"Das Neue Forum arbeitsfähig machen"

Michael Arnold ist einer der sieben Sprecher des "Neuen Forums" in Leipzig

INTERVIEW

taz: Du kommst gerade von der Demonstration. Auffällig war, dass es keine Demoleitung gab und trotzdem alles wie am Schnürchen ablief.

Arnold: Wir vom Neuen Forum haben ja beschlossen, nicht zu Demonstrationen aufzurufen. Aber da sie ohnehin stattfinden würde, haben wir uns schon abgesprochen, wie ein paar Dutzend unserer Leute mithelfen können, dass es nicht zu Auseinandersetzungen kommt. Zum Beispiel indem sie an der Seite des Zuges einzelne Leute, meist Betrunkene, davon abhalten, die Polizei zu provozieren.

Wie geht es jetzt weiter? Wird das Neue Forum auf seine offizielle Beteiligung an dem sogenannten Dialog drängen?

Der Antrag ist uns schon einmal abgelehnt worden. Wir wollen jetzt keine zweite Ablehnung riskieren. Staat und Partei müssen erst einmal zu sich selbst finden. Ein paar Fehler haben sie zwar eingestanden, aber ihre Machtposition lassen sie bisher nicht infrage stellen. Da muss einfach ein bisschen Zeit vergehen. Mittlerweile setzen sich ja schon ganze Grundorganisationen der Partei für uns ein oder fragen bei uns nach Informationen.

Habt ihr Einladungen zu Gesprächen?

In der Universität sind wir in Vorgesprächen über eine Veranstaltung mit der Sektion "Marxismus-Leninismus". Wir fordern natürlich, dass das Podium paritätisch besetzt wird. Und wir haben den Vorschlag gemacht, eine Veranstaltung auf dem Karl-Marx-Platz zu machen, wo jemand von der Partei und jemand von uns jeweils eine Rede hält. Aber unsere Hauptarbeit ist im Moment, das Neue Forum wirklich arbeitsfähig zu machen. Wir haben einen vorläufigen Sprecherrat aus sieben Leuten gebildet, der im November richtig gewählt werden soll. Überall in der Stadt sind die Namen und Adressen unserer Kontaktpersonen angeschlagen, bei denen die Leute den Aufruf des Neuen Forums unterschreiben können. Bisher haben das im Raum Leipzig 1 500 bis 2 000 getan. Wir haben auch schon ein Redaktionskollegium, das im nächsten Monat die erste Ausgabe einer Zeitung herausbringen wird.

Mit einer Druckgenehmigung?

Die beantragen wir, aber wir machen parallel in jedem Fall weiter. Papier und Abzugsmaschinen für Matrizen haben wir jedenfalls schon. Gleichzeitig arbeiten wir an einem programmatischen Papier.

Manche haben euren Aufruf nicht unterschrieben, weil ihr nicht explizit einen anderen Sozialismus für die DDR fordert.

Wir wollten das Forum einfach offenhalten auch für die, die inzwischen eine Abwehrhaltung gegen den Begriff Sozialismus entwickelt haben. Den Meinungsstreit mit denen, die sich als Anti-Sozialisten verstehen, brauchen wir - auch innerhalb des Forums.

Interview: Tobias Lehmann

die tageszeitung, Mi. 18.10.1989

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