplan der Vereinigung vor, damit die Menschen endlich wissen, wann was passiert.

Drittens Beginn der Sanierung der schlimmsten ökologischen Katastrophengebiet. was nur mit westlicher Hilfe geht. Dabei ist einfach kein Aufschub mehr möglich, und Konzepte liegen teilweise schon vor.

Viertens die unbedingte Anerkennung der polnischen Westgrenze durch beide deutsche Staaten vor der Vereinigung.

Fünftens umgehende Intensivierung der bestehenden Städte-und Regionalpartnerschaften.

Der sechste Punkt betrifft nur die DDR selbst: Sie muss ihre Bürokratie endlich abschaffen. Mit der Beibehaltung des staatlichen Außenhandelsmonopols beispielsweise läuft wirtschaftlich gar nichts mehr.

Der siebente Punkt schwebt über allen anderen, und den hat Herr Kohl trotz Nachfrage nicht einmal erwähnt: Die Zahlung von 15 Milliarden DM Solidarbeitrag, um Bedingungen zu schaffen für besonnene und sachbezogene Verhandlungen ohne Druck.

Aber Bundesfinanzminister Waigel hat den Solidarbeitrag erwähnt . . .

Herr Waigel hat in der Pressekonferenz für meine Begriffe gelogen. Er hat gesagt. Experten hätten festgestellt, dass in der DDR derzeit gar kein Geld angelegt werden könne. Das ist schlichtweg falsch, und das erschwert natürlich ganz erheblich faire Verhandlungen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, eine marode Wirtschaftsstruktur zu stützen. Es geht um Krankenhausausrüstungen, Müllfahrzeug. und andere Dinge, die für die Menschen hier dringend gebraucht werden.

Gibt es über die Einschätzung der Ergebnisse von Bonn in der DDR-Delegation einen Konsens?

Herr Eppelmann sieht es wohl etwas positiver. Aber richtig wohlgefühlt hat sich keiner aus unserer Delegation. Es ist einfach mehr erwartet worden. Ich habe auch Herrn Kohl, für den wir jahrzehntelang die "Brüder und Schwestern" waren, während der Verhandlungen gesagt, dass man mit Geschwistern nicht taktieren sollte.

Hat die BRD-Seite eigentlich ihr Verhandlungsziel benannt?

Nein diese Frage steht nach wie vor und das muss sie endlich ganz deutlich sagen. Man muss in diesem Zusammenhang auch den Vorwurf erheben, dass in der Bundesrepublik ganz gezielt eine Fehleinschätzung der wirklichen Situation in der DDR erzeugt wird. Wem dienen denn solche Falschmeldungen über eine Zahlungsunfähigkeit der DDR und über einen bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch. Ich denke, die Verbreitung solcher Hysterie zeugt nicht von hoher nationaler Verantwortung.

Sehen Sie eigentlich noch eine reale Chance, dass die Interessen der DDR-Bürger finanziell und eigentumsrechtlich bei einer Vereinigung gewahrt bleiben?

Ja. Aber wir werden nichts geschenkt bekommen, das ist in Bonn klar geworden. Dazu müssen wir eben unsere eigene Bürokratie überwinden und ganz neue Ideen zur Veränderung unserer Wirklichkeit entwickeln. Nur auf diesem Weg können wir uns selbst gleichberechtigt einbringen.

Zur Vereinigung gibt es keine Alternative, auch weil die Probleme der Dritten Welt und der Ökologie uns sehr bald so stark beschäftigen werden, dass die Ost-West-Probleme einfach keine Rolle mehr spielen dürfen. Überstürzen sollten wir dennoch nichts. Wenn die Bedingungen für die Vereinigung jetzt schlecht sind, müssen wir uns die Zeit nehmen, sie zu verbessern. Denn auch, wenn bei uns radikale Veränderungen stattfinden müssen, hoffe ich doch sehr, dass sie nicht auf ein einfaches Plagiat der Verhältnisse in der Bundesrepublik hinauslaufen. Es hat sich in der DDR auch ein Wertgefüge entwickelt, von dem die Bundesrepublik allerhand übernehmen könnte. Dazu gehören Dinge, die mit der Lebensweise zu tun haben, und der hohe Grad der Politisierung und des politischen Wissens der Menschen hier.

Junge Welt, Sa. 17.02.1990

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