Aufruf an Werktätige zur Bildung von Basisgruppen

Initiative für unabhängige Gewerkschaften stellt sich vor

Am 20. 12. 1989 haben sich Kolleginnen und Kollegen aus 40 Betrieben und Einrichtungen - zum Teil in Vertretung anderer Kollegen und Kollektive - in Berlin zusammengefunden, um über eine künftige Interessenvertretung der Werktätigen zu beraten.

Die überwiegende Mehrheit kam zu der Überzeugung, dass der FDGB nicht ausreichend reformierbar ist und wir daher eine völlig neue Organisation brauchen. Wir rufen daher alle werktätige zur Gründung von Basisgruppen auf, die sich in einer unabhängigen Gewerkschaft zusammenschließen.

- Wir gehen davon aus, dass zwischen den Werktätigen auf der einen und der Betriebsleitung und dem Staat auf der anderen Seite ein Interessengegensatz besteht. Wir vertreten ausschließlich die Interessen der Werktätigen.

- Wir sind nicht gegen eine effiziente Wirtschaft, sofern sie umweltverträglich ist, aber wir wollen verhindern, dass die wirtschaftliche Entwicklung zu Lasten der Werktätigen geht.

- Wir wollen die Ziele und Formen der Produktion - vom Betrieb bis zur Volkskammer - mitbestimmen. Dazu gehört die Wählbarkeit und Abwählbarkeit von staatlichen u.a. Leitern.

SCHLIESST EUCH DIESEM AUFRUF AN! BILDET GEWERKSCHAFTLICHE BASISGRUPPEN! NEHMT AKTIV AN DER GRÜNDUNG EINER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFT TEIL!

Bis zum 15. Januar 1990 wollen wir einen alternativen Satzungsentwurf vorlegen und bitten um eure Mitarbeit. Auf dieser Grundlage soll dann ein Gründungskongress vorbereitet werden.
Kontaktadressen: Klub Conrad-Blenkle-Str. 1, Berlin 1055, Mo.: 19-21 Uhr und Mi.: 17-19 Uhr; Bernhard B(...), Brandenburg 1800, Gerd W(...), Berlin 1134.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Endlich haben Sie Gelegenheit unseren "Gründungsaufruf" in voller Länge zu lesen, und können sich selbst ein Bild machen. Obwohl wir Ihn sofort der Presse angeboten hatten hat man es vorgezogen, Kommentare zu ihm abzudrucken, die - namentlich vom Bezirksvorstand des FDGB - natürlich sehr kritisch ausfielen. Der Vorwurf der "Spaltung" geistert durch die Argumentation. Dazu kurz: Wir sind für eine starke, einheitliche gewerkschaftliche Kraft (wer sagt denn, dass die ehemaligen FDGB-Mitglieder nicht dieser neuen Gewerkschaftsorganisation beitreten?), die in den kommenden Auseinandersetzungen unsere Interessen vertritt. Einheit ist kein Zustand, der durch Leitungen ausgerufen wird, sondern eine politische Bewegung! Und die wird auf Initiative von unten, im freiwilligen Zusammenschluss und unabhängig von einem verkrusteten Apparat entstehen. Nur von einer solchen Einheit erwarten wir wirkliche Stärke!

i.A. Uwe B(...)
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aus: Berliner Zeitung, Nr. 306, 30./31.12.1989, 45. Jahrgang