Nord-Süd-Konflikt ist eine Zeitbombe

BZ-Interview mit S. Hilsberg, 1. Sprecher der SPD

Deutsch-deutsche Probleme stehen seit Monaten im Vordergrund aller Politik, hüben wie drüben. Allenfalls reicht der Blick noch über den Gartenzaun zu den europäischen Nachbarn und erfasst deren Reaktionen. In den Hintergrund gedrängt sehen sich die Probleme der Entwicklungsländer bzw. die außenpolitischen Beziehungen der - noch existierenden - DDR zu dieser Staatengruppe. Welchen Stellenwert hat dieses Thema für die SPD der DDR, fragte BZ den 1. Sprecher der Partei, Stephan Hilsberg (33).

BZ: Wo setzt die SPD in ihren internationalen Beziehungen bislang Schwerpunkte?

S. Hilsberg: Von Anfang an legten wir Wert auf Kontakte zur Sozialistischen Internationale. Wir stellten bereits am 7. Oktober, dem Tag der Gründung, den Antrag auf Aufnahme. Gute Beziehungen unterhält die SPD zu Schweden, Polen, generell zu den ost- und westeuropäischen sozialdemokratischen Parteien. Diese auszubauen sind wir sehr interessiert ebenso zu den Parteien anderer Staaten, müssen uns aber derzeit vor allem auf den Wahlkampf konzentrieren.

Ein starkes Europa kann globale Probleme lösen

BZ: Kann man daraus schließen, dass auch der SPD das Nord- Süd-Thema aus dem Blickfeld geraten ist?

S. Hilsberg: Sicher konzentriert sich derzeit alles auf die innerdeutsche Problematik. Aber deren Lösung lässt sich eben nicht nur hier finden. Das heißt, sie hängt zum einen eng mit der Entwicklung in und zur EG ab, mit den Demokratisierungsbewegungen in Osteuropa, mit den Veränderungen infolge der zunehmenden Instabilität der Sowjetunion. Zum anderen darf keine Politik außer acht lassen, dass der Nord-Süd-Konflikt neben der Umweltproblematik eine Zeitbombe ist, die für die ganze Menschheit tickt. Diesen Gedanken wollen wir stärker einbringen.

Aber wir müssen, erst einmal uns selbst in die Lage versetzen, wirklich effektiv zur Lösung der globalen Probleme beitragen zu können. Die einzige Möglichkeit dafür sehe ich in der Chance, ein wirtschaftlich starkes Europa schaffen zu können, bzw. in der Hilfe der EG für die osteuropäischen Staaten. Nehmen wir Polen oder Rumänien, so stecken diese in einer so tiefen wirtschaftlichen Krise, dass sie eigentlich auch zu den Entwicklungsländern zählen.

BZ: Kann Ihrer Meinung nach die DDR ihre - ohnehin bislang eher bescheidene - Hilfe für die Staaten der Dritten Welt fortsetzen?

S. Hilsberg: Das sollte die DDR unbedingt, auch wenn sie zumindest finanziell vorerst kaum in der Lage ist. Grundsätzlich jedoch ist dazu zu sagen, dass Wirtschaftshilfe ohnehin nicht mehr wie bisher an gesellschaftliche Systeme gebunden werden dürfte, dass Hilfe stärker darauf orientiert sein muss, die Selbsthilfe dieser Länder sowie Demokratisierungstendenzen unter Respektierung des Selbstbestimmungsrechts der Staaten zu fördern. Das geht nur in einem partnerschaftlichen Verhältnis und darf nicht an den Interessen der Bevölkerung vorbeigehen. Auch ist eine stärkere Differenzierung zwischen Ländern in Afrika, Asien und denen in Lateinamerika nötig.

Hilfe sollte vom Staat gefördert werden

BZ: Welche anderen Formen der Solidarität könnte es in Anbetracht der geringen materiellen Möglichkeiten geben?

S. Hilsberg: Entwicklungs- oder auch solidarische Hilfe kann viel stärker auf der Basis von privaten Gruppen geleistet werden. Viele Menschen in diesem Land sind interessiert, sich an der Finanzierung und Durchführung konkreter Projekte zu beteiligen. Dahinter steckt sicher auch der verständliche Wunsch, andere Länder und Kulturen kennenzulernen. Ob derartige Initiativen nun von Privatpersonen, Kirchen oder Institutionen ausgehen - sie alle sollten vom Staat gefördert werden. Dabei können auch solche Gremien wie die Liga für Völkerfreundschaft eine Rolle spielen. Letzteres wird vom Erfolg ihres Umstrukturierungsprozesses und von der Qualität und dem Engagement der Mitarbeiter abhängen.

BZ: Wo seht ihr im Vergleich zur bisherigen außenpolitischen Orientierung, dass Veränderungen angebracht sind?

S. Hilsberg: Positiv sind die jüngsten Bemühungen, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Dies ist notwendig, ohne aber dessen Politik unkritisch hinzunehmen. Bei der Kontaktaufnahme der SPD zur sozialdemokratischen Mapam Israels wurden wir mit der Forderung konfrontiert, für die Schuld des Dritten Reiches geradezustehen. Damit muss man sich auseinandersetzen im Bemühen um Versöhnung. Aber Israel ist auch ein Land, wo man feststellen kann, dass Demokratien nicht davor gefeit sind, Fehler zu machen. Wir müssen abwägen und unsere Beziehungen auch zu arabischen Staaten und der PLO nutzen, um auf Vernunft und Lösungsansätze hinzuwirken. Im Rahmen der guten Kontakte der DDR zur PLO ist dies durchaus möglich.

Wir können nicht allein existieren

Ähnlich differenziert muss man die Probleme in Südafrika sehen, wo Nelson Mandela aus der Haft entlassen und Impulse zur Demokratisierung gegeben wurden. Wenn man Beziehungen zu solchen Ländern aufnimmt, dann immer unter dem Aspekt, was können wir dazu beitragen, dass sich die Situation dort entkrampft. Auch wollen wir nicht von Systemen, wenn sie auf Unterdrückung basieren, profitieren. Es ist in jeder Beziehung wichtig, ins Bewusstsein zu rücken, dass wir wirtschaftlich, politisch und auch ökologisch in einem Boot sitzend - mit der ganzen Welt verquickt sind. Es hat keinen Sinn, egoistisch vorzugehen, und der Gedanke muss sich verstärken, dass wir allein nicht existieren können. Diese Herausforderung richtet sich an alle Menschen, in Ost und West, Nord und Süd.

Das Gespräch führte
Martina Doering

aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 44, 21.02.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.

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