Politisch-soziale Rechte des Menschen sind unteilbar
BZ-Gespräch über die Arbeit der Initiative Frieden und Menschenrechte
Mit dem Gründungsmitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), Gerd Poppe (48 Jahre, Diplomphysiker), sprach BZ über Entstehung und Ziele der Vereinigung.
BZ: Die Initiative Frieden und Menschenrechte kann als älteste Bürgerbewegung bezeichnet werden. Sie entstand immerhin bereits 1985.
G. Poppe: Die Anfänge liegen sogar noch früher. Unser Ausgangspunkt war die unabhängige Friedensbewegung der 80er Jahre.
Unser Anliegen war es von Anfang an, den Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Frieden herzustellen, die gesellschaftliche Situation mit Abrüstung und Entmilitarisierung zu verbinden. Nach dem Verbot eines Menschenrechtsseminars das wir im Jahre 1985 in Berlin unter dem Dach der Kirche organisieren wollten, beschlossen wir die Gründung der Initiative. Sie arbeitet seither unabhängig - sowohl von der Kirche, deren Räume wir allerdings nutzen mussten, als auch vom Staat.
Stasi wollte "Grenzfall" auffliegen lassen
BZ: Schon damals machte die IFM durch verschiedene Veröffentlichungen und Aktionen auf sich aufmerksam, geriet in die Negativ-Schlagzeilen der zu jener Zeit gleichgeschalteten Maulkorb-Presse.
G. Poppe: Ja, das war Ende 1987. Mit einer großen nächtlichen Durchsuchungsaktion in der zur Zionskirchgemeinde gehörenden Umweltbibliothek wollte die Staatssicherheit unsere Zeitung "Grenzfall" auffliegen lassen. Es folgten viele Festnahmen, eine Menge Informationsmaterial wurde beschlagnahmt. Ein weiterer Höhepunkt der Kampagne gegen uns war die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 1988, nach der ebenfalls einige IFM-Mitglieder verhaftet, später sogar in Richtung Westen abgeschoben worden sind.
Gewaltfreiheit ist unabdingbares Prinzip
BZ: Nomen est omen - auch bei der Initiative Frieden und Menschenrechte?
G. Poppe: Natürlich. Wir gehen davon aus, dass Frieden und Menschenrechte untrennbar verbunden sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Darum treten wir für absolute Gewaltfreiheit ein, von Anfang an. Und eine weitere wichtige Grundaussage: Menschenrechte sind ebenso unteilbar wie der Frieden. In zweierlei Hinsicht. Man kann politische und soziale Rechte des Menschen nicht voneinander trennen oder gegenseitig ausschließen, Menschenrechte sind ohne Rechtsstaatlichkeit und politische Gewaltenteilung nach unserer Auffassung nicht durchsetzbar.
Der zweier Gesichtspunkt - man kann Menschenrechte geographisch nicht teilen. Darum ist uns internationale Solidarität wichtig, darum treten wir gegen Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern ebenso engagiert an.
BZ: Vertreter der IFM und des Neuen Forum hatten ja Ende vergangenen Jahres den Dalai Lama nach Berlin eingeladen und vor der internationalen Presse auf die bedrückende Lage der Tibeter aufmerksam gemacht.
G. Poppe: Das gehört mit zu dem, was ich internationale Solidarität nannte. Wir haben Arbeitsgruppen, die sich seit Jahren mit konkreten Fällen von Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel in Rumänien und Tibet, beschäftigen. Sie arbeiten dabei mit ähnlichen Vereinigungen in West? und Osteuropa eng zusammen.
Möglichkeiten gewaltlosen Widerstands
BZ: Die Herbststürme '89 veränderten nahezu alles in unserem Land, tagespolitische Aussagen von gestern sind schon heute überholt. Weiche Auswirkungen hat das auf die IFM?
G. Poppe: Unser Papier vom 28. Oktober vorigen Jahres müssen wir jetzt schnell überarbeiten. Einige Aussagen werden relativiert oder neu durchdacht. Die deutsche Frage zum Beispiel. Es führt ja nun offensichtlich kein Weg am Vereinigungsgedanken vorbei. Aber für uns gibt es keine separate deutsche Regelung, sondern nur eine im gesamteuropäischen Rahmen. Wir sehen mehrere Schritte: Truppenabzug, Abbau offensiver Verteidigungsstrukturen, Blockauflösung und Hinwendung zu sogenannter sozialer Verteidigung. Der Erfolg gewaltlosen Widerstandes, die Rolle der Bürgerbewegungen in unserem und in den Nachbarländern zeigt, dass diese Art der Verteidigung eine echte Chance hat.
Die allgemeine Hinwendung zur Marktwirtschaft ist inzwischen ebenso eindeutig. Wir legen jedoch eine ganz große Betonung auf die soziale Sicherstellung, auf Umschulungsprogramme, Ruhestandsregelungen, einkommensunabhängige Krankenversorgung und so weiter.
BZ: Die IFM versteht sich als politische Vereinigung, nicht als Partei. Worin sehen sie die Spezifik?
G. Poppe: Angesichts des sich entwickelnden Parteienspektrums haben wir festgestellt, dass es Inhalte gibt, die nicht in Parteiprogrammen stehen. Dementsprechend wollen wir diese Lücken schließen. Wenn beispielsweise Parlamentarismus jetzt ein Wert an sich ist, geht es uns darum seine Nachteile wenigstens partiell zu vermeiden. Außerparlamentarische Kontrolle muss dieses traditionelle System ergänzen. Es könnte nach unserer Auffassung durch direkte Demokratie, also durch entsprechende verfassungsrechtliche Regelungen, durch Volksentscheide und anderes relativiert werden.
Gleichermaßen notwendig erscheint uns, die direkte Einflussnahme von Interessen- und Betroffenenverbänden, vor allem auf regionaler Ebene, zu sichern. Zu eben diesem Zweck arbeiten zwei Mitglieder unserer Initiative in der Arbeitsgruppe "Neue Verfassung" des zentralen Runden Tisches mit. Dabei können sie auf Erfahrungen einer Arbeitsgruppe zurückgreifen, die sich schon Jahre mit Fragen von Justiz und Rechtsstaatlichkeit befasst.
Inhaltlich wichtig bleibt unsere Arbeit für Minderheiten, ganz gleich, ob es ethnische oder soziale sind, die sonst kaum Interessenvertreter finden.
BZ: Die Wahlen sind vorgezogen, dir Zeitdruck dadurch enorm. Was hat jetzt Priorität?
G. Poppe: Der Vorstoß der SPD zu diesem frühen Wahltermin kam aus heiterem Himmel und belastet uns sehr, weil wir davon ausgingen, diesen Anlauf gemeinsam zu tragen. Ein Wahlbündnis von Bürgerinitiativen und -bewegungen bekommt nun ein ganz besonderes Gewicht. Zumal wir keine massive Unterstützung von starken Sponsoren aus dem Westen haben.
Außerdem wollen wir so schnell wie möglich ein klares Wahlprogramm erarbeiten. Schwerpunkte bleiben die eben kurz skizzierten Inhalte unserer bisherigen Arbeit, die eindeutig und konkret das widerspiegeln sollen, was unser Name an Programmatik in sich birgt.
Das Gespräch führte
Bettina Urbansski
aus: Berliner Zeitung, Nr. 31, 06.02.1990, 46. Jahrgang. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.