"Wir haben nicht klein beigegeben"

Ingrid Köppe, Vertreterin des Neuen Forums am runden Tisch, begründet, warum die Opposition die Gespräche trotz ihres geplatzten Ultimatums nicht abgebrochen hat

taz: Hat sich die Opposition am Runden Tisch mit ihrem Ultimatum an Modrow, dessen Nichterfüllung sie einfach hingenommen hat, nicht ziemlich blamiert?

Ingrid Köppe: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass wir konsequent waren. Wir haben deutlich gezeigt, dass wir mit den Antworten der Regierung nicht einverstanden sind. Aber ich denke nicht, dass man nun sofort den gesamten Runden Tisch hätte platzen lassen sollen, denn ich denke schon, dass wir den Bericht über die innere Sicherheit, den wir verlangen, auch erhalten müssen.

Das wolltet ihr ja mit eurem Ultimatum gestern erreichen. Aber die Regierung hat euch erst einen unbefriedigenden Bericht geliefert und euch dann mit eurer forschen Forderung, Modrow solle in zwei Stunden Rede und Antwort stehen, einfach abfahren lassen. Ihr habt klein beigegeben, ohne irgendwelche Gegenmaßnahmen zu treffen.

Wir haben nicht klein beigegeben. Wir haben gefordert, dass Modrow, der Generalstaatsanwalt und der Minister des Innern uns diesen Bericht geben, und da das gestern Nachmittag nicht möglich war (Modrow saß schon im Flugzeug zur RGW-Sitzung in Sofia, d. Red.), müssen wir nun abwarten, bis dies möglich ist - hoffentlich am 15. Januar. Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass solch ein Bericht bereits vorliegt. Denn das wäre doch eigentlich die Grundlage, auf der die Regierung eine so schwerwiegende Entscheidung wie die Gründung eines Verfassungsschutzes treffen könnte.

Ihr lasst Euch auf den 15. Januar vertrösten, habt aber keinerlei Gewissheit, ob das dann nicht ähnlich ausgeht wie gestern. Man hat das Gefühl, die Opposition steckt in einem Dilemma.

Das Gefühl hab ich nicht. Ich glaube, dass es dabei auch um die Öffentlichkeit geht, die jetzt diesen Bericht und eine deutliche Stellungnahme erwartet. Schon aus diesem Grund kann man den Runden Tisch jetzt nicht einfach platzen lassen.

Das Dilemma der Opposition liegt doch offensichtlich darin, dass sie momentan keine Möglichkeit hat, Druck auf die Regierung auszuüben. Sie ist weder in der Lage, große Demonstrationen zu organisieren, noch will sie den Runden Tisch platzen lassen.

Sollte sich in Zukunft erweisen, dass der Runde Tisch seine Aufgabe der Regierungskontrolle nicht erfüllt, dann ist der Runde Tisch nicht mehr länger aufrechtzuerhalten.

Wie reagiert die Opposition denn auf die Tatsache, dass die Demonstrationen, die ja der eigentliche Motor der Wende waren, mittlerweile an der Opposition vorbeilaufen und in erster Linie die Wiedervereinigung propagieren?

Ich glaube, dass da bei der Bevölkerung Resignation eine große Rolle spielt. Viele sehen, dass der Demokratisierungsprozess im Land zu langsam vorangeht. Deutliche Veränderungen werden nicht sichtbar. Durch diese Resignation werden die Rufe nach Wiedervereinigung als letztem Ausweg auf den Demonstrationen immer lauter.

Seht ihr Chancen, diesen Prozess noch einmal umzukehren, oder begebt ihr euch jetzt einfach des Druckmittels Demonstration?

Nein. Ich glaube schon, dass wir im Zusammenhang mit der Frage der Staatssicherheit, der Bildung eines Verfassungsschutzes, der Offenlegung der Vermögensverhältnisse der SED mit großen Teilen der Bevölkerung in Übereinstimmung sind. In der nächsten Zeit wird es da zu gemeinsamen Demonstrationen kommen. Das Neue Forum hat ja zum 15. Januar zu einer landesweiten Demonstration gerade zu diesen Themen aufgefordert.

In den letzten beiden Wochen hat sich die Situation zwischen Opposition und Regierung bzw. SED verschärft. Kündigt sich da eine weitere Eskalation an?

Das ist schwer voraussehbar, aber ich glaube auch, dass sich die Beziehung tatsächlich verändert hat. Noch vor einiger Zeit war die SED bereit, die Opposition anzuhören. Inzwischen ist es so, dass wir in den Medien eigentlich nur durch die SED dargestellt werden. Das alles führt natürlich zu Verhärtungen.

Wenn das so weitergeht, wie werdet ihr euch denn dann bei der nächsten Sitzung am 15. dieses Monats verhalten? Gibt es da eine gemeinsame Strategie?

Das ist bisher noch nicht abgesprochen. Ich kann nur für das Neue Forum sagen, dass wir den Runden Tisch verlassen werden, wenn die Regierung nach wie vor auf der Einrichtung eines Verfassungsschutzes vor den Wahlen besteht. Dieser Verfassungsschutz würde aus der Staatssicherheit hervorgehen, einer Organisation, die wir als verfassungsfeindlich einschätzen.

Aber euer Auszug vom Runden Tisch ist für den 15. noch nicht zu erwarten?

Das kommt auf den Verlauf der Gespräche an, ich schließe es nicht aus.

Interview: Matthias Geis

aus: taz Nr. 3003 vom 10.01.1990

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