Rolf-Rüdiger Henrich

in Magdeburg geboren, wuchs er in Hannover auf. Zusammen mit seiner Mutter kam er als Jugendlicher in die DDR.

Bergmann mit Abitur, Hauer im VEB Martin Hoop Werk Zwickau. Er studierte ab 1964 Jura an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er wechselte später an die Humboldt Universität Berlin. Anschließend dort Assistent. Kurze Zeit an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften "Walter Ulbricht" in Potsdam-Babelsberg tätig. Anwalt in Eisenhüttenstadt ab 1973. Er hatte eine der zehn größten Kanzleien in der DDR.

FDJ-Mitglied. Leistet einen anderthalbjährigen Wehrdienst ab. SED-Mitglied seit 1964. SED-Parteisekretär des Rechtsanwaltskollegiums in Frankfurt (Oder) 1973-1983. Wird als Anwalt für ausländische Vertretungen zugelassen.

1964 wird er von der MfS Bezirksverwaltung Gera angesprochen. IM "Streit". Vorgesehen war für ihn ein Einsatz in der BRD. Einen Einsatz in München absolvierte er auch. Zu einem weiteren Einsatz, BND-Zentrale in Pullach, kam es nicht. Ab dem "Prager Frühling" 1968 kommen dem MfS in Berlin Zweifel an der Zuverlässigkeit ihres IM.

Es gelang nicht über das Rechtsanwaltskollegium, etwas in den Apparat einzuspeisen oder irgendeinen Einfluss auf die Rechtspolitik, sei es Gesetzgebung oder Rechtsprechung zu nehmen, sagte er in einem Gespräch. (1)

Er gehörte einem Diskussionskreis von acht bis zwölf Personen an. Zu ihm gehörte u.a. Erika Drees. Rudolf Bahros Buch 'Die Alternative' und seine Verurteilung war eines der Gesprächsthemen. Für ihn war die Verurteilung von Rudolf Bahro nicht akzeptabel.

Nahm an der Sommerakademie der "Solidarischen Kirche" im Juli 1988 teil. Nach der Veröffentlichung seines Buches "Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus", im April 1989, Ausschluss aus der SED und dem Rechtsanwaltskollegium, Berufsverbot. Das Buch hatte er 1987 fertiggestellt.

Ein Angehöriger der Ständigen Vertretung der BRD bei der DDR nahm ein Manuskript mit in die BRD. Ein Manuskript wurde von der Korrespondentin der Wochenzeitung "Die Zeit" über die Grenze gebracht.

Das MfS durchsuchte seine Wohnung, nachdem es mitbekommen hatte, er plane die Veröffentlichung eines Buches. Fand aber kein Manuskript. Ein Manuskript seines Buches hatte er für den Fall aller Fälle aus Sicherheitsgründen in seinem Garten vergraben. Mitte der 90ziger Jahre grub einer vom Fernsehen, der nicht glaubte, dass das Manuskript dort immer noch vergraben liegt, es aus.

Für den Fall seiner Verhaftung wurde ein Video gedreht, welches in die Bundesrepublik gebracht wurde.

Rolf Henrichs Kritik am realexistierenden Sozialismus war in oppositionellen Kreisen umstritten. Er trat für einen zweiten Versuch des Sozialismus in Zeichen von Glasnost und Perestroika ein. Ab Frühjahr 1989 nahm er an Diskussionen zur organisatorischen Neuformierungen in der DDR teil. Nach einer Aussage von Ehrhart Neubert soll Rolf Henrich bei einem Treffen mit ihm und anderen eine Parteigründung vorgeschlagen haben. Was aber abgelehnt wurde. (2)

Im Sommer 1989 hielt er mehrere Vorträge in Kirchen. In Halle mussten die Fenster aufgemacht werden, damit die Leute auch draußen mithören konnten, berichtete er. (3)

Mitbegründer des Neues Forum und deren Vertreter am Zentralen Runden Tisch. Nachdem er sich im DDR-Fernsehen zur Spaltung des neuen Forum geäußert hat, wird er vom Landessprecherrat des NF abgelöst und durch Sebastian Pflugbeil ersetzt. Zu Beginn des Umbruchs in der DDR äußerte er, er könne sich eine Koalitionsregierung mit einer erneuerten SED vorstellen. Im Januar 1990 regte er an, Egon Krenz als Hoteldirektor zu beschäftigen. (4) Im November 1990 Eintritt in die SPD.

Das LDPD-Zentralorgan "Der Morgen" veröffentlichte am 28.10.1989 ein Interview mit ihm. Später meinte er, seine Aussagen, z.B. die Führungsrolle der SED würde das NF nicht infrage stellen, sei verballhornt worden. (5)

Im November 1989 erhält er die Zulassung als Rechtsanwalt wieder zurück. Rechtsanwalt in Eisenhüttenstadt.

Im Zusammenhang mit der Verhaftung eines ehemaligen RAF-Mitgliedes in der DDR, den er als Rechtsanwalt vertrat, warf er der DDR-Justiz "staatliche Freiheitsberaubung" vor. (6)

DDR-Justizminister Kurt Wünsche wollte ihn als Staatssekretär gewinnen. Rolf-Rüdiger Henrich vermutete aber, er solle als Feigenblatt dienen. (7)

Kurt Biedenkopf vermittelte einen Kontakt zu Gruner & Jahr. Sie wollten ihn für eine Mitarbeit für ein Zeitungsprojekt gewinnen. Es sollte eine Art "Süddeutsche Zeitung" für das Gebiet der DDR auf die Beine gestellt werden. (8)

Heute gibt es eine große Freiwilligkeit seine Daten und das Innere preiszugeben, meinte er. In der Welt der Durchsichtigen, wird der Undurchsichtige verdächtig. Es gibt viele Mitbürger, die sich freiwillig in die Rolle des Mündels des Staats begeben und sich darin auch noch wohl fühlen. (9)

In einem Leserbrief, abgedruckt im Neuen Deutschland am 02.07.1990, spricht er sich für Weimar als deutsche Hauptstadt aus. "… denn Weimar steht für Föderalität. Es hätte keine Chance, als Hauptstadt andere Städte und Regionen zu dominieren. Weimar würde nicht den Blick auf andere Städte und kulturelle Punkte in Deutschland verstellen wie Berlin. Und: Bei Weimar würden wir an Goethe und nicht an Friedrich den Großen denken."

Mitbegründer der "Brücke" in Frankfurt (Oder). Ein Verein zur "Förderung einer Verständigung zwischen Polen und Deutschen".

Seit 1994 Mitglied in der Deutschen Nationalstiftung.

Veröffentlichte mehrere Bücher. In dem Begleittext zu seinem Buch "Der vormundschaftliche Staat" schreibt er u.a.: "Der Bau der Mauer war damals für mich durchaus eine notwendige, wenngleich vorübergehende Maßnahme politischer Machtausübung. Mit ihrer Hilfe wollten wir ja die Voraussetzungen schaffen, damit sich die Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus unter den Bedingungen der Ost-West-Konfrontation ungestört entfalten konnten." "Erst mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die ČSSR wurde mein Glaube an die historische Überlegenheit des Sozialismus in seinen Grundfesten erschüttert." "1968 ist mir klargeworden, dass die marxistische Geschichtsauffassung in dieser konkreten Situation nunmehr beschworen wurde, um das imperialistische Machtgebaren der Politbürokratie zu legitimieren."

Verdienstmedaille der DDR. Verleihung des Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung im Jahr 2000.

In politischen Prozessen in der DDR gab es kein Recht auf Verteidigung, sagte er später in einem Interview. (10)

"Die Rechtsanwälte", sagt Rolf Henrich, "konnten in politischen Verfahren überhaupt nichts machen - auch wenn einige sich hinterher als die großen Verteidiger aufgespielt haben. Das einzige, was sie hätten tun dürfen, wäre gewesen, ihren Mandanten zu sagen, dass das Urteil ohnehin feststehe und sie sich durch ungebührliches Verhalten oder freche Reden nicht noch zusätzliche Monate einhandeln sollen". (11)

Jens Reich schrieb über ihn: "Er opponierte gegen das betont Alternative, Protestkulturelle, Anarchische und Subversive der bisherigen Bürgerbewegung, gegen die konspirative Herstellung von Informationszeitschriften (wie den berühmten 'Grenzfall') im Selbstverlag. Er argumentierte, dass solches Verhalten der Stasi Zugriffsmöglichkeiten einräume, den Spießbürger verängstigte und in ein Scheinbündnis mit den Bürokraten treibe. Richtig wäre es, eine politische Bewegung streng im formalen Rahmen der DDR-Gesetzlichkeit zu gründen, sie ordnungsgemäß anzumelden und ganz verfassungsgemäß die Teilhabe an der politischen Entscheidung einzufordern." (12)

(1) Abschlussbericht zum DFG-Projekt CR 93/1-1
(2) Ehrhart Neubert: Unsere Revolution, Die Geschichte der Jahre 1989/90
(3) Abschlussbericht zum DFG-Projekt CR 93/1-1
(4) die tageszeitung vom 26.01.1990
(5) Chronik der Wende zum 28.10.1989
(6) die tageszeitung vom 19.07.1990
(7) Rolf-Rüdiger Henrich in einem Interview bei MDR Figaro
(8) Rolf-Rüdiger Henrich in einem Interview bei MDR Figaro
(9) Rolf-Rüdiger Henrich in einem Interview bei MDR Figaro
(10) Rolf-Rüdiger Henrich in einem Interview bei MDR Figaro
(11) Die Zeit, Nr. 29, 13.07.1990
(12) Jens Reich: "Augen zu und Gas geben". 1989 - Tagebuch der Wende

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