Martin Böttger

studierte Physik an der TU Dresden 1965-70. Arbeitete als Programmierer in Karl-Marx-Stadt, Berlin und Zwickau. Wurde 1982 an der TU Dresden promoviert. Arbeitete beim VEB Robotron. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Bauakademie in Berlin 1979-83. In Berlin arbeitete er beim Versorgungskontor Leder. Er arbeite im Kombinat MINOL. Nachdem sein Betrieb, das Kombinat Oberbekleidung Lößnitz in Konkurs ging, kann er bei Arbeitsamt Zwickau unter.

Von 1970-72 Bausoldat. Grundausbildung in Garz. Danach in Groß-Mohrdorf und Holzdorf. Auf der Baustelle in Groß-Mohrdorf bei Stralsund gründete er eine Gesprächsgruppe. Für ihn war die Bausoldatenzeit eine Schule der Opposition, wie er später berichtete. (1)

Er trat aus der FDJ aus und in die Evangelische Studentengemeinde ein.

Ab 1972 in der kirchlichen Friedensarbeit tätig. Auf der 1. Mai-Demonstration 1975 in Karl-Marx-Stadt trug er ein Plakat mit der Aufschrift "Für die Verwirklichung der Menschenrechte", ohne behelligt zu werden. Ein Jahr später wurde er vor der Demo bereits abgefangen und sechs Stunden verhört. Er hatte auf ein Schild das Wort "Abrüstung" geschrieben. Auf der 1. Mai-Demonstration 1980 in Berlin trug er ein Plakat auf dem ein umgedrehter Stahlhelm zu sehen war, aus dem eine Blume wuchs.

Mitunterzeichner eines offenen Briefes 1978, indem die Kriegsdienstverweigerung als fundamentales Menschenrecht weltweit gefordert wird. Mitglied einer Gruppe, die sich 1980 während der Ereignisse in Polen gegründet hatte und sich u.a. zur Aufgabe machte, Verbindungen zur Solidarność herzustellen, sich selber als revolutionär verstand und aufklärerisch wirken wollte.

Er beteiligte sich an einem befristeten Fasten in der Erlöserkirche in Berlin vom 06. bis 12.08.1983. Auch wurde ein Brief an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker geschrieben. Sie solidarisierten sich mit Menschen, die in verschiedenen westlichen Ländern, die 06.08.1983 mit einem unbefristeten Fasten für das Leben begannen.

Am 01.09.1983 erfolgte eine 15-tägige Festnahme wegen versuchter Teilnahme an einer Menschenkette anlässlich des Weltfriedenstages. Seine U-Haft verbrachte er im Gefängnis in Berlin-Rummelsburg. Für seine Freilassung setzte sich der damalige Regierende Bürgermeister Berlins, Richard von Weizsäcker, ein. Der Bundesvorstand der Grünen wandte sich an Erich Honecker, um seine Freilassung zu fordern. Im August 1983 nahm er zum Gedenken an den Atombombenabwurf auf Hiroschima am 6.8.1945 an einer Fastenaktion teil.

1984 unterschrieb er eine Solidaritätserklärung an die Bundesversammlung der Grünen in Hamburg. Beteiligte sich an der "Initiative für Blockfreiheit in Europa" 1984. Unterzeichnete 1985 einen offenen Brief an die Teilnehmer der XII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Moskau. Er gehörte der "Kontaktgruppe Charta '77", die sich 1985 bildete, an.

Eine Teilnahme am 4. Kongress über atomare Abrüstung in Europa im Juni 1985 in Amsterdam wurde ihn von den DDR-Behörden verwehrt. Er schrieb zusammen mit Stephan Bickhardt einen Brief an die Teilnehmer

Unterschrieb eine Eingabe zum XI. Parteitag der SED im April 1986. Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 unterstützte er einen offenen Brief und eine Willenserklärung an die Volkskammer. Es wurde eine Volksabstimmung gefordert.

Unterschrieb im November 1986 das Memorandum "Das Helsinkiabkommen mit wirklichem Leben erfüllen". Unterzeichnete ein Brief von Ludwig Mehlhorn an Erich Honecker vom 01.11.1986. Ihn ihm wird um die Einstellung des Verfahrens gegen Reinhard Lampe ersucht. Reinhard Lampe, 1989 Mitbegründer der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt, hatte am 13.08.1986 gegen die Berliner Mauer protestiert.

In seiner Wohnung fand am 13.03.1987 eine "Ost-West-Runde" statt.

Am 15.04.1987 wurde er zeitweilig von pass- und visafreiem Reiseverkehr mit der ČSSR ausgeschlossen. Nachdem er am 24.04.1987 versucht hatte in die ČSSR zu reisen, wurde gegen ihn eine Ordnungsstrafe von 300 Mark verhängt. Ihm wurde vorgeworfen, mit seiner beabsichtigten Reise hätte er vorsätzlich das sozialistische Zusammenleben der Bürger gestört. In seiner Beschwerde dagegen, bat er darum die Personen zu nennen, deren sozialistisches Zusammenleben von ihm am 24.04.1987 gestört worden wären, damit er ihnen sein Verhalten erläutern kann.

Im August 1987 nahm er am Olof Palme-Friedensmarsch teil. Teilnehmer eines Treffens am 12.10.1987 mit Vertretern einer US-amerikanischen Delegation, von Botschaftsangehörigen und dem Korrespondent der Frankfurter Rundschau in der DDR. Teilnehmer der Ökumenischen Versammlung 1988 und 1989. Mitunterzeichner eines Briefes im April 1989 an das Kollegium der Rechtsanwälte im Bezirk Frankfurt (Oder), indem gegen den Ausschluss Rolf Henrichs protestiert wurde. Bei den Wahlen in der DDR strich er jeden Namen auf dem Wahlzettel durch oder ging erst gar nicht zur Wahl. Nach der Kommunalwahl im Mai 1989 erstattete er Anzeige wegen Wahlbetrugs.

Leitete die Arbeitsgruppe "Menschenrechte und Justiz" bei der IFM. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift "Kontext" und Wahlfall '89. Eine Dokumentation über die Fälschung der Kommunalwahl am 07.05.1989. Gegen ihn leitete das MfS zwei Operative Vorgänge "Spaten" und "Diplom" ein. Nach dem Lesen seiner Stasiakten fragte er sich, wer mehr Angst hatte. Er vor der Stasi oder die Staatssicherheit mehr vor ihm.

Mitbegründer des Neuen Forums. Mitanmelder des Neuen Forum am 19.09.1989 im Bezirk Karl-Marx-Stadt nach § 3 der Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 06.11.1975. Ihm und seinen zwei Mitanmeldern wird am 03.10.1989 vom Stellvertreter des Rats des Bezirks Karl-Marx-Stadt mitgeteilt, es besteht keine gesellschaftliche Notwendigkeit für eine Vereinigung "Neues Forum". Sie hätten jeder Zeit die Möglichkeit sich in den bestehenden gesellschaftlichen Organisationen zu beteiligen. Auf den Einwand Martin Böttgers, es bestehe die Möglichkeit, dass sich Bedürfnisse und Notwendigkeiten einmal verändern, nachdem zuvor auf das geltendes Recht seit 1975 verwiesen wurde, wurde nicht eingegangen.

Mitglied des Bezirkssprecherrates in Karl-Marx-Stadt. Auf einer Versammlung des NF im Oktober 1989 nannte er die Länder Österreich und Schweden als sein Vorbild für einen Art demokratischen Sozialismus.

Im November 1989 forderte er, die Akten des MfS über die politisch Verfolgten offen zulegen. Am 19.01.1990 wird er zum Vorsitzenden des Arbeitsausschusses zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit im Bezirk Karl-Marx-Stadt gewählt.

Die Machtfrage im Herbst 1989 nicht gestellt zu haben sah er später als großen Fehler an. (2)

Wurde im März 1990 in die Volkskammer gewählt. Gab aber sein Mandat an Werner Schulz ab. Mitglied in der Arbeitsgruppe "Landesverfassung für Sachsen". Vorstandsmitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Fraktionschef von Bündnis 90 im sächsischen Landtag 1990 bis 1994.

Der stellvertretende sächsische CDU-Landesvorsitzende versuchte 1996 vergeblich ihn für einen Übertritt zur CDU zu gewinnen.

Sein Kreistagsmandat Zwickauer Land gab er nach kurzer Zeit ab, da er Leiter der Heimbetriebsgesellschaft Kirchberg wurde. Ab 2001 bis 2010 Leiter der Außenstelle Chemnitz der Stasiunterlagenbehörde.

Er wandte sich wiederholt gegen die Verharmlosung von Neonazis in Sachsen.

Wegen einer symbolischen Beschädigung eines Zaunes während einer Demo vor einer Abschiebehaftanstalt bekam er einen Strafbefehl über 200 D-Mark. Ohne Zahlung wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Mitunterzeichner eines offenen Briefes von Bündnis 90 an die Friedensbewegung 1992. Im Februar 2014 unterschrieb er einen Offenen Brief der Ermutigung von Wolf Biermann an Vitali Klitschko.

Die Hartz-IV-Reform bezeichnete er als notwendig, weil in der Vergangenheit über die Verhältnisse gelebt wurde. Er könne die Demos dagegen heute denen überlassen, die früher nicht bereit waren zu demonstrieren, als es noch gefährlich war. Heute wird er bei Demos für die Rechte der politischen Flüchtlinge gebraucht. (3)

Einen Offenen Brief an Sportlerinnen, Sportler, Verbände und Sponsoren zur Teilnahme an den Olympischen Spielen in China unterschrieb er im April 2008. In im heißt es: "Auch weil sich bereits zwei deutsche Diktaturen mit den Leistungen von Sportlern schmückten, ist die öffentliche Debatte zu diesem Thema notwendig und die Teilnahme an den Spielen in Peking eine Gewissensfrage."

Einen Aufruf, Norbert Lammert zum nächsten Bundespräsidenten zu wählen unterschrieb er im Oktober 2016. Er unterschrieb eine Gemeinsame Erklärung zu Chemnitz vom 05.09.2018.

Er unterschrieb einen Offenen Brief vom 28.06.2019, indem gegen den geplanten Auftritt von Gregor Gysi am 09.10.2019 in der Peterskirche in Leipzig protestiert wird.

Er unterschrieb die Offene Erklärung vom 18.08.2019 "Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf", durch die AfD.

Eine Grußadresse an die Demonstranten in Belarus unterschrieb er im September 2020.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 unterschrieb er die Erklärung "Hisst die ukrainische Flagge überall!"

Wie zu DDR-Zeiten protestiert er 2022 mit einem selbstgemalten Schild. Diesmal gegen Demonstranten, die Montags durch die Zwickauer Innenstadt ziehen. Er wendet sich gegen den Missbrauch der Symbolik von 1989. Er will rechtsradikalen Parteien etwas entgegensetzen.

Die Charta 77 bezeichnet er als großes Vorbild. 1987 gelang es ihm sich mit Vertretern von Charta 77 in Prag zu treffen.

Zur DDR-Zeit entwickelte er das Gesellschaftsspiel "Bürokratopoly". Ziel des Spiels ist es, Generalsekretär der SED zu werden.

2009 erhielt er den Sächsischen Verdienstorden.

(1) Martin Böttger auf dem Bausoldatenkongress Potsdam 3.-5.09.2004
(2) Martin Böttger in Jesse, Eckhard (Hg.): Friedliche Revolution und deutsche Einheit, Sächsische Bürgerrechtler ziehen Bilanz, Ch. Links Verlag Berlin 2006, S. 30
(3) ebenda S. 27ff

Links
Brief von Stephan Bickhardt und Martin Böttger vom 25.06.1985 an die Teilnehmer eines Abrüstungskongresses in Amsterdam
Aus Stasiakten 28.09.1987 Teil I
Aus Stasiakten 28.09.1987 Teil II
Aus Stasiakten 28.09.1987 Teil III
Stasiauflistung Teil I
Stasiauflistung Teil II

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