DDR 1989/90 Brandenburger Tor


Gespräch mit Michael Czollek (Die Nelken)

"Wir wollen die Kontakte zu Linken in der BRD verstärken"

UZ: In Kürze wird die heißumstrittene Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der Bundesrepublik für die DDR Realität. Salopp gefragt: Hat die D-Mark gesiegt?

Michael Czollek: Die D-Mark hat sicher gesiegt. Alle anderen Konzepte die Wirtschaft stabil zu machen, eine Konvertibilität der DDR-Währung durchzusetzen, sind unter den Tisch gefallen. Das hängt damit zusammen, dass die Ungeduld der Bevölkerung groß war, dass die Verschlechterung der Situation in den letzten drei Jahren nachhaltig gewirkt hat. Entscheidende Veränderungen sind zu spät gekommen.

UZ: Eine Position der Linken in Ihrem Land, die Eigenständigkeit der DDR zu wahren, einen anderen nichtkapitalistischen Weg zu gehen - dieses Ziel - oder Ansätze dazu - wäre damit ja wohl gescheitert . . .

Michael Czollek: Wir haben es zwischen November und jetzt nicht vermocht, die Fragen der Eigentumsverhältnisse zu beantworten oder schlüssig zu vermitteln. Es gab Unklarheit. was wir uns vorstellen. Sozialistisches Eigentum, Volkseigentum . . .

Die Auffassung von einem irgendwie gearteten Volkseigentum hat in der Sache geschadet. Es hätte ein gesellschaftliches Eigentum in den Groß- und Grundmittelindustrien hergestellt werden müssen. Das ist nicht erfolgt. Die Eigentumsverhältnisse nehmen die jetzt bekannte Form an und deswegen sind die politischen Verhältnisse nicht so geworden, wie wir sie gerne gehabt hatten oder wie sie sich im Zuge der Revolution im November anzubahnen schienen.

UZ: War das nur eine Vermittlungsfrage, eine Definitionsfrage oder steckt nicht mehr dahinter? Eine Assoziation in der Bundesrepublik, die derlei beschriebenen Eigentumsformen mit dem überwundenen System gleichsetzt?

Michael Czollek: Beides, wurde ich sagen. Einerseits wurde Volkseigentum subsumiert, das bis zu diesem Zeitpunkt existierte, andererseits aber die Auffassung bestand, es habe zwar ein deformiertes aber doch vorhandenes Volkseigentum gegeben. Beide Dinge zusammen haben für Verwirrung gesorgt. Da die Zeit zu kurz war, haben wir auch nichts bewirkt. Man muss auch sehen, dass der wissenschaftliche Vorlauf für entsprechende Konzeptionen nicht vorhanden war.

Und man muss sehen, dass am "Runden Tisch" zwar über alle möglichen Fragen, bis zur berechtigten Forderung nach Auflösung der Staatssicherheit geredet wurde, aber die bewegenden Fragen, wie geht es weiter mit der Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, wer bestimmt über die Betriebe, wem gehören die Betriebe nicht beantwortet wurden. Damit haben sich die linken Kräfte ihrer eigenen Basis beraubt. Man darf sich nicht wundern, dass andere Kräfte Gehör fanden, die gesagt haben, wir führen die D-Mark ein und alles wird gut.

UZ: War der Wunsch, eine eigenständige DDR zu bleiben‚ schon bald Illusion? Setzte dies mit den ersten "Deutschland"-Rufen in Leipzig ein oder mit der Verkündung Modrows über ein "Deutschland, einig Vaterland"?

Michael Czollek: Ich glaube, mit der Erklärung Modrows ist die Sache staatsoffiziell geworden. Das hängt damit zusammen, dass weder von der Regierung der "Nationalen Verantwortung" noch mit der Regierung der "Nationalen Verantwortung", an der alle beteiligt waren und es keine Opposition gab, keine Anstrengungen unternommen wurden, einen Volksentscheid über die weitere DDR Existenz herbeizuführen.

UZ: Gab es dazu eine Chance?

Michael Czollek: Als im Januar die Verfassungsänderung zum Eigentum erfolgte, hätte die Volkskammer durchaus einen Volksentscheid beschließen können. Ich bin sicher, dass zum damaligen Zeitpunkt einer Änderung der jetzigen Eigentumsformen nicht mehrheitlich zugestimmt worden wäre. Das hätte der Regierung eine Legitimation verschafft, auf der Grundlage der bisherigen Verfassung weiterzuarbeiten.

UZ: Ein vorzeitiges Nachgeben?

Michael Czollek: Ja, vor dem scheinbar übergroßen Drang nach der deutschen Einheit, der dann, wie das beim Nachgeben immer der Fall ist, größer wurde. Aber es hätte alternative Konzepte für eine Eigenständigkeit in der DDR in einer Verfassung geben müssen. Dass ein Verfassungsentwurf erst jetzt - also nach der Wahl kommt -, ist katastrophal.

UZ: Inzwischen etabliert sich in der DDR eine Parteienlandschaft mit adapterähnlichen Eigenschaften in Richtung Bundesrepublik. Welchen Platz haben DDR-Linke in dieser und in einer künftigen gesamtdeutschen Parteienlandschaft?

Michael Czollek: Wir sagen immer, die Lehre aus 1945 ist die der Notwendigkeit der Einheit der Linken, und die von 1989 ist die, dass diese Einheit herstellbar ist. Wir streben eine Vernetzung aller sich links verstehenden Kräfte an. Auch ein Listenbündnis für die Wahl und mit dem Charakteristikum, dass auch schwächere linke Gruppen in der Lage sind, an einer Liste mitzuwirken, wo die Gruppen entsprechend ihrer Anteile Gewicht haben. Das könnte die Chancen erhöhen, ihre Ideen in ein Parlament einzubringen. Ich sehe, dass die Zersplitterung der Linken in der Bundesrepublik viel weiter vorangeschritten ist als in der DDR. Und diese Chance, es bei uns so weit nicht kommen zu lassen, sollten wir nutzen. Es gibt auch viele Anstrengungen von uns in der DDR, die Kontakte zu Linken in der Bundesrepublik zu verstärken. Und es gibt auch praktische Beispiele dafür.

Wir sehen die Sache so, dass derart tiefgreifende Veränderungen nicht nur im Verhältnis von zwei Ländern, sondern in der Welt zwangsläufig Auswirkungen haben auf die Gesellschaftsstruktur der kapitalistischen Länder. So dass nicht vorauszusehen ist, was so h daraus entwickelt.

UZ: Was wären denn die vordringlichsten Inhalte linker Politik für den nächsten überschaubaren Zeitraum, etwa bis zu den gemeinsamen Wahlen?

Michael Czollek: Vernetzung untereinander, parallel hier und in der Bundesrepublik. Abstimmung gemeinsamer Aktionen, brennende Fragen in der Bevölkerung aufzuspüren und aus linker, marxistischer Sicht eine Antwort zu geben. Was nicht mehr geht, ist, nur den Blick auf das zu richten, was verloren ist, sondern die Antworten müssen gefunden werden innerhalb der nun einkehrenden politischen Verhältnisse. Es gibt ja auch Ansatzpunkte, ich denke an die Entmilitarisierung der DDR. Es wird die Frage sein, warum braucht Deutschland Atomwaffen, auch die Frage des Volksentscheides, wie sie hier gehandelt wird, dies alles sind Themen, die aus unserem Blickwinkel aktuell anstehen.

Das Gespräch führte Reinhold Schlitt

unser zeit, Fr. 15.06.1990

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