Ulrike Poppe

begann 1971 ein Lehramtsstudium der Kunsterziehung und Geschichte an der Humboldt Universität in Berlin. Ab 1973 wollte sie wechseln und Forensische Psychologie studieren. Die FDJ-Leitung der Humboldt Universität legte ein Veto ein. Sie ließ sich exmatrikulieren.

Arbeitete in verschiedenen Berufen. U.a. arbeite sie in einem Heim für Kinder und Jugendliche und an der Charité in Berlin. Danach Museumsassistentin im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin 1976 bis 1988.

Von Dezember 2009 bis September 2017 Stasibeauftragte im Land Brandenburg. Während dieser Zeit war sie Beamtin.

Dort Mitorganisatorin von Veranstaltungen, die bald die Staatsmacht auf den Plan riefen und ein FDJ-Ausschlussverfahren nach sich zog. Von der Staatssicherheit gab es eine Anweisung sie im Museum nicht zu entlassen. Sie war bei den Jungen Pionieren. FDJ-Mitglied von 1976-79.

Sie und ihr damaliger Mann wurden auch offen überwacht. Die Spitzel folgten ihr bis in die Schwangerenberatung. Ihre Wohnung wurde verwanzt.

In ihrer Wohnung fanden Lesungen statt. Sie und ihr Mann erhielt deshalb eine Ordnungsstrafe, die sie nicht bezahlten. Der Betrag wurde von ihrem Gehalt einbehalten.

Als Schülerin schrieb sie mit zwei Mitschülern einen Brief an die Volkskammer, weswegen sie fast von der Schule flog. Sie wollte in einer Kommune leben. Sie war 1980 Mitbegründerin des ersten Kinderladens in der DDR, der 1983 von staatlicher Stelle geschlossen wurde. Das Fenster des Ladens wurde zugemauert.

1982 Mitbegründerin des Netzwerkes "Frauen für den Frieden". Am 17.10.1983 schrieb sie einen Brief an das Wehrbezirkskommando Berlin, in dem sie mitteilt, sich der Erfassung für jegliche Art von Wehrdienst zu verweigern.

1984 unterschrieb sie eine Erklärung von oppositionellen aus der ČSSR und der DDR, in der es heißt: "Wer soziale Ungleichheit hinnimmt oder gar verschärft, ist verantwortlich für Hunger und Armut. Wer die Würde des einzelnen Menschen antastet, keine Meinungsfreiheit garantiert, wird auch nationale und internationale Probleme auf gewalttätige weise lösen wollen. Frieden ist untrennbar verbunden mit dem Einhalten und Erkämpfen aller Menschenrechte. Wir möchten in einer offenen, menschenfreundlichen Gesellschaft leben. Der Weg dorthin führt nicht über Kasernenhöfe, verseuchte Umwelt und Raketenrampen."

Sie hatte Kontakt zu einer Neuseeländerin. Woraus ihr ein Strick gedreht wurde. Zusammen mit Bärbel Bohley 1983/84 sechs Wochen U-Haft wegen des Verdachtes auf "landesverräterische Nachrichtenübermittlung". Ihr Anwalt war Gregor Gysi.

Es war geplant im Westen eine Veröffentlichung über die "Frauen für den Frieden" herauszubringen. 1984 unterschrieb sie eine Solidaritätserklärung an die Bundesversammlung der Grünen in Hamburg.

1985 protestierte sie u.a. in einem Schreiben an die Volkskammer gegen Reisebeschränkungen und den Ersatzausweis PM 12. Gegen sie wurde ein Reiseverbot bis zum 31.12.1999 erlassen. Im Juni 1985 unterzeichnete sie die "Antwort auf den Prager Appell". Seit 1985 Mitglied des Vorbereitungskreises der Initiative Frieden und Menschenrechte. Unterstützte eine Eingabe zum XI. Parteitag der SED 1986. Teilnehmerin des deutsch-deutschen Friedensseminars am 29.09.1985 in der Berliner Samaritergemeinde.

"Teilnahme statt Ausgrenzung" war das Motto des Seminars "Frieden konkret VI", an dem sie vom 26. bis 28.02.1988 in Cottbus teilnahm. Sie wurde Regionalvertreterin.

Unterschrieb im November 1986 das Memorandum "Das Helsinkiabkommen mit wirklichem Leben erfüllen". Unterzeichnete ein Brief von Ludwig Mehlhorn an Erich Honecker vom 01.11.1986. Ihn ihm wird um die Einstellung des Verfahrens gegen Reinhard Lampe ersucht. Reinhard Lampe hatte am 13.08.1986 gegen die Berliner Mauer protestiert.

Sie betreute Freya Kliers Tochter nach Kliers Verhaftung am 25.01.1988.

Sie gehörte zur "Telefongruppe", die sich für die Einrichtung eines Kontakttelefons in einem kirchlichen Raum einsetzte.

Beteiligung am Arbeitskreis "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" von 1987-1989. Mitglied im Fortsetzungsausschuss Konkret für den Frieden 1988.

Auf dem Treffen "Konkret für den Frieden VII" in Greifswald im Februar 1989 leitete sie zusammen mit Reinhard Weißhuhn die Arbeitsgruppe "Informationspolitik und Wahrheitsanspruch". Es soll stärker gesellschaftliche Möglichkeiten, wie Wahlveranstaltungen und Uraniavorträge genutzt werden.

Ihre Wiederwahl wurde auf dem Treffen durch "progressive Kräfte", so der Sprachgebrauch des MfS verhindert.

Ihr und ihrem Mann wurde 1988 ein einjähriger Studienaufenthalt in England angeboten. Was sie aber ablehnten.

Am 31.01.1989 versuchte sie beim Rat des Bezirks Berlin-Prenzlauer Berg eine Wählbarkeitsbescheinigung zu erhalten, um bei der Kommunalwahl kandidieren zu können. Sie wurde ihr entgegen der damaligen Rechtslage verweigert.

Zusammen mit Stephan Bickhardt wollte sie für die Gruppen "Friedenskreis Bartholomäus", "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" und dem Netzwerk "Arche" eine Gleichsetzung mit z.B. der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Kulturbund erreichen und nach dem Wahlgesetz eigene Kandidaten für die Kommunalwahl aufstellen zu dürfen. Was abgelehnt wurde.

Eine Erklärung vom 15.04.1989 unterschrieb sie, in der begründet wird, warum sie an der Kommunalwahl am 07.05.1989 nicht teilnehmen werde. Von geheimer und freier Wahlen kann nicht die Rede sein. Eigene Kandidaten konnten nicht aufgestellt werden, wird neben anderem als Begründung angeführt.

Nach der Niederschlagung der Proteste in Peking demonstrierte sie am 06.06.1989 vor der chinesischen Botschaft in Berlin-Niederschönhausen. Dort wurde sie von der VP zugeführt und über die Einhaltung der sozialistischen Gesetzmäßigkeit belehrt und gegen sie ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet, wie es beim MfS heißt. Die Ordnungsstrafe gegen sie betrug 300 Mark.

In der Nacht vom 09.11. zum 10.11.1989 kletterte sie am Brandenburger Tor über die Mauer nach Westberlin.

Mitglied in der Initiative Frieden und Menschenrechte. Arbeite in der Initiative "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" mit. Gründungsmitglied von Demokratie Jetzt (DJ). Mitglied im Sprecherrat von DJ. Vertreterin von DJ am Zentralen Runden Tisch. Sie wurde als Vertreterin des DJ für eine Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Aufbruch benannt.

Erstunterzeichnerin des Aufrufs "Für unser Land". Weswegen sie aus den Reihen von Demokratie Jetzt kritisiert wurde.

Sie, ihr Mann Gerd und Petra Kelly luden den Dalai Lama am 06.12.1989 nach Berlin ein. Sie schrieb am 13.12.1989 einen Brief an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Manfred Gerlach, in dem sie die materiell-technischen Voraussetzungen für die Arbeit der neuen Parteien und Gruppierungen auflistete.

Mitglied im Redaktionsbeirat der Zeitung "Die Andere". Mitarbeiterin der Fraktion Bündnis 90/Grüne Partei in der Volkskammer 1990. Danach Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg 1991-2009.

Aufruf zu einem "Tribunal" zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte 1992. Im März 1994 unterschrieb sie einen offenen Brief an Günter Nooke in dem ihm Respekt und Solidarität für seine Kritik an Manfred Stolpe gezollt wird. Im Dezember 1994 protestierte sie gegen einen Brandanschlag auf die Druckerei der Zeitung Junge Freiheit.

Erstunterzeichnerin "Gegen 'Schlussstrich', gegen Amnestie und Verjährung" im März 1995.

Sie besuchte Ibrahim Böhme noch kurz vor seinem Tod 1999.

Mitglied im Beirat der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (ehemaliger Stasi-Knast) und seit 2009 im Vorstand der Robert Havemann Gesellschaft. Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Im November 2004 wurde sie von dem damaligen Berliner Kultursenator Flierl (PDS) in einen Ehrenrat zur Überprüfung von Stasi-Kontakten berufen.

Auf dem XVI. Bautzen-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung 19./20.05.2005 sagte sie:
"Auch die DDR-Führung verhielt sich ja nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise repressiv gegenüber ihren Gegnern. In den Achtzigerjahren konnte man mehr riskieren als in den Fünfzigern, das brauche ich Ihnen ja nicht erzählen. Dieses ist, glaube ich, auch bei uns einer der Gründe, weshalb es kaum ein ausgeprägtes Rachebedürfnis gab. Hinzu kam, dass in Bezug auf Gesamtdeutschland die Anzahl der von Repressionen Betroffenen nicht allzu groß war und der Westen mit seiner Entspannungspolitik quasi die Versöhnung schon vorweggenommen hatte. Das Ausmaß an Zorn hielt sich also in Grenzen und es gab einen relativ breiten Konsens für ein streng rechtsstaatliches Verfahren. Das aber hieß, die Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen, die Täter unter Beachtung des Rückwirkungsverbotes zu verurteilen. Damit waren die Möglichkeiten sehr eingeschränkt und es ist viel Unrecht übrig geblieben, das nicht bearbeitet worden ist."

Am 09.05.2005 wurde sie in die Expertenkommission, deren Auftrag es war Empfehlungen zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der DDR-Diktatur" zu erarbeiteten, berufen.

Über die in den siebziger Jahren staatskritischen Gruppen in der DDR, die meist konspirativ arbeiteten und neue Gesellschaftsmodelle diskutierten, meinte sie 1999, sie habe sie männlich dominiert, intellektuell überheblich, zum Teil autoritär und mit Verschwörermine erlebt. (1)

Die Haltung gegenüber dem Ostblock in der zum Teil von Linken dominierten westdeutschen Politik bezeichnet sie als menschenrechtlich enthaltsam. Während die Stimmen im Ostblock, die glaubten, dass sich dieses System irgendwann einmal als das bessere, das überlegene und sogar das freiere und gerechtere System erweisen könnte, immer leiser wurden, wurde man im Westen immer kompromissbereiter. (2)

Im Mai 2010 meinte sie die Lehrer in Brandenburg vermitteln ein verklärtes DDR-Geschichtsbild. 2011/12 Vorsitzende einer Kommission zur Überprüfung von früheren Stasikontakte Brandenburgischer Abgeordnete. Unterzeichnete im Januar 2015 den Aufruf "Gegen Ressentiment und Abschottung: Für die Werte von 1989!".

Im Oktober 2015 unterschrieb sie einen Offenen Brief, der mit den Worten beginnt: "Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, wir unterstützen Ihre Politik der offenen Grenzen. Wir unterstützen Ihre Flüchtlingspolitik und Ihren Einsatz um der Menschen willen. Mit größtem Respekt sehen wir Ihre feste Haltung zur Aufnahmeasylsuchender Flüchtlinge bei uns in Deutschland."

Eine Grußadresse an die Demonstranten in Belarus unterschrieb sie im September 2020 und an die belarussischen Frauen einen Monat später.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 unterschrieb sie die Erklärung "Hisst die ukrainische Flagge überall!"

Sie unterschrieb einen offen Brief vom 03.06.2022, indem die Evangelischen Kirche aufgefordert wird zu prüft, wie die Mitgliedschaft der Russisch Orthodoxen Kirche im ÖRK ausgesetzt werden kann. Der Stimme der Leidenden in der Ukraine soll klaren Vorrang einräumen werden.

Am Abend der Volkskammerwahlen verließ sie bald die Wahlparty von Bündnis 90 im Haus der Demokratie in Berlin, weil ihr die schlechte Stimmung dort auf den Geist ging. Auf der Wahlparty der SPD war es noch schlimmer, berichtete sie später. Auf der Wahlparty der PDS, zu die sie anschließend ging hatte sie beim Einzug der Parteiprominenz das Gefühl wieder in die alte DDR einzutauchen. Grund waren die Singegruppen, die Spalier standen und alte Lieder anstimmten. Dort diskutierte sie im ehemaligen Arbeitszimmer von Egon Krenz bis morgens mit Lothar Bisky, der ihr zum Abschied das Honeckerbuch "Aus meinem Leben" schenkte.

In einem Interview in der Zeitung "Der Tagesspiegel" am 15.01.2000 sagte sie: "Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Markus Wolf, anlässlich der Demonstration am 4. November [1989] auf dem Alexanderplatz. Wir unterhielten uns über die mögliche Mielke-Nachfolge. Es schien nicht unwahrscheinlich, dass Wolf neuer Stasi-Chef werden könnte. Ich wandte mich daher an ihn und sagte: 'Falls Sie der neue Stasi-Minister werden sollten, setzen Sie sich doch bitte mit uns von der Initiative Frieden und Menschenrechte in Verbindung, damit wir Ihnen unsere Erwartungen mitteilen können, was dringend verändert werden muss.' Zu diesem Zeitpunkt hielt ich also bestenfalls eine Umgestaltung des Geheimdienstes für möglich..."

Eine Trauerrede hielt sie am 29.10.2021 für den verstorben Reinhard Schult.

Ausgezeichnet mit dem Theodor-Heuss-Preis in Form einer Medaille 1991, dem Bundesverdienstkreuz 1995 und dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis 2000. Am 11.12.2014 erhielt sie die Berliner Friedensuhr. Den Verdienstorden des Landes Brandenburg wurde ihr am 13.06.2018 verliehen. Sie war Mitglied in der Zukunftskommission "Denkwerkstatt 2020" der damaligen SPD/PDS-Regierung in Mecklenburg-Vorpommern. Sitzt im Fachbeirat der Bundesstiftung zur Ausarbeitung der SED-Diktatur.

(1) Ulrike Poppe in: "Eine Revolution und ihre Folgen", S. 212
(2) 21. Bautzen-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung 06./07.05.2010


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Interview mit Ulrike Poppe (youtube)

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