Forderung nach Legalisierung der Tätigkeit des "Neuen Forums"

Brief Wolfgang Heyls an Minister Dickel

Berlin (NZ). Der Vorsitzende der Volkskammerfraktion der CDU, Wolfgang Heyl, hat dem Minister des Inneren und Chef der Deutschen Volkspolizei, Armeegeneral Friedrich Dickel, einen Brief übermittelt, in dem er kritische Anfragen zur rechtlichen Behandlung des "Neuen Forums" stellt. In dem Schreiben heißt es:

"Bei dieser Entscheidung und der Art ihres Zustandekommens vermisse ich die Beachtung von Grundsätzen der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit, wonach Entscheidungen nur auf der Grundlage der Verfassung, der Gesetze und anderer Rechtevorschriften (in diesem Falle wohl die 'Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen' vom 6. November 1975, GB1. Teil I, Nr. 44, Seite 723 ff) ergeben dürfen.

Die Schnelligkeit der Entscheidung legt die Vermutung nahe, dass eine Prüfung von Inhalt und Zielen des 'Neuen Forums' im Sinne der genannten Verordnung nicht stattgefunden hat.

Viele Mitglieder der CDU, darunter auch solche in verantwortlichen Positionen, haben zwischenzeitlich Gespräche mit Mitgliedern oder potentiellen Mitarbeitern des 'Neuen Forums' geführt und dabei den verlässlichen Eindruck gewonnen, dass die Zielstellung der angesprochenen Personen und Gruppen sehr wohl den Grundsätzen der sozialistischen Gesellschaftsordnung verpflichtet ist, wenngleich sie Fragen nach deren inhaltlicher Gestaltung und zukünftiger Form stellen.

Noch weniger als die zunächst angegebene Begründung vermag die zumindest in Presseorganen nachgeschobene Behauptung zu überzeugen, dass kein gesellschaftliches Bedürfnis für die Tätigkeit dieser Vereinigung bestehe.

Allein die zwischenzeitlich gesammelte Zahl von Unterschriften, aber auch in anderer Weise vielfältig artikulierte Meinungen widersprechen dem. Erkennbar handelt es sich bei den Unterzeichnern des Erstaufrufs des 'Neuen Forums' um Bürger aus unterschiedlichen sozialen Schichten und differierenden Weltanschauungen. Viele von ihnen würden ihre christlich motivierten Haltungen, wenn auch nicht in Form einer Mitgliedschaft, so doch unterstützt durch die CDU, in die gesellschaftliche Diskussion einbringen.

Der Widerspruch zwischen der verlautbarten ministeriellen Entscheidung und der Tatsache, dass maßgebliche Vertreter der Regierung, der Parteien, der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Kräfte sich in den Dialog mit Mitgliedern des 'Neuen Forums' begeben haben, ist evident und macht eine schnelle Entscheidung zwingend.

Handlungsbedarf besteht daher nach meiner Auffassung zunächst darin, die Gesetzlichkeit herzustellen, um so die Voraussetzung für eine sachgerechte Prüfung des nicht nur von mir als berechtigt angesehenen Anliegens zu schaffen.

Ich halte es deshalb für erforderlich, dass der oben genannte Bescheid des Ministeriums des Inneren offiziell und öffentlich zurückgezogen wird und dass sich die Tätigkeit des 'Neuen Forums' auf legaler Grundlage vollziehen kann."

aus: Neue Zeit, Jahrgang 45, Ausgabe 257, 01.11.1989