"Schluss mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Politik!"

Gestern erreichte uns eine Eilmeldung der Leipziger Zentralredaktion des SPD-Pressedienstes. Das Ehrenmitglied des SPD-Parteivorstandes, Käte Woltemath, ist aus dem SPD-Vorstand ausgetreten.

ND erkundigte sich telefonisch nach den Hintergründen.

Wann haben Sie diese Entscheidung getroffen?

In der Nacht zum Mittwoch auf der Rückfahrt nach Rostock von der für mich wiederholt so unbefriedigenden Parteivorstandstagung in Berlin. Ich musste endlich ein deutliches Signal setzen!

Für wen?

Für die Sozialdemokratie und die ganze Bevölkerung in unserem Land. Das Volk ist in eine fast aussichtslose Position gedrängt worden. Schluss mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Politik

Was sind Ihre persönlichen Hauptgründe?

Ich konnte die Politik der SPD-Fraktion nicht mehr mittragen. Wir hätten die Koalition längst verlassen müssen, spätestens nach dem jüngsten Vorpreschen Lothar de Maizières.

Wie werten Sie die SPD-Fraktionspolitik?

Der Vorwurf "Ankündigungsfraktion" ist leider berechtigt. Unsere Fraktion wurde zum Feigenblatt bzw. Erfüllungsgehilfen der CDU. Immer wieder wurden wir über den Tisch gezogen. Zudem war vieles vom Dauerwahlkampf geprägt.

Die erste Adresse Ihrer Vorwürfe ist Richard Schröder?

Natürlich, der Fraktionsvorsitzende ist seiner Aufgabe wahrscheinlich nicht gewachsen.

Sie sprachen immer nur von der Fraktion?

Auf den Parteivorstand trifft die Kritik so undifferenziert nicht zu. Wolfgang Thierse, Karl-August Kamilli, unser Landesvorsitzender aus Rostock und andere plädierten am Dienstag beispielsweise für den Regierungsaustritt.

Schwächt denn nicht gerade Ihr Austritt aus dem Vorstand die Position Ihrer politischen Freunde dort?

Ich hoffe es nicht. Dieser Schritt war notwendig, da meine Einsprüche nicht erhört wurden. Rückhalt gaben mir zahlreiche Briefe von der SPD-Basis.

Der Austritt aus der SPD Ist für Sie also kein Thema?

Ich verlasse meine SPD nicht! Die Sozialdemokratie ist und bleibt für mich neben starken Gewerkschaften die Alternative in der heutigen Zeit. Das Ziel, der Sozialismus, ist es wert, weiter zu kämpfen - vor allem für die Schwachen der Gesellschaft.

Nachtrag von Frau Woltemath:

Mir liegt persönlich ein großes Dankeschön an das ND für sein Engagement im Interesse der Bitterfelder Kinder am Herzen (ND 19. 7. und 7. 8., jeweils S. 6).

Interview: Dr. TOMAS KITTAN

Neues Deutschland, Do. 09.08.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 184

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