In die Zukunft denken

Freya Klier zum Scheitern der Gründung eines "Neuen Forums West" und den weiterhin anstehenden Aufgaben

INTERVIEW

taz: Der erste Versuch, im Westen eine Gruppe zur Unterstützung und in Anlehnung an die Oppositionsbewegung in der DDR auf die Beine zu stellen, ist schiefgegangen - nicht nur, weil die Versammelten sich nicht einigen konnten, sondern auch, weil der Name nicht mal mit den Leuten in der DDR abgesprochen war. Warum hast du dich an so einer Chaos-Produktion beteiligt?

Freya Klier: Am Anfang war das gar nicht chaotisch. Der Name war ein interner Arbeitstitel, von dem ich auch prinzipiell meinte, dass er nicht taugt, weil der Eindruck entstehen könnte, von außen sollte irgendwie in die DDR hinein Einfluss genommen werden. Diese Animositäten bei den Leuten in der DDR waren mir bekannt. Durch die frühe Veröffentlichung sind wir in einen wirklich unglücklichen Zugzwang geraten. Was dann rauskam, war eben eher eine Stoffsammlung von Problemen.

Müssen ehemalige DDR-Bürger im Westen politisch abstinent bleiben, weil die Opposition in der DDR den Fernsteuerungsvorwurf nicht verkraftet?

Nein, das finde ich nicht. Ich denke vielmehr, dass es notwendig ist, den Austausch zwischen ehemaligen DDR-Bürgern und den Leuten, die hier aufgewachsen sind, in Gang zu bringen. Das sollte einfach nicht den Konservativen überlassen bleiben, was da über Wiedervereinigung oder nicht unters Volk gebracht wird. Eine glaubwürdige Haltung von Linken zu dieser Frage habe ich bisher vermisst.

Bei dem Treffen sind ja zwei Aufgabenstränge angesprochen worden: die Organisierung konkreter Hilfe und theoretische Arbeit oder vielleicht einfach neues Nachdenken. Wie kann man das beides angehen?

Das muss man erstmal voneinander abtrennen. Die Unterstützung für Leute in der DDR ist eine sehr heikle Geschichte, der Vorwurf der Außensteuerung muss vermieden werden, und außerdem ist das eine absolute Vertrauensfrage. Aber es ist auch ganz eindeutig, dass Bedarf an Hilfe besteht - etwa wenn es um die Frage geht, Ordnungsstrafen zahlen zu können oder im Gefängnis absitzen zu müssen. Welche Formen für diese Nothilfe gefunden werden, muss gesondert beraten werden von Leuten, die sich genau dafür einsetzen wollen. Die andere Geschichte ist das neue Nachdenken, wofür ich mich auch besonders interessiere. Ich denke da nicht an eine Exil-DDR-Gruppe, sondern daran, dass wir uns gemeinsam zusammensetzen mit Leuten, die ihre Geschichte hier haben und teilweise einiges wiederfinden bei dem, was jetzt in der DDR passiert, aus ihrer eigenen 68er Zeit. Das ist eine gute Ausgangslage, um sich gemeinsam zu überlegen, wie diese Veränderung in Europa - und zur Zeit besonders in Osteuropa - sich niederschlagen kann in einer neuen Politik. Dazu gehört dann auch, die ganze Sozialismus-Debatte nochmal aufzurollen.

Den Abgang aus der DDR psychisch nicht zu verdauen, tauchte als gegenseitiger Vorwurf auch bei dem von euch initiierten Treffen häufig auf. Ist ehemaliger DDRler zu sein ein pathologisches Profil?

Das will ich nicht hoffen, obwohl ich bei einigen auch den Eindruck habe. Ich denke aber, dass eine ungesunde Verdrängungssituation nur dadurch aufgehoben werden kann, dass wir mit den uns bewegenden Fragen umgehen und uns auch öffentlich damit auseinandersetzen. Es geht eben nicht, hier zu leben und mit dem Kopf weiterhin in der DDR zu sein, eigentlich dort mithandeln zu wollen. Das hat auch was damit zu tun, dass viele nach ihrem Weggang aus der DDR im Westen erstmal in ein Loch gefallen sind. Trotz der gleichen Sprache gibt es tausend Verständigungsschwierigkeiten und eine tiefe Fremdheit. Viele Leute haben eben das Problem, von zwei Seiten ausgegrenzt zu sein. Bei der Oppositionsbewegung in der DDR gibt es die Haltung, wer hinter der Mauer ist, der ist für uns passe. Ich halte das für eine große Engstirnigkeit, nicht gerade zukunftsweisend. Und die westdeutsche Linke hat diesen Menschen bisher auch wenig angeboten. Wer als ehemaliger DDR-Bürger heute was tun will, darf nicht zur Passivität verurteilt bleiben. Denn das, was sich heute abspielt, ist ja auch zu einem guten Teil ihre Geschichte. Es geht aber darum, eine Form zu finden, die diese ganzen Fragen in einen so weitreichenden Rahmen stellt, so übergreifend angeht, dass eben keine schizophrene Haltung zur eigenen Identität entsteht.

Könntest du dir vorstellen, daß es in der Bundesrepublik ein Neues Forum gibt, aber nicht als Fan-Club für die gleichnamige Gruppe in der DDR, sondern als Zusammenschluss für politische Veränderung hier?

Genau das wünsche ich mir. Den Namen "Neues Forum" würde ich dafür aber in jedem Fall vermeiden, das führt nur zu Missverständnissen. Die Frage gesellschaftlicher Reformen und des deutsch-deutschen Verhältnisses ist ja zu einer richtigen Scheidelinie in den bestehenden Parteien geworden. Und dabei geht es weniger um eine Unterscheidung zwischen rechts und links, als darum, daß es Leute gibt, die weiter allerhand Sonntagsreden zum Fenster raus halten, und andere, denen dieser unreflektierte Brei zunehmend auf den Geist geht. Nötig wäre schon ein Forum, eben ein Ort, um Zukunft zu denken.

Interview: Georgia Tornow

die tageszeitung, 14.10.1989

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